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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

kläglich. „Nun müssen Sie mit uns vorlieb nehmen. Ach, und wie wird Römpker ärgerlich sein!“

„Ja, Alide sagte noch eben: es ist doch zu schade, daß Römpker aus ist,“ fügte Fräulein Malchen hinzu.

Beide Damen hatten sich erhoben und umstanden ihn. Es fehlte nur noch, daß sie die Hände rangen.

Fräulein Malchen trug an ihrem magern, vorgebeugten Körper ihr bekanntes schwarzes Seidenkleid und in ihren knochigen Händen ihr Strickzeug. Frau von Römpker sah auch gerade so aus wie immer, dasselbe Spitzenhäubchen, dasselbe dunkelfarbige Seidenkleid.

Lüdinghausen bat, sich zu den Damen setzen zu dürfen. Beide fingen gleich ihre Handarbeiten wieder an, aber das befriedigende Gespräch über alle Leiden und Sorgen dieses Lebens konnten sie nicht wohl fortsetzen. Beide dachten angestrengt nach, welches Thema wohl geeignet wäre, um den Herrn Landrath zu unterhalten, der ihnen, besonders Fräulein Malchen, einen unbegrenzten Respekt einflößte. Aber es fiel ihnen nichts ein.

„Die Damen sind Jugendfreundinnen?“ fragte Lüdinghausen endlich.

Sie sahen sich glücklich an.

„Ja,“ antwortete Frau von Römpker, „wir sind zusammen aufgewachsen, und es war ein so lieber Zufall, daß Malchens Bruder gleich nach meiner Heirath hierher versetzt wurde. So brauchten wir uns nicht zu trennen.“

„Alide sagte noch vorhin, was für ein Glück es gewesen sei, daß wir uns nie zu trennen brauchten,“ bemerkte Fräulein Malchen.

Nun riefen sie sich gegenseitig ihre Jngendgeschichte wach. Diese war offenbar so einförmig wie die Stimmen, mit welchen sie vorgetragen wurde.

Draußen brütete Mittagsschwüle und an der Fensterscheibe surrte ein großer, blauer Brummer auf und ab.

Lüdinghausen war kein nervöser Mensch, aber er fing an, unter einer Ungeduld zu leiden, die er bisher nicht an sich gekannt hatte.

Wo doch nur Lea blieb? Oder wenn wenigstens Rahel gekommen wäre! Und diese „wenigstens“ kam denn auch.

Schnell und frisch trat sie herein – ein vollkommener Gegensatz zur Schwüle draußen und zur Trägheit hier innen. Sie hatte ein dunkles Perkalkleid an mit einem Ledergürtel. Man konnte sich unmöglich einfacher kleiden. An ihrem Arm trug sie ein Körbchen. Ueber ihr Gesicht flog helle Röthe und mit einem freudigen Lächeln streckte sie Lüdinghausen die Hand hin.

„Ich habe eben erst erfahren, daß Sie hier sind, und komme, nach Ihrem Wohlergehen zu schauen,“ sagte sie vergnügt. „Daß Sie verschmachtet sein müssen, nehme ich ohne weiteres an, und hier ist Ludwig mit allerlei kühlen Sachen.“

Wie auf das Stichwort erschien Ludwig zwischen den Thürvorhängen mit einem Brett voll Flaschen und Gläser. Eine thauig beschlagene kalte Flasche Rheinwein ist auch für einen wenig materiellen Menschen ein guter Anblick nach einem Ritt durch Sonnenschein und Staub. Lüdinghauseu empfand plötzlich brennenden Durst und dankte Rahel erfreut.

„O, daß ich nicht daran dachte – wie unverzeihlich von mir! Nein, wie das auch passieren konnte!“ klagte Frau von Römpker.

„Und vorhin sagte Alide noch: wir wollen doch gleich dafür sorgen, daß der Herr Landrath etwas Kühles bekommt,“ bemerkte Fräulein Malchen.

Rahel lächelte in sonniger Schelmerei: Fräulein Malchen hob immer hervor, was ihre Alide alles gesagt und gewollt hatte, das kannte man schon. Sie bediente schnell und geräuschlos den Gast.

„Mama,“ begann sie dann, „Löhnert ist wieder da.“

„Aber Kind, wie kannst Du eine solche Geschichte in Gegenwart des Herrn Landrath … Ich begreife nicht! Verzeihen Sie tausendmal, Herr Landrath,“ bat Frau von Römpker. Fräulein Malchen sah ihre Freundin nur an, um durch einen Blick anzudeuten, daß auch sie mißbillige.

„Eine Geschichte, die keinen Aufschub leidet. Sie werden gewiß begreifen und verzeihen, Herr Landrath, daß wir trotz Ihrer Gegenwart die Geschäfte des Tages verhandeln, besonders, da es sich um das Wohl und Wehe einer ganzen Familie handelt,“ sagte Rahel. Und ehe er noch eine Silbe der Höflichkeit antworten konnte, sprach sie weiter, so gleichsam über ihn hin, als sei es nebensächlich, was er sagen würde.

