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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ihm die Vorsicht, nicht eines der Dramen von Shakespeare von sich, von Schiller, von Lessing zu wählen, er gab ein volksbeliebtes Rührstück von Iffland, der, so groß auch als Schauspieler, als Bühnenschriftsteller doch nur ein Handwerker war, welcher mit kluger Berechnung seine genaue Kenntniß der Bühnenwirkung und des Geschmackes der Menge verwertete? Und Goethes Prolog verwies auf den alten Erfahrungssatz: „Der Anfang ist in allen Sachen schwer.“ Wie der Landmann im Frühling den Samen in die Erde senken müsse, um im Herbste Frucht zu ernten, wie der Baumeister den Grund um so tiefer grabe, je höher er die Mauern führen wolle, so sei auch hier es geboten.

In einer Zeit, wo es deutsche Stadttheater giebt, deren jährlicher Betrieb über eine Million kostet und die, über zwei glanzvoll ausgestattete Häuser verfügend, an Sonntagen oft drei Aufführungen darbieten, ist es schwer, von der Dürftigkeit jener von Goethes Namen gedeckten Anfänge des weimarischen Hoftheaters einen richtigen Begriff sich zu bilden. Weimar, mit kaum 6000 Einwohnern, war arm, die Kassen des Hofs erschöpft; fehlte es doch sogar zum nöthigen Neubau des 1774 abgebrannten Schlosses an flüssigen Mitteln. Vom 7. Mai bis 25. September 1791 bestand Goethes Theaterbudget, das der Hof als Vorschuß gewährte, in 1098 Thalern. Seine meist aus jüngeren Kräften zusammengesetzte Gesellschaft umfaßte 16 Personen, von denen die Mehrzahl sowohl Sänger als Schauspieler waren; einen Theil derselben übernahm er aus der Bellomoschen Truppe, und auch sein Repertoire fußte im ersten Jahr auf dem seines Vorgängers: Lustspiele von Kotzebue, Jünger, Schröder, Schauspiele von Iffland, Spieß und Vulpius, Singspiele von Martini, Paisiello und Dittersdorf. So glänzend uns die Namen seiner Hauptkräfte – Malcolmi und seine älteste Tochter Amalie, Genast, Vohs, Oels, die Durands, Frau Neumann und deren „Christel“ – heute noch erscheinen, so wenig glänzend waren die Verhältnisse dieser ersten weimarischen Hofschauspieler bei einer wöchentlichen Gage von 5 bis 8 Thalern – ohne Garderobegeld, ohne Spielhonorare. Für die Comparserie und die Chöre gewann Goethe die Seminaristen, die mit der Ehre zufrieden waren, und ließ es auf den Zorn Herders über solchen Mißbrauch ankommen. Dafür ließ er nur alle zwei, oft nur alle drei Tage spielen. Und auch so hätte er die Pforten der Bühne nur zu bald ganz schließen müssen infolge Ausbleibens der unumgänglich nöthigen Einnahmen, hätte er nicht mit Erfolg schon im ersten Sommer einen Ausweg beschritten, der sich trefflich bewährte, den längerer Gastspiele in dem damals vielbesuchten Badeort Lauchstädt bei Halle, sowie in dem reicheren Erfurt. Der Erfolg dieser Gastspiele, die sich später auch auf Naumburg, Rudolstadt, Halle und Leipzig erstreckten und stets das Beste des weimarischen Repertoires mit Sorgfalt zur Aufführung brachten, war von vornherein ein so günstiger, daß ihr Erträgniß Jahr für Jahr den Fehlbetrag der heimathlichen Kasse deckte, welche freilich auch die Kosten fast aller Neueinstudierungen zu tragen hatte.[1]

Und viel und vielerlei mußte einstudiert werden! Die kleine Zahl des Publikums vertrug keine öfteren Wiederholungen und aus Goethes eigener Erfahrung als Theaterdirektor stammt der Wahrspruch des Direktors im Bühnenvorspiel zum „Faust“: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen!“ Ueberhaupt ist jedes Wort dieser Dichtung, aus der so viele Stellen in Volkes Mund übergegangen sind, der Fülle seiner eigenen Erfahrung entnommen und sie selbst ein Spiegelbild der getheilten Empfindungen, mit denen er die materiellen Interessen der Verwaltung, die idealen der Kunst und die realen der Unterhaltungslust nebeneinander zu wahren suchte als Lenker seines Theaters. Wie er als Dichter im höchsten Aufschwunge der Phantasie nie den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen verlor, so war auch hier seine Pflege der Kunst festgewurzelt in dem Boden der gegebenen Verhältnisse. Er theilte Schillers Ansicht nicht, daß das Theater geradezu eine hohe Schule der Moral und Sittlichkeit zu sein habe, ihm genügte es, wenn es durch Poesie, Musik und Humor hohe Gefühle, vor allem Freude erwecke. Und darum gab er auch der „lustigen Person“ ihr Recht. So hatte er es schon in seinen poetischen Anfängen aus eigenem Antrieb gehalten und neben dem Götz satirische Schwänke in Hans Sachsens Weise gedichtet, so hatte er sich in seinen Maskenzügen und Festspielen, in seinen Singspielen für die Liebhaberbühne dem Geschmack der Herzogin Amalie anzupassen gewußt. Der Geschmack des Hofs wie des größeren Publikums ging auf Singspiele und Opern; Goethe kam diesem Geschmack entgegen, nur ließ er die beliebtesten Stücke durch Vulpius, Baron Einsiedel und den Konzertmeister Kranz in Text und in Musik veredeln. Allmählich führte er dann ohne Widerstand Mozarts alles verdrängendes Genie zum Sieg. So hielt er es mit Shakespeare, mit Schiller: erst hielt er sie zurück und ließ Iffland und Kotzebue regieren. Mit „König Johann“ und „Don Carlos“ lieferte er die ersten siegreichen Treffen. Von sich gab er lange Zeit nur Prosa: „Götz“, „Geschwister“, „Clavigo“ – „Tasso“ wurde von seinen Schauspielern unter Pius Alexander Wolff heimlich zu seiner Ueberraschung vorbereitet. Schließlich aber verlangte das Publikum mit Begierde nach dem, was er nur zögernd ihm als vorhanden gezeigt hatte. Doch noch im Jahre 1811, wo das klassische Drama in seinem Repertoire längst sich die herrschende Stellung erobert hatte, leitete er das Gastspiel in Halle mit einem Prolog ein, in dessen Anfang die Quintessenz der Gedanken im Faustvorspiel als ein Zugeständniß ans Publikum erscheint.

