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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Er sah sie erstaunt an. „Man hat Sie ja trefflich dressirt,“ sagte er dann, „nur müssen Sie nicht denken, daß ich diese hoheitsvolle Zurückweisung ernst nehme.“

„Warum nicht?“

„Weil Ihre Augen mir noch vor ein paar Tagen ganz andere Dinge sagten.“

Eine dunkle Röthe färbte ihr Gesicht, und die kleinen Hände ballten sich; der Stolz, die Beschämung raubten ihr fast die Besinnung. „Meine Augen? Meine Augen haben und hatten Ihnen nie etwas zu sagen!“ rief sie heftig.

„Nichts – gar nichts?“ klang es spöttisch.

Sie athmete rasch, die Thränen perlten über ihre Wangen. Um jeden Preis wollte sie ihm jetzt und für immer die Meinung nehmen, als hege sie ein Interesse für ihn oder habe jemals ein solches für ihn gehegt. „Sie waren mir stets sehr gleichgültig!“ stieß sie hervor.

Er lachte kurz auf und verbeugte sich. „Wozu denn die leidenschaftliche Betheuerung? Alterieren Sie sich nicht!“ sagte er, „ich glaube Ihnen ja, Hilde, wenn Sie es so wollen – mein Wort darauf, ich glaube es Ihnen, bis Sie –“

„Aber es ist so, es ist wirklich so!“ unterbrach sie ihn.

„Ich bin überzeugt davon,“ sprach er sarkastisch, „es liegen ja beinah acht Tage zwischen jenem Abend in Sibyllenburg und heute. Sie erinnern sich allerdings daran nicht mehr. Man hat mich Ihnen als einen furchtbaren Menschen geschildert, dem nichts in der Welt heilig ist; man hat Ihnen etwas von Moral, von Weltordnung und Sitte vorgepredigt und – Sie sind ein gutes folgsames Kind. Es ist recht von Ihnen; ich wünsche Ihnen zur Belohnung für Ihr Einsehen alles Gute und Schöne. Leben Sie wohl!“

„Matt hat gar nichts über Sie gesprochen, man hat mir keinerlei Lehren gegeben!“ rief das Mädchen außer sich, „und wenn Sie denn die Wahrheit erfahren wollen, ich ließ meine Augen mit Bewußtsein lügen, um mich zu rächen an Ihnen. Es war eine Laune, eine Tollheit, wenn Sie wollen, von mir, denn was gehen Sie mich an? Ich liebe einen andern schon lange, schon lange. So, nun wissen Sie es!“

Er hob den Hut auf, der ihm entfallen war. Die Kerze warf flackernde Streiflichter über sein blasses zuckendes Gesicht und über das Mädchen, das, beide Hände vor das Antlitz geschlagen, ihm den Rücken zugewandt hatte, bebend am ganzen Körper.

„Einen andern, Hilde?“ fragte er.

Sie nickte schluchzend.

„Maiberg?“ sagte er und, als sie nicht antwortete, „natürlich Maiberg!“

Er lachte plötzlich laut auf.

„Nun dann – Glück zu, Hilde! Leben Sie wohl! Ich – man erfährt doch zuweilen noch Ueberraschungen. – Also, meinen ergebensten Glückwunsch!“

Das wurde alles unter dem nämlichen lauten Lachen herausgestoßen, das unheimlich wiederklang von den Wänden des Hauses, aus dem heute eine Todte getragen worden war. So lachend verließ er das Zimmer, in dem das erschreckte Weinen des Kindes sich mischte mit dem Schluchzen des jungen Mädchens, und so lachend ging er den Gang hinab und trat auf die Treppe.

Dort kam Maiberg hastig die Stufen herauf. „Ich suchte Dich überall, Leo.“

Das Lachen des Mannes verstummte; er maß den Freund von oben bis unten.

„Bist doch ein verteufelter Kerl, Maiberg,“ rief er, „aber ich gönne Dir Dein Glück, ich habe nie zu den mißgünstigen Leuten gehört; ich bedaure Dich nur um die Qual der Wahl! – Na, leb wohl, bemühe Dich nicht um mich, man könnte Dich hier vermissen, es giebt viele Thränen zu trocknen in schönen Augen.“

Er wollte an dem Freund vorüber schreiten, da schallte ihnen aus dem Hausflur ein Gewirr von Stimmen entgegen; ein kreischendes Weiberorgan übertönte alle diese Laute. In dem halb erleuchteten mächtigen Flur hatte sich ein Häuflein Menschen um ein armseliges Weib versammelt, das, jemehr es zur Ruhe verwiesen wurde, um so lauter schrie.

