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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

heirathen. Niemals huschte auch nur ein Schimmer der Erkenntniß durch ihr unglückliches Gemüth, daß dieser ganze Zustand bloß durch ihre falsche Stellung zu Clairon hervorgerufen sei. Sie traf ihn zuweilen im Walde. Aber diese Begegnungen wurden für beide Theile immer qualvoller, und der erstaunte Ludwig, welcher in respektvoller Entfernung das Pferd seiner Herrin hielt, wurde Zeuge, wie diese an Clairons Schulter weinte, oder wie scharfe Worte hin- und herflogen, die er zwar nicht verstand, die aber sehr böse sein mußten, denn ohne Gruß, in hastigem Zorn, warf Clairon sich dann auf sein Roß und ritt davon.

Kaum war Lea allein, so verzehrte sie sich in Sehnsucht nach ihm und tausend innige Worte brannten ihr auf den Lippen, die sie ihm hätte sagen mögen. Und wenn sie ihn in Gesellschaft der andern sah, wo oft jede Gelegenheit zu einem unbewachten Wort fehlte, hätte sie sich am liebsten jauchzend an seinen Hals geworfen. Aber da sagten es ihm dann wenigstens ihre Blicke oder ein Lied, und niemals hatte sie schöner gesungen als jetzt.

Ja, das Ganze war ein schrecklicher und unertragbarer Zustand. Gegen die stille Schwester fühlte Lea auch oft einen feindseligen Zorn. Wie war es nur möglich, daß man diese stete, gleichmäßige Freundlichkeit zeigen konnte? Wie war es möglich, sich mit all dem öden Haushaltungskram so eifrig abzugeben? Welch ein Mangel an Poesie! Welche Aermlichkeit im Geist!

Es reizte Lea förmlich, zu versuchen, ob sie die Schwester nicht auch „zum Erwachen“ bringen könne, das heißt, ob sie ihr nicht das Gleichgewicht zu nehmen, ihr das Leben zu verleiden imstande wäre. Ihr schien, es hätte sie getröstet, auch Rahel an dem „Gitter des Käfigs“ rütteln zu sehen.

Da begab sich denn zuweilen etwas Seltsames. Rahel hatte eine Engelsgeduld mit der Schwester, welche sie für nervös leidend hielt. Aber sowie Lea ihren bittern Hohn über das Wesen und die Person Rahels ergießen wollte, sah diese sie still und groß an, und vor den klaren Augen verstummte Lea regelmäßig.

Nur die Gegenwart eines Menschen ließ die alte Lea wieder hinter den düstern Wolken glanzvoll hervortreten. Das war Lüdinghausen. Dieser sah das Mädchen immer nur von der Seite, wie sie an jenem ersten Abend sich gezeigt hatte. Sie wollte ihn erobern um jeden Preis und sagte sich, wenn so etwas wie Besinnung auf weibliche Ehre in ihr wach wurde, beschwichtigend: „Nachher kann ich ja noch immer thun, was ich will.“

Welcher Mann sollte aber das Entgegenkommen einer Frau nicht bemerken? Auch Erasmus Lüdinghausen durfte sich nicht verhehlen, daß Lea ihn sehr auszeichne. Natürlich war er, als der Erbe großer Reichthümer, solche Auszeichnung bis zum Ueberdruß gewohnt, und er hatte diese denn bis jetzt auch immer nur seinem Reichthum, nie seiner Person zugeschrieben.

Vorsichtig und langsam von Entschlüssen, wie er war, hatte er sich bisher von allen Frauen zurückgehalten und kannte nur eine genau, seine Mutter, die nun längst verstorben war.

Er dachte als Mann nicht gering von sich, hielt sich aber nicht für die geeignete Persönlichkeit, einem jungen Mädchen als Ideal zu erscheinen. Mangel an Enthusiasmus, Unfähigkeit zu romantischen Gefühlen, allzu große Kaltblütigkeit hielt er für seine Eigenschaften, die alle einem jungen Mädchen gegenüber zu schweren Fehlern werden mußten.

So war ihm seit dem Jahre, als er „seinen Regierungsassessor gemacht“ und der Vater ihn bei der Gelegenheit gebeten hatte: „heirathe recht bald,“ sein Schicksal vermeintlich vorgezeichnet. Er sah eine Verstandesheirath vor sich, im höchsten und edelsten Sinne. Er würde, so dachte er, ein Wesen heirathen, das in Bildung und Sitten ihm gleich sei, gleich hohe Lebensziele habe und wie er eine herrliche, aber auch pflichtenvolle Aufgabe darin sehe, auf den großen Besitzungen das Wohl Hunderter von Arbeiterfamilien zu fördern, ein Regent zu sein im kleinen, – ein Wesen, welches daneben alle die äußerlichen, glänzenden Eigenschaften zum Repräsentiren habe, die ihm fehlten. Gleichheit in der Auffassung der Pflichten schien ihm die einzig richtige Vorbedingung zum Glück.

Daß er dies alles und dazu noch Liebe finden sollte, däuchte ihm unwahrscheinlich.

Da sah er Lea von Römpker. In ihr fand er zunächst die äußerlichen Bedingungen alle erfüllt und das Unwahrscheinliche zur Thatsache werden: er wurde geliebt.