„Meine Meinung ist es, daß wir dem Löhnert keinen Pfennig mehr geben.“

„Aber mein Kind, wie grausam Du bist! Du hast kein Mitgefühl für die Leiden Deiner Nächsten. Wenn Lea das hörte, Lea, die jedesmal ihre ganze Börse leert, wenn man kommt und ihr klagt! Ich bitte Dich, wir können die Löhnerts doch nicht umkommen lassen. Man wird sagen, wir seien hart. Und das erzeugt Feindschaft in diesen schrecklichen Zeiten. Löhnert ist so wie so ein rabiater Mensch. Er kann unser Schloß anzünden, uns nachstellen. O Gott!“

„Alide bemerkte gerade noch vorhin, daß man bei diesen Zeitläuften doppelt gütig sein müsse,“ sagte Fräulein Malchen.

Lüdinghausen sah auf Rahels Gesicht einen harten Zug. War es Ungeduld oder Spott? Es war ein Ausdruck, vor welchem er beinahe erschrak.

„Mir scheint, wir haben für diese Löhnerts soviel gethan, daß wir sie durch dies ‚Thun‘ ins Verderben trieben. Wir haben die Wohlthaten so um sie gehäuft, daß sie darin erstickten und verlernten, sich selbst zu rühren. Wir haben mit ihnen gewissermaßen den Sport des Gutthuns betrieben,“ erwiderte Rahel.

Lüdinghausen fühlte deutlich, daß dieses „wir“ eigentlich „Ihr“ heißen sollte. Er war hoch erstaunt und keineswegs angenehm davon berührt, die „unbedeutende Rahel“ in diesem Ton reden zu hören. Ihr Gebahren erschien ihm als das rechthaberische Auftreten eines Mädchens, welches noch kein Urtheil hat und sich in Dinge mischt, über die mitzusprechen es nicht befugt ist.

„Ist es unbescheiden, daß der Zeuge nach dem Thatbestand fragt?“ sagte er.

„Sie werden ihn schlimm genug finden. Dieser Löhnert war viele Jahre Knecht bei uns, seine Frau Großmagd. Zehn Jahre hatten die Menschen uns treu und bescheiden gedient. Daß wir sie bei ihrer Heirath gut ausstatteten, war selbstverständlich. Daß ihnen eine Käthnerstelle mit sechzig Morgen Land dazu gekauft wurde, war fast zu viel, aber es hätte noch hingehen mögen, wenn diese Großmuth den Leuten nicht zu Kopf gestiegen wäre. Sie glaubten, daß ihre Verdienste um uns doch wohl sehr große gewesen sein müßten. Sie überhoben sich Gleichgestellten gegenüber durch herrisches Gebahren und wirthschafteten, als seien sie reiche Leute mit unerschöpflichen Geldquellen. Dabei fuhren wir fort, ihnen jede Bitte zu gewähren, ihnen aus jeder Verlegenheit zu helfen. Es kamen Kinder, wir standen Gevatter und sorgten für alles. Längst schien ihnen ein Recht der Forderung, was unsererseits nur Güte der Gewährung war. Endlich fing der Mann an, zu trinken und die Frau zu mißhandeln. Ihre Einsicht erwachte nun, doch zu spät. Der Konkurs stand vor der Thür. Wir wollten ein Gewese nicht so untergehen sehen, das wir gegründet. Wir halfen. Es ging von neuem der böse Tanz los. Wir halfen noch einmal. Und nun ist Löhnert zum dritten Mal da und fordert Geld. Zweihundert Thaler. Dabei riecht er nach Schnaps.“

Rahel hatte das alles mit ihrer klaren Stimme und ihrem festen Vortrag gesprochen, wie man von einer Sache spricht, über welche es keine verschiedene Meinung mehr geben kann. Die Mutter begleitete ihre Rede gelegentlich mit zustimmendem Kopfnicken und sagte jetzt weinerlich: „Aber wir können die Leute doch nicht bankerott werden lassen. Ich traute mich aus Angst vor Löhnert dann nicht mehr in den Park.“

„Was dachten Sie denn zu thun?“ fragte Lüdinghausen, der schnell von seiner Meinung zurückkam, daß Rahel kein Urtheil habe. „Sie wird von ihrer bedeutenden Schwester manches gelernt und gewonnen haben,“ dachte er.

„Ich hätte wohl einen festen Plan,“ sagte sie. Aber ihr Gesicht bekam einen versteckten Ausdruck. Was hätte es ihr geholfen, geradeheraus eine Meinung zu sagen. Richtig fiel Frau von Römpker schon ängstlich und eilig ein:

„Nein, wir dürfen nichts thun. Mein Mann ist nicht da; Rahel, so gehe und trage Lea die Sache vor!“

Rahel, immer mit dem merkwürdig verschlossenen Gesicht, ging hinaus, die Treppe hinauf und trat bei der Schwester ein. Diese ward dadurch aus allen möglichen Träumereien aufgeschreckt, denen sie sich gerade vor dem Spiegel hingegeben. Sie hatte sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1891, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_342.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)