„Wer ihn aus dem Wasser zog,“ zeterte sie, „der mag ihm auch gleich das Geld für seinen Schnaps dazu schenken, ohne den er mal nicht leben kann!“

Leo blieb mitten auf der Treppe stehen. „Da siehst Du es, Wolf, mein gewöhnliches Pech. Ich falle selbst mit den Unternehmungen herein, für die ich mein Leben einsetze!“

„Herr!“ schrie die Frau, als sie Leo erblickte, „auf den Knieen wollt ich’s Euch danken, hättet Ihr den Menschen ertrinken lassen; es wäre das beste für ihn gewesen und – ich – ich hätte doch noch ein paar menschliche Jahre haben können auf dieser Welt. Lachen Sie nicht,“ fuhr die Frau auf, als Leo wieder kurz auflachte, „Sie alle, die hier stehen, wissen nicht, was es heißt, seit dem achtzehnten Jahre an einen Lüderjahn gekettet zu sein! Sie kennen den Kummer nicht, wenn man einen Menschen verkommen sieht in Laster und Schande, dem man gut ist; Sie wissen nicht, wie es thut, wenn man seine sauer erarbeiteten Groschen hergeben muß, damit sie in schlechter Gesellschaft vertrunken werden; wie es thut, wenn man gute Worte giebt und Schläge dafür kriegt, immer Schläge und Scheltreden, daß man der Fluch eines Menschen sein soll, dem man am liebsten die Hände unter die Füße gebreitet hätte! Sie wissen nicht, wie gräßlich es ist, wenn man einmal bessere Tage gesehen hat und dann tiefer und tiefer versinkt in Schmutz und Elend und seine Kinder nicht retten kann davor!“ Und sie ballte die Fäuste vor dem Gesicht.

„Und wozu,“ fragte Leos Stimme spöttisch, „spielen Sie uns hier diese Scene, Sie liebenswürdigste aller Gattinnen? Machen Sie, daß Sie hinaus kommen! – Ja so,“ unterbrach er sich, „ich vergaß –“

Die Frau schlug dumpfstöhnend das zerrissene Tuch vor ihr Gesicht.

„Ach Herr,“ schluchzte sie, „ich sollte wohl danken, daß Sie Ihr Leben gewagt haben um den elenden Menschen, und ich kann ’s doch nicht. Denken Sie nicht, daß ich ein schlechtes Weib bin; zu gut bin ich gewesen, zu lieb habe ich ihn gehabt. Es taugt nicht, wenn eine aus purer Liebe alles hingehen läßt, auch das, was sie für Unrecht erkennt. Hätte ich ihm von anfang an ins Gewissen geredet, hätte ich ihm gedroht, ich wollte fort von ihm, es stände besser um uns. Aber ich hab’ gemeint, es könnte ihn verdrießen und er sei der Herr, und da hab’ ich nur heimlich für mich geweint, und es wäre doch meine Pflicht gewesen, ihn auf die rechte Bahn zu leiten!“

Die Selbstanklage der armseligen Person klang so wahr, so erschütternd, daß keiner der Anwesenden Gewalt gegen sie gebrauchen mochte.

Maiberg beeilte sich, in die zitternde Hand des Weibes ein paar Geldstücke zu legen. „So, nun gehen Sie aber,“ sagte er, indem er sie der Thür zudrängte, „nachher komme ich und rede weiter mit Ihnen.“

„Gott vergelt’s! Gott vergelt’s!“ rief die Armselige, und an der Hausthür wandte sie sich noch einmal und nickte dankend mit dem wachsgelben kummervollen Antlitz dem jungen Arzte zu. Dann war sie mit Blitzesschnelle in die Nacht verschwunden, als fürchte sie, der Schatz werde ihr wieder abgenommen, verschwunden, um dem armseligen Kerl, den sie liebte, das ersehnte Labsal zu verschaffen.

Antje stand ungesehen von allen auf der Schwelle des kleinen Arbeitszimmers, dessen Eingang durch den Schatten der Treppe verdeckt wurde. Ihre Augen hingen an dem Mann, der sie in dieser Minute verlassen sollte auf immer. Sie hatte den Auftritt mit angehört und verstanden, daß Leo einen Menschen aus dem Wasser gerettet hatte; ihr Herz klopfte bei dem Gedanken, wie leicht er selbst hätte ertrinken können, und es war ihr, als lege sich die That des Mannes wie lindernd auf die Wunde, die er ihr geschlagen.

Er war weitergeschritten in dem Hausflur; die Herrschaften des Trauergeleites, die sich vom Abendessen erhoben hatten, als der Lärm begann, die Dienstmädchen, Hausknecht und Kutscher hatten sich wieder entfernt, nur Maiberg, Jussnitz und ein Herr aus dem Kontor sprachen noch miteinander. Antje sah, wie letzterer Leo einen Brief und eine Depesche überreichte, sie sah, wie er beides gezwungen nachlässig in der Tasche barg, und hörte, wie er sagte: „Meine Adresse werde ich Ihnen in einigen Tagen angeben.“

Nun schritt er neben Maiberg dem Ausgange zu.

Die junge Frau hielt sich an dem Pfosten der Thür, ihre Augen waren unheimlich groß und starr. Man nimmt nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_288.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)