Er begann, sich in seinen Gedanken mit ihr zu beschäftigen und sich zu sagen: wenn die innere Gediegenheit ihres Wesens der äußeren Anmuth desselben entspräche, wäre sie die rechte Frau, um neben mir zu stehen in meinem zukunftigen ernsten und doch auch glänzenden Leben.

Ganz im geheimen regte sich auch in ihm das Selbstbewußtsein des Mannes. Er mußte sich sagen, daß Lea von Römpker gewiß ein außerordentlich viel umworbenes Mädchen, daß es bisher offenbar aber noch niemand gelungen war, tieferen Eindruck auf sie zu machen. Dazu befand sie sich zweifellos in der Lage, frei nach ihrem Herzen wählen zu können, und war über jeden Verdacht erhaben, daß sie etwa auf eine „reiche Partie“ gewartet hätte.

Hiernach mußte ihm ihr sichtliches Entgegenkommen als der unbewußte Ausdruck einer schnell entstandenen und unwiderstehlichen Neigung erscheinen, und er durfte sich wohl davon tief und schön berührt fühlen. Nur ein frivoler Mann wird sich aus leerer Eitelkeit darüber freuen, der Gegenstand einer ehrlichen Liebe zu sein, die er doch selbst nicht erwidert, während der ernste Mann dieses Bewußtsein nicht ohne Bewegung ertragen wird.

Der Wunsch, tiefer in ihre Seele blicken zu können, ward immer lebhafter in ihm und gab auch seinem Verkehr mit ihr allmählich den deutlichen Anschein, als werbe er um sie.

Während dieser Zeit schloß er sich sehr an Raimar an. Der heitere Mann, in dem eine Kinderseele lebte, gefiel ihm. Dazu war Raimar, als Römpkers Jugendfreund, der beste Kenner von Menschen und Verhältnissen des Römpkerhauses, und durch ihn konnte Lüdinghausen manch beleuchtendes und aufklärendes Wort hören. Der alte Junggeselle hatte gar keine Angehörigen außer einem leichtlebigen Neffen, dem er feindlich gesinnt war, seit derselbe Schulden gemacht und die Gläubiger auf des Onkels Tod vertröstet hatte. Sein ganzes Herz hing an den Römpkers und in Lea sah er das vollkommenste weibliche Wesen. Für ihn, der seit fünfundzwanzig Jahren nur selten mehr sein Gut und seinen Kreis verlassen hatte, war Lea die Vornehmheit, die Eleganz, der Geist und die Liebenswürdigkeit in Person. Dabei machte aber sein gerechtes Herz ihm stets Vorwürfe, daß er Rahel zurücksetze, und im Bemühen, auch sie herauszustreichen, nahm sein Ton immer etwas Mitleidiges an. Raimar war, gleich seinem Freunde Römpker, von dem lebhaften Wunsch beseelt, aus Lüdinghausen und Lea ein Paar zu machen, in der ehrlichen Ueberzeugung, daß diese beiden Menschen füreinander geboren seien. Und jedes Gespräch über die Familie Römpker artete demnach in einen Lobesgesang auf Lea aus.

So wuchs schnell der zweifelvolle Gedanke einer Werbung um Lea in Lüdinghausen zum Vorsatze heran, ohne daß dieser sich nur einmal gefragt hätte: liebe ich sie auch? Vielleicht nahm er die Erregung, in welche er allmählich hineingerieth, für beginnende Liebe und das Herzklopfen, welches ihn bei Leas Anblick befiel, für Verlangen.

Er ging soweit, an seinen Vater zu schreiben, daß er glaube, das Mädchen gefunden zu haben, welches er für werth halte, seine Zukunft zu theilen. Er nannte den Namen Römpker und fragte an, ob seinem Vater die Verbindung mit dieser Familie erwünscht sei.

An einem Morgen des Monats August bekam er eine Antwort, welche ihn ganz aus der Fassung brachte und beinahe das ganze, langsam aufgeführte Gebäude von Trugschlüssen umwarf, welches er sich für seine Zukunft aufgebaut hatte.

„Mein Junge,“ schrieb der alte Lüdinghausen, „Du hast mir da einen Brief geschrieben, der mir sehr mißfallen hat und in dem ich kein Tröpflein von meinem Blut verspüre. Zum Henker noch einmal, was geht’s mich an! Hättest Du geschrieben: ‚Vater, ich hab’ einen Engel, ein Mädel ohne gleichen gefunden, so was, was es nicht noch einmal auf der Welt giebt, und ob Dir’s recht ist oder nicht, Alter, ich heirathe sie, denn sie ist meiner und somit auch Deiner würdig‘ – ja, hättest Du das geschrieben, dann wäre ich mit einem Extrazug angekommen, um Dich und Dein Mädchen an mein Herz zu schließen. Denn ich will auch etwas von ihr haben. – Aber so! Auf Pedanterie verstehe ich mich nicht. Als ich um Deine Mutter freite, habe ich keinen Menschen vorher gefragt. Auf einmal wußte ich es, als sie und ich uns eines schönen Tages in die Augen sahen: die soll’s sein. Und so hat Deine Mutter es auch gefühlt. Es kann ja sein, daß ein so hochstudierter Mann wie Du anders

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_326.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2023)