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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Leo lachte auf. „Ich wüßte in der Gotteswelt keine Seele, die das riskiren möchte!“

„Keine?“

„Keine!“

„Hm! Ich wüßte eine, Leo. Viel ist’s freilich nicht, wenn Dir aber ein paar tausend Mark für den Anfang genügen –“

„Du?“ Es klang schier spöttisch. „Macht Dich Dein Glück so leichtsinnig?“

„Möglich Leo – Ich bitte Dich, nimm die paar lumpigen Kassenscheine, ich brauche sie augenblicklich nicht und Dir nützen sie; ich habe sogar noch so viel, daß ich ganz bequem mit Dir eine kleine Erholungsreise wagen kann.“

„Du wolltest mit mir fortgehen – von hier fort?“

„Allerdings!“

„Ich mache keine Erholungsreise!“

„Mir auch recht; – aber nimm das Geld.“

„Ich danke Dir, Wolf; ja, ich kann nicht anders – so schwer es mir wird.“

„Warum wird es Dir so schwer?“

Leo antwortete nicht. Er stand im Schatten und betrachtete das lächelnde Gesicht seines Freundes, das ein eigenartiger weicher Schimmer verklärte und aus welchem die hellen klugen Augen mit einem so ungewohnten sehnsüchtigen Ausdruck über die mondbeglänzte Lichtung hinwegschweiften, hinüber zu dem Wege, der sich in die schwarzen Tannen verlor, durch welche er thalabwärts führte nach der Hütte. Und Leo fühlte es heiß aufsteigen in sich; er mochte den Freund nicht mehr sehen in seiner glücklichen Sicherheit, in dem sehnsüchtigen Hinüberstarren.

„Ich bitte Dich, verlaß mich jetzt, Wolf,“ sagte er fast heiser, „ich bin todmüde.“

Der Dokor erhob sich. „Gute Nacht, Leo! – Und mach Dir keine Sorgen über die Rückzahlung, ich kann warten.“

Jussnitz antwortete abermals nicht. Er schloß kirrend das Fenster, ließ den Vorhang herab und warf sich in den Kleidern auf das Bett. Aber er sah doch nichts weiter vor sich als diesen mondbeleuchteten Pfad, der hinunterführte zu dem Paradiese, das er verloren. Und er mußte sich an die Bettpfosten klammern, um der Macht zu widerstehen, die ihn hinunter zog auf diesen Weg.




Drunten im Herrenhause schaffte die junge Frau unermüdlich vom Morgen bis zum Abend. Sie that alles mit einer Gründlichkeit, als dächte sie an nichts anderes als an das, was sie eben vorhatte. Nie nahm sie einen ihrer Befehle zurück, nie bemerkte man ein Schwanken in ihrem Wollen. Klar, bestimmt gab sie ihre Entscheidung in geschäftlichen Angelegenheiten, und ebenso klar und bestimmt in der Wirthschaft, wie in der Erziehung der Kleinen.

Von ihrem Gatten sprach sie nicht. Man hätte meinen können, sie habe den Mann, dessen Namen sie führte, längst vergessen oder – niemals geliebt. Die guten Freunde und Nachbarn, die von dem Trauerspiel in dem kleinen Försterhause gehört hatten und unter dem Vorwande, sich einmal nach Frau Antje umschauen zu wollen, vorgefahren kamen, zogen mit ungestillter Neugier wieder von dannen. Frau Antje empfing sie mit gemessener Freundlichkeit, ließ ihnen einen vorzüglichen Kaffee und Kuchen vorsetzen, zeigte den Frauen die Kleine, sprach mit den Herren von dem Bau des Hochofens, von der neuen Einrichtung ihres Walzwerkes und hatte auf die Fragen, wie sich denn Herr Jussnitz befinde, ein freundliches „Danke sehr – recht gut!“ in Bereitschaft, das allem weiteren Forschen ein Ziel setzte. Kein Mensch wußte weiter um den Verlust des Kapitals als der alte Kortmer; diesen freilich traf die Mittheilung so hart, als ginge es sein eigenes Vermögen an.

Antje stand ihm gegenüber bei der Eröffnung dieses Unglücks mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck.

„Wenn doch nur solche Herren Maler und dergleichen Menschen von Geldgeschäften wegbleiben wollten!“ jammerte der alte Herr. „Frau Antje, wie sollen wir das wieder einbringen?“

„Wir sparen, wir sparen!“ tröstete sie und lächelte mit blassen Lippen, „und Sibyllenburg wird verkauft, das Werthvollste steckt in Sibyllenburg, Herr Kortmer.“

„Ach, wer wird für solch altes Gerümpel wie Porzellan und Stoffe einen Pfennig geben, Frau Jussnitz,“ polterte der alte Mann, „das wird alles unecht sein; wer weiß, wie oft man ihn angeführt hat bei seinen Käufen?“

„Kortmer,“ sagte sie ernsthaft, „ich bezweifle nicht, daß Sie in geschäftlichen Dingen besser Bescheid wissen als Herr Jussnitz, von Kunstsachen aber wird er wohl mehr verstehen.“