„Das Mannigfalt’ge vorzutragen ist uns Pflicht,
Damit ein jeder finden möge, was behagt.
Was einfach, rein natürlich und gefällig wirkt,
Was allgemein zu jedem frohen Herzen spricht.
Doch auch das Possenhafte werde nicht verschmäht,
Der Haufe fordert, was der ernste Mann verzeiht.
Und diesen zu Vergnügen sind wir auch bedacht:
Denn manches, was zu stiller Ueberlegung euch,
Zu tieferm Antheil rührend, anlockt, bringen wir,
Entsprossen vaterländ’schem Boden, fremdem auch,
Anmuthig Großes; dann das große Schreckliche.“

Als er im Februar 1802 seine bisherigen Erfahrungen als Theaterleiter in einem Aufsatz kurz zusammenfaßte, schrieb er im gleichen Sinne: „Das Theater ist eins der Geschäfte, die am wenigsten planmäßig behandelt werden können; man hängt durchaus von Zeit und Zeitgenossen in jedem Augenblick ab; was der Autor schreiben, der Schauspieler spielen, das Publikum sehen und hören will, dieses ist’s, was die Direktoren tyrannisirt und wogegen ihnen fast kein eigener Wille bleibt. Indessen versagen in diesem Strome und Strudel des Augenblicks wohlbedachte Maximen nicht ihre Hilfe, sobald man fest auf denselben beharret und die Gelegenheit zu nutzen weiß, sie in Ausübung zu setzen.“ Nur allmählich und ohne viel Aufhebens hatte er inzwischen seine eigenen Maximen geltend gemacht, die zuerst auf Veredelung des Spiels seiner Schauspieler und des Geschmacks seines Publikums gerichtet waren, um so den unentbehrlichen Boden zu schaffen für eine Blüthe der Kunst nach seinem Ideale auch in Bezug auf Auswahl des Besten unter den vorhandenen Bühnenstücken. Als Mittel bediente er sich desselben Kunstgesetzes, das später mit gleichem Erfolg die „Meininger“ aufnahmen: er suchte ein lebensvolles Zusammenspiel heranzubilden, bei welchem der erste wie der letzte sich verbunden fühle im gemeinsamen Werk der Hervorbringung eines Kunstganzen.

Während die Meininger aber dabei auf malerischbewegte Gesammtwirkungen ausgingen, schwebte dem Dichter der „Iphigenie“ in jener Zeit ein Ideal plastisch-rhythmischer Art vor, wie es unter dem Einfluß der Antike in ihm gereist war und – was nie vergessen werden sollte – unter dem Eindruck einer Künstlerin Form gewonnen hatte, einer Sängerin, die zugleich eine Sprecherin und Darstellerin von ureinziger Wirkungsmacht war, dieselbe, an welche denkend er seiner Iphigenie Leben und Gluth einhauchte, und welche, 1778 von Leipzig nach Weimar als Kammersängerin berufen, auch die erste Darstellerin derselben im Liebhabertheater des weimarischen Hofes wurde: Corona Schröter.

„Zum Muster wuchs das schöne Bild empor,
Vollendet nun, sie ist’s und stellt es vor.
Es gönnen ihr die Musen jede Gunst
Und die Natur erschuf in ihr die Kunst.
So häuft sie willig jeden Reiz auf sich,
Und selbst dein Name ziert, Corona, dich.
Sie tritt herbei. Seht sie gefällig stehn,
Nur absichtslos, die wie mit Absicht schön!
Und hocherstaunt seht ihr in ihr vereint
Ein Ideal, das Künstlern nur erscheint.“

So wie in diesen Zeilen, dem Ausdruck höchster Begeisterung, hat Goethe Corona Schröter wiederholt gepriesen als die Verkörperung,

  1. Näheres findet der Leser in den Schriften „Goethes Theaterleitung in Weimar“ von Ernst Pasqué (Leipzig 1863) und „Das Repertoire des weimarischen Theaters unter Goethes Leitung“ von Archivdirektor Burkhardt (Leipzig 1891).
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_315.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)