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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ein wenig nervös, als Lüdinghausen immer noch nicht von Leas Seite wich.

Der Grund dieser Beharrlichkeit war ein doppelter. Lüdinghausen fand das schöne und selbstbewußte Mädchen in der That sehr interessant, und dann war ihm der Gedanke zu lästig, nun mit einer andern Dame der Gesellschaft eine Unterhaltung anfangen zu müssen, wahrscheinlich wieder mit der Einleitung über Gegend, Wohnung, früheren Aufenthalt und ähnliche ermüdende Dinge.

Lea saß auf dem Klavierstuhl und sah im Sprechen zu den vor ihr stehenden Männern empor. Dann, wie in halber Zerstreutheit, drehte sie sich auf dem Sessel herum und, ohne die Unterhaltung zu unterbrechen, präludierte sie leise. Die flüchtigen Griffe in die Tasten gestalteten sich zu einer bestimmten Tonfolge. Rahel hörte und erkannte augenblicklich, was sie ausdrückte. Lea spielte dem Geliebten zu, was sie ihm weder durch Wort noch Blick zu sagen vermochte:

„Mit meiner Seele glühendstem Ergusse
Sei mir geküßt, sei mir gegrüßt.“

„Also ist es doch nicht aus zwischen ihnen,“ dachte Rahel. Und seltsamerweise fühlte sie sich jetzt durch diesen Gedanken ebenso beruhigt wie vorher davon beunruhigt. Ja, der Wunsch wallte sogar in ihr auf, den beiden zu einigen Worten ungestörter Aussprache zu verhelfen.

Mit dem Recht der Haustochter, die den neuen Gast unterhalten will, trat sie an Lüdinghausen heran.

„Es ist ganz unsern Gewohnheiten entgegen, den Kaffee im Zimmer zu nehmen bei solchem Wetter,“ sagte sie, „und wie ich unsere Herren kenne, werden sie sich nachher gleich an den Kartentisch setzen. So würden Sie uns heute verlassen, ohne unsern Park gesehen zu haben. Soll ich Ihnen denselben zeigen?“

„Ich bitte darum,“ antwortete er.

„Onkel Raimar, komm! Ein Spaziergang nach Tisch ist Dir sehr gesund,“ rief Rahel.

Lüdinghausen erinnerte sich, daß er sich um diese zweite Tochter noch gar nicht gekümmert habe und daß er sich bemühen müsse, nun artig gegen sie zu sein. Er ging darum mit Rahel und Raimar voran, während Lea und Clairon in großer Entfernung folgten. So gaben diese sich die Miene, mit zu der Gruppe zu gehören, und waren doch ungestört.

„Lea,“ sagte Clairon halblaut, „hast Du etwa die Absicht, an dem neuen Landrath eine Eroberung zu machen?“

„Wie meinst Du das?“ fragte sie.

„Du willst mit ihm kokettiren!“ rief er in aufwallender Eifersucht.

„Nicht mit ihm kokettiren,“ antwortete sie und sah mit halbgeschlossenen Augen in die Ferne, während ein seltsames Lächeln um ihre Lippen spielte. „Aber vielleicht ihn heirathen.“

„Du phantasierst,“ sagte Clairon. „Mich lieben und einen andern heirathen, das wäre … das wäre …“

„Nichtswürdig!“ vollendete Lea mit Ruhe. „Du sagst es, und so ist es.“

Nach einigen Sekunden des Schweigens sprach sie plötzlich in fassungsloser Erregung weiter. Clairon kannte diese jähen Wandlungen in ihrer Stimmung, er wußte, daß sie ihren Grund in der ganzen Sachlage hatten, und ihn ergriff jedesmal unsägliches Mitleid, wenn er das schöne, stolze Mädchen in solcher Gefühlsverwirrung sah.

„Was bleibt mir denn übrig im Leben als das? Was soll ich mit mir, was mit meiner Zukunft anfangen? Soll sich Monat so an Monat, Jahr so an Jahr reihen? Soll ich alt werden und verblühen und niemals den Platz im Dasein haben, für welchen ich geschaffen bin? Dich immer lieben und das ganze Glück dieser Liebe immer darin finden, Dich jede Woche zwei- oder dreimal im Wald zu sprechen, mit einem Bedienten als Zeugen und Ehrenwache? Ich, die ich die Wahl meines Lebensloses frei zu haben schien, ich soll als altes Mädchen zurückbleiben am Wege, den andere, Jüngere, weniger von der Natur Begünstigte lachend und mühelos zur Höhe empor schreiten? Dummen und häßlichen Frauen wirft das Schicksal alles in den Schoß; mir entzieht es selbst das, was ich ein angeborenes Recht habe, zu begehren. In mir ist ein Durst – ich weiß nicht, wonach; nach Glück, nach Liebe, nach Freiheit! Nach Thaten! Ewig die älteste Prinzessin auf Römpkerhof bleiben, immer dieselben langweiligen Menschen als Gäste bei sich sehen und ihnen freundlich lächeln müssen – o, wie fade, wie leer, wie inhaltslos!“

Thränen funkelten in ihren weitgeöffneten Augen. Ihr Gesicht war bitter verzerrt.

