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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

von gelblicher Farbe und etwa Erbsengröße, das im Dunkeln, besonders wenn es erwärmt wurde, ein grünliches phosphorescirendes Licht gab. Auf den ersten Blick glaubte ich, daß es aus Baryumsulfat bestehe, dem bekannten ‚Schwerspath‘, von welchem einige, namentlich bei Bologna vorkommende Spielarten (Bologneserstein) die Eigenthümlichkeit besitzen, nach stärkerem Erhitzen über Kohlenfeuer selbstleuchtend zu werden. Bei genauerer Untersuchung fand ich indeß, daß es ein Chlorophan war, eine selten vorkommende Abart des Flußspathes (Fluarcalcium). Ein Stück dieses Minerals, über einer Spiritusflamme erhitzt oder in kochendes Wasser geworfen, leuchtet mit schön grünem Glanze, solange die Wärme anhält. Einige Arten sind so empfindlich, daß schon ein kurzes Erwärmen in der geschlossenen Hand genügt, um sie stundenlang im Dunkel scheinen zu lassen. Der berühmte Berliner Mineraloge Gustav Rose erzählt, daß er auf seiner Reise mit Ehrenberg und Humboldt durch das Altaigebirge gelegentlich im Kiesgeschiebe des Irtisch bei Krasnojarsk Chlorophankiesel entdeckt habe, die mit herrlichem Glanze allnächtlich schimmerten, ohne eine andere Art von Erwärmung als die durch die Sonnenstrahlen des Tages erfahren zu haben.

Die Art, wie der Tamule sich des Najâ-Kallu bemächtigt hatte, war höchst merkwürdig. Lange vor Sonnennntergang schon hatte er den erwähnten Tamarindenbaum bestiegen und seinen Sitz auf einem der Aeste genommen, welche gerade über dem Lieblingsplatze der Schlange sich ausbreiteten. Als die Nacht hereinbrach, und der Kuli die Schlange sammt ihrem leuchtenden Steine wieder auf der alten Stelle gewahrte, leerte er einen mitgebrachten großen Sack voll Asche über denselben aus. Der dichte Aschenregen bedeckte augenblicklich den Kallu mit einer dicken Schicht, während das erschreckte Reptil, nach einer Weile fruchtloser Nachforschung, schließlich in das Dschungel zurückkroch. Der weniger durch Muth als durch Verschlagenheit ausgezeichnete Kuli beeilte sich keineswegs, seinen geschützten Posten zu verlassen, sondern verbrachte die ganze Nacht auf dem Baume und dachte erst an das Hinabklettern, nachdem die Sonne aufgegangen war und er sich versichert hatte, daß das Thier fort und die Luft rein war. Dann durchstöberte er sorglich den Aschenhaufen und fand den Stein. Vor meiner Abreise entdeckte ich selber noch drei weitere Exemplare.

Und nun komme ich zur Erklärung dieses scheinbaren Wunders. Die Cobras sind möglicherweise die einzige Schlangenart, die sich von Insekten nährt. Sie verzehren Ameisen, Heuschrecken, gewisse Käfer etc., scheinen aber eine besondere Vorliebe für „Feuerfliegen“ zu haben, vielleicht weil sie dieselben bei Nacht mit größerer Leichtigkeit erbeuten als andere Kerfe. Oft habe ich stundenlang Cobras belauscht, wie sie im Grase jene Leuchtthiere erhaschten, indem sie sich blitzschnell auf sie stürzten, eine Bewegung, die das Thier sichtlich recht anstrengt. Nun weiß jeder Insektenkenner, daß die fliegenden Lampyriden nur aus Männchen bestehen. Die Weibchen, weit geringer an Zahl, sind größer und können nicht umherschwärmen, da ihre Flügel verkümmert sind. So sitzen sie ruhig im Grase, ein grünes Licht ausstrahlend, welches dasjenige der männlichen Thiere an Stärke weit übertrifft und in regelmäßigen Fristen zu- und abnimmt. Bewacht man eine Zeitlang solchen „Glühwurm“, so beobachtet man ein stetiges Zuströmen von männlichen Insekten dorthin, die in nächster Nähe des Weibchens sich niederlassen.

Nun giebt der Najâ-Kallu, dieser kleine Chlorophankiesel, im Dunkeln ein grünliches Licht, das so leicht mit dem einerweiblichen Lampyride zu verwechseln ist, daß man ohne Mühe mittels desselben die fliegenden Männchen ködern kann. Allmählich sind die Cobras dahin gelangt, aus einer, wie ich glaube sagen zu dürfen, seit Jahrtausenden von ihnen gemachten Erfahrung Nutzen zu ziehen. Häufig kann es sich ereignen, daß eine Cobra einen dieser Leuchtsteine im Geröll ausgetrockneter Bäche antrifft, wo sie keineswegs etwas Seltenes sind, und, durch seinen nächtlichen Schein angezogen, ihn für eine Feuerfliege hält. Jedenfalls würde sie bald darauf aufmerksam werden, daß die Leuchtthiere weit müheloser in der Umgebung eines solchen schimmernden Kiesels zu fangen sind als anderswo, und daraufhin gewohnheitsmäßig jene Stelle wieder besuchen. Mehrere Cobras mögen so zusammentreffen, dann müßte nothwendig alsbald ein Wettbewerb um den nützlichen Stein entstehen, und von diesem Augenblick an bis zu der Erkenntniß, daß der Erfolg in Erbeutung der Nahrung vom Besitze eines derartigen phosphorescirenden Kiesels abhängt, und bis zu der Aneignung desselben mit der Absicht, einer Mitbewerberin zuvorzukommen, ist meiner Meinung nach kein sehr großer Schritt und setzt keine außergewöhnlichen Verstandeskräfte voraus.

Auch scheint mir Grund vorhanden zu der Annahme, daß nicht unumgänglich eine eigene selbstgewonnene Erfