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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

hatte, tauchte vor ihm auf mit entzückender Deutlichkeit. Woher doch zuletzt dieser Zorn, diese Verachtung? „Ja, ich habe meine Augen lügen lassen, weil ich mich rächen wollte an Ihnen!“ Rächen? Wofür? – Weil er ihr seine Huldigungen zu Füßen gelegt hatte? Ah bah! Sie war aufgehetzt von Antje, man hatte verstanden, ihr Angst zu machen. Diese Frau mit dem Gesichtskreis so groß wie eine Untertasse, was verstand sie von geistiger Verwandtschaft, von der Macht, die eine Seele zur andern zwingt? Es war ja alles grob zugehauen bei ihr, ihr ganzes Denken und Empflnden. Kochtopf, Kinderbrei, Geldschrank – eine prachtvolle Zusammenstellung! Fort – fort aus dieser Enge!

Er trat an das Fenster und sah in die Nacht hinaus. Der Wind hatte sich gelegt, ein leichter silberner Flor wob sich um die Buchen jenseit der Lichtung, auf der die Försterei lag. Er nahm den Brief und hielt ihn dicht vor die Augen, aber er konnte die Schrift nicht lesen; es hatte ja auch keine Eile. „Aber die Depesche – vermuthlich die Mittheilung, daß die Aktien der F. Baubank verkauft sind.“

Er hatte Auftrag dazu gegeben, weil er zufällig gehört hatte, daß es mit dieser Bank nicht ganz geheuer sei. Eigentlich ging ihn das nichts mehr an, aber er hatte doch schließlich die Verpflichtung, das Vermögen seiner Frau in sicherer Anlage zurückzugeben; zusammengeschmolzen war es ohnehin genug. Wäre ihm nicht zuweilen das Glück beim Börsenspiel hold gewesen, so hätte es noch ein wenig schlimmer ausgesehen. Zum Ankauf dieser verflixten Aktien hatte ihn Barrenberg verleitet: die Geschichte müßte ja eine Zukunft haben, hatte der sonst in Geldgeschäften wohl gewandte Freund gemeint.

Leo hielt die Depesche noch uneröffnet in der Hand und betrachtete sie. Er hatte seinerzeit nominell gekauft weit über die Höhe des Kapitals hinaus, das ihm zur Verfügung stand. Donnerwetter, es wäre eklig, wenn er jetzt eine bedeutende Differenz zahlen müßte! Daß er vorhin auch nicht daran gedacht hatte, im Hüttenkontor einen Blick in das Börsenblatt zu thun!

Es rieselte ihm plötzlich eiskalt über den ganzen Körper.

Dann tastete er nach dem Streichholzständer und zündete die kleine dünne Kerze in dem blankgeputzten Messingleuchter an, legte die Depesche zurück und erbrach zuerst den Brief. Er enthielt in ein paar höflich bedauernden Zeilen die Nachricht, daß das Komitee der Ausstellung in Berlin leider sein Bild „Spanische Tänzerin“ wegen Ueberfülle an Einsendungen und zu späten Eintreffens nicht mehr habe annehmen können.

Ueber das Gesicht des Mannes zuckte ein verächtliches Lächeln; er wußte ja genau, welche Phrasen die Herren der Jury bei der Hand haben, wenn es darauf ankommt, ein Bild zurückzuweisen; untereinander nannten sie es: „In die Todtenkammer bringen.“

„Ha, ha, ha!“ Leo lachte noch immer und griff nach der Depesche. „Was wird’s nun geben?“ fragte er laut, indem er das Papier erbrach, und seine Augen richteten sich auf die wenigen blau geschriebenen Worte. In großer eckiger Schrift stand dort:

„Ihre gef. Ordre leider zu spät erhalten. F. Baubank in Konkurs. Defizit groß. Brief folgt.

Kreisler.“ 

Die zitternde Hand ließ das Blatt fallen; das zuckende Flämmchen beleuchtete ein ganz entstelltes Gesicht. Unsicher griff Leo nach dem gefüllten Wasserglase und trank es bis auf den letzten Tropfen in langen gierigen Zügen aus, denn die Zunge klebte ihm am Gaumen. Als er es geleert zurücksetzen wollte, stieß er das Licht um, daß es verlosch, und das Glas zerschellte auf dem Boden. Dann ächzte das Bettgestell und ein dumpfes Stöhnen scholl durch den kleinen Raum. Es drang hinunter bis in die Schlafkammer der Hausleute. Lola, die neben dem Bette der Försterin schlief, hob den Kopf und that einen leisen Blaff, dem ein langes Knurren folgte.

Der Frauenkopf richtete sich in den Kissen empor. „Wirst Du ruhig sein!“ schalt die Herrin leise. Da hörte auch sie das Stöhnen und sprang vom Lager auf. „Alter, sieh nach, was der da oben hat!“

„Hab’ ihn eben auch gehört, will gleich hinauf,“ war die Antwort.