Dem kleinen Herrn war das Wort abgeschnitten; er klagte nicht mehr, er half Ordnung ins Haus bringen. Sibyllenburg ward verkauft und es blieb nach Auszahlung der Differenzen noch eine kleine Summe übrig. Antje legte dieselbe stillschweigend bei Seite für den Fall, daß das Härteste eintreten, daß Leo etwa von ihr Geld verlangen sollte. – Sie ward schamrot bei dieser Vorstellung. In ihrem tiefsten Herzen litt sie unendlich bei dem Gedanken: was soll aus ihm werden? Eine Unterstützung in Form eines Kapitals durfte sie ihm nicht anbieten unter den gegenwärtigen Verhältnissen, es wäre ein Schlag gegen sein Ehrgefühl gewesen, ein Almosen, eine Bettlergabe. Besaß er noch die Kraft, sich geistig und körperlich aufzuraffen, um sich fortzuhelfen? Und doch, wenn noch die Fähigkeit in ihm war, sich zu retten, sich selbst zurückzugewinnen, so mußte sie sich jetzt zeigen, sie selbst aber durfte nicht anders erscheinen als hart, hart wie ein Stein.

Sie mußte den Dingen ihren Lauf lassen und müßig zusehen, ob er sich aus dem Wirrsal, in das er sich gestürzt, zu lösen imstande sei. Kein Mensch sah ihr unruhiges Herz. Es wurde immer erst wieder still und kalt, wenn sie sich an die kleine Schleife erinnerte, die seine Hand um klammert hielt, als er sterben wollte; aber dann war sie noch elender als vorher.

Maiberg sprach gar nicht mit ihr über Leo, wenn er herunter kam vom Försterhause, um im Gartensaal bei Frau Antje den Kaffee zu nehmen. Er pflegte dann nur zu sagen: „Alle Tage geht es vorwärts!“ und damit wußte sie ja genug.

Es waren recht wunderliche Nachmittage in dem traulichen großen Zimmer, das Antje sich nach ihrem Geschmack eingerichtet hatte. Von Stil keine Spur, und doch wie wahrhaft behaglich und vornehm, trotz der bunt zusammengewürfelten Möbel! Von der braungetäfelten Decke hing ein uralter Messingkronleuchter herab, der schon den Gästen des einstigen Besitzers zum fröhlichen Jagdbankett geleuchtet haben mochte. Vor den kleinen in Blei gefaßten Fensterscheiben hingen, weit zurückgenommen, bunte gewirkte Gardinen, die dem Sonnenlicht keineswegs den Eintritt verwehrten. Den glänzend gebohnten Fußboden bedeckte zum Theil ein farbenbunter Teppich, am Kamin stand vor einem zierlichen Bauernschemel Antjes Spinnrad. An den getäfelten Wänden standen schöne alte Schränke, einer im echtesten Rokoko gehalten, mit Elfenbeineinlage; der andere in Renaissance, auf dem in bunter Holzmosaik eine kunstvolle Tischlerarbeit, die Geschichte der Hochzeit zu Kana, prangte. Der Nähtisch am südlichen Fenster stammte von der Großmutter in Holland; das großmächtige behagliche Sofa, der kreisrunde Tisch davor und die Gesellschaft von Stühlen und Sesseln aus den verschiedensten Zeitaltern nahmen sich sehr einladend und gemüthlich aus. Für die Dekorirung der Wandgesimse und Wände hatte Antje die Rumpelkammer des Hauses geplündert, hatte alle Delfter Fayencen mit frischen Blumen gefüllt, nachgedunkelte Familienbilder in schwarze Rahmen gefaßt und so einen reizvollen Schmuck für die alte braune, mit goldgepreßten Arabesken verzierte Ledertapete hergestellt, die keine moderne Nachahmung in Farbenwirkung und Gediegenheit zu erreichen vermocht hätte. Und hier, vor der offenen auf die Veranda mündenden Thür, durch welche die goldig grünen Lichter des Gartens flutheten, saß man an den Nachmittagen, wenn der junge Arzt kam, saß Antje allein oder mit Hilde.

Hilde war noch immer da. Sie hatte, während Antje an Leos Krankenlager weilte, getreulich die Pflege der Kleinen fortgeführt, und jetzt, wo die alte Classen dieses Amt übernommen hatte, konnte Antje, ohne unartig zu sein, dem jungen Mädchen auch nicht sagen: „Verlaß mein Haus!“ – Und Hilde schien gar nicht daran zu denken, daß dies überhaupt möglich sei.

Antje ertrug des Mädchens Gegenwart, ertrug sie mit einem Stolz, der für Hildegard hätte peinlich sein müssen. wenn diese überhaupt noch aus einem gewissen träumerischen Hinbrüten aufgewacht wäre. Antje betrachtete sie zuweilen mit heimlicher Verwunderung; sie konnte so selig vor sich hinlächeln, und dann wieder flog ein schmerzlicher Zug um den kleinen Mund und eine Falte bildete sich zwischen den dunklen Brauen. In solchen Augenblicken war es, wo Antje meinte, sie denke an späteres Glück, oder sie habe Sorge um seine und ihre Zukunft. Zuweilen lief Hilde

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_335.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2023)