Auch Clairon war blaß. Aber er stand zu sehr im Banne der Anschauungen, die Lea ihm immer und immer wieder vorhielt, daß er nicht darüber hinaussah. So sagte er nur im gedrücktesten Ton:

„Ja, wir sind sehr unglücklich.“ –

Vor ihnen führten die beiden Männer mit Rahel allerlei vernünftige Gespräche.

Lüdinghausen lobte aus Höflichkeit den Park.

„O,“ sagte Rahel offen, „nur seine alten Baumgruppen und die Größenverhältnisse sind schön und der Blick über den See, besonders wenn wie jetzt der Himmel vergoldet ist von der untergehenden Sonne. Die Rasen könnten sammetweicher sein, die Blumenanlagen kunstvoller. Aber das ist auf dem Lande ein zu großer Luxus, schon des Wassers wegen, das für Obst und Gemüse so nöthig gebraucht wird.“

„Aber Sie haben ja entsprechende Anlagen, sehe ich,“ bemerkte Lüdinghausen, der irgendwo zwischen den Baumgipfeln die Windflügel eines Motors hatte aufragen sehen.

Rahel lachte.

„Von Papa ein bißchen übereilt angelegt. Der Unternehmer war ein netter liebenswürdiger Mensch, deshalb schwor Papa auf seine Tüchtigkeit. Wir haben selten genug Wasser und es muß meist wie einst aus dem See geholt werden.“

„Sie interessiren sich für die Landwirtschaft?“ fragte Lüdinghausen.

„Sie ist eine großartige Hausmutter,“ versicherte Raimar, um die arme, ewig hintangesetzte Rahel ein bißchen zu heben.

„Ich glaube, nur deshalb,“ antwortete Rahel, „weil es hier nothwendig ist. Es kann wohl sein, daß ich mich immer für die Dinge interessire, welche mich brauchen. Ich habe nie darüber nachgedacht.“

„Man möchte Sie beneiden,“ sagte Lüdinghausen lächelnd; „Sie haben demnach, wie mir scheint, Talent zur Zufriedenheit – das seltenste beim Menschen, soweit ich mir Menschenkenntniß zutrauen darf.“

„O,“ meinte Rahel und wurde verlegen, weil es ihr vorkam, als lobe er sie, „es ist doch keine Kunst, zufrieden zu sein, wenn man gerade das leisten kann, was von einem gefordert wird. Und von mir wird so herzlich wenig gefordert.“

„Na, Kleine,“ sagte Raimar und klopfte sie so im Weiterschreiten wohlwollend auf den Rücken, „so wenig ist’s denn wohl doch nicht. Mein alter Römpker, unsere schöne Lea und die gute, ängstliche Alide – das ist eine anspruchsvolle Gesellschaft, und sie machen Dich manchmal ein bissel zum Aschenputtel.“

„Du irrst Dich, Onkel Raimar,“ sprach Rahel mit strenger Abweisung. „Ich habe schon oft bemerkt, daß die Gesellschaft mir die Rolle der Unterdrückten zuschiebt. Dies ist keineswegs der Fall. Mein Gott – sehe ich denn aus wie ein Aschenbrödel? Und so wenig Papa oder Lea je daran denken, mich zurückzusetzen, so wenig ist in mir die Neigung, solche Zurücksetzung hinzunehmen.“

Ihr Auge blitzte ein wenig auf, als sie den alten Freund ansah, und Lüdinghausen bemerkte das wohl.

„Sie sind eben sehr verschieden von Ihrem Fräulein Schwester,“ sagte Lüdinghausen höflich, „und so weit ich mir schon ein Urtheil erlauben darf, ergänzen Sie beide einander sehr glücklich.“

„Sehr richtig, mein lieber Landrath,“ rief Raimar, „sehr gut beobachtet. Unsere Lea ist der Glanz, unsere Rahel das Behagen des Hauses.“

Wie sehr Lea in der That von der Schwester verschieden war, konnte Lüdinghausen an diesem Abend noch beobachten. Vielleicht aus Rücksicht auf ihn hatte man auf das sonst übliche Kartenspiel verzichtet. Lüdinghausen kannte genugsam den Geist dieser vornehmen Land- und Kleinstadtkreise, er wußte, daß diese Menschen, jahraus jahrein aufeinander angewiesen, immer nur von den gleichen, engen Berufsinteressen bewegt, ihre liebste Unterhaltung, ja gleichsam die Rettung des Vergnügens im Kartenspiel finden. Und so ermaß er die Höflichkeit, die man ihm erwies, indem man es heute unterließ. Aber zugleich auch drückte sie ihn, denn ihm fehlte das Vermögen, mit diesen ihm so fremden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_312.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2023)