Eine Minute später polterte der Förster mit einem Wachsstock die Treppe hinan und klopfte stark an die Zimmerthür. „Herr Jussnitz, he, wo fehlt’s?“

Keine Antwort.

Wend drückte die Klinke, sie gab nicht nach. „Na, es ist hier doch keine Räuberhöhle!“ brummte her Mann. „Herr Jussnitz!“ schrie er lauter.

Da kamen Schritte herüber, und eine Stimme, die er noch nie gehört zu haben meinte, so fremd und heiser klang sie, sagte von innen:

„Gehen Sie nur, Wend, ich habe schlecht geträumt.“

„Machen Sie ’s Fenster auf,“ rieth der Förster, „die Luft ist zu dumpf in dem Loch, Dorchen wird zu viel geheizt haben. Gute Nacht!“

Der Mann stieg wieder hinunter.

„Na, Du machst immer gleich ein Hallo,“ brummte er; „weiter nichts als Alpdrücken war’s; wahrscheinlich ist das Traueressen nicht ohne gewesen, die Hanne wird’s schon fett gemacht haben!“

„Und dafür schiltst Du mich, Du Brummbär Du?“ neckte sie und setzte ernst hinzu: „Du weißt doch noch, wie er damals verunglückte? Gerade so hat er vorhin ausgesehen.“

„Wärst Du nur Kartenschlägerin oder Wahrsagerin geworden!“ sprach er gähnend, „Du bist zu klug, Dore!“ Und damit zog er die Decke über den Kopf und begann alsbald zu schnarchen.

Aber die junge Frau schlief nicht. Es war ihr, als sei dort oben ein geheimnißvolles Leben; das Herz klopfte ihr heftig in der Brust und sie lag und starrte zur Decke empor, als könnte sie dieselbe mit ihren Blicken durchbohren. Und sie lauschte den leisen Schritten über sich; jetzt wurde ein Stuhl gerückt, es mußte vor dem Tischchen sein zwischen den Fenstern, sie hörte es deutlich.

Lola war herausgekrochen aus ihrem Korb und schnupperte nach ihrer Herrin empor. Die junge Frau fühlte, daß auch das Thier horche, ein nervöses Zittern ging ab und zu durch seinen Körper und ganz leise knurrte es zuweilen.

„Lola, was thut der da oben?“ flüsterte sie. Und sie begann sich zu fürchten, sie wußte selbst nicht, weshalb. Hatte sich der Alp in die Kleider ihres Mannes gehängt und war mit herunter gekommen? So schwer wie Blei dünkten sie ihre Glieder, eine erstickende Angst überkam sie.

Die Kuckucksuhr in der Wohnstube schlug Zwei. Sie dachte an den Tag, da der Mann dort aben verunglückt war; sie und ihr Mann ahnten wohl, was das vermeinte Unglück gewesen. So, genau so war er die Nacht vorher dort oben in dem Kämmerchen umhergeschlichen, genau so hatte sie wach gelegen mit der Ahnung im Herzen, daß etwas Schreckliches kommen werde; und sie hatte sich nicht getäuscht.

Lola knurrte noch immer in kurzen Pausen. Jetzt ging der Mann dort oben auf und ab, nun blieb er stehen; sie meinte, einen tiefen Seufzer zu hören. Sie wollte die Hände falten im Gebet und konnte doch nicht. Ihr zu Häupten in der alten Bettstelle, in der schon des Försters Mutter geschlafen hatte, tickte es lant und hastig wie eine Taschenuhr. –

„So ein Unsinn!“ schalt sie sich. „’S ist der Holzwurm, aber er muß rein närrisch sein in dieser Nacht, ich höre ihn doch sonst nicht.“ –

„’S ist doch die Todtenuhr,“ dachte sie schaudernd.

Nun rief der Kuckuck nebenan ein Mal – halb drei Uhr. Wenn die Zeit doch rascher verginge, wenn es doch Morgen würde.

„Jesus!“ schrie sie plötzlich, „Jesus erbarme Dich !“

Droben war ein Schuß gefallen.

Sie hasteten beide aus den Betten und warfen rasch ein paar Kleidungsstücke über; Dora war zuerst auf der Treppe und vor der verschlossenen Thür. Sie rüttelte entsetzt an der Klinke und der Hund kratzte an der Schwelle und winselte. Der Förster kam mit der Axt nach und hieb das schwache Brett entzwei.

„Aber, Herr Jussnitz!“ jammerte Dorchen, vorwärts stürzend, und sank neben dem Manne in die Kniee, der dort auf dem Boden lag, den Körper halb aufrecht auf einen Arm gestützt, in der Hand noch den Revolver.

„Diesmal traf ich besser,“ lallte er und brach zusammen.

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_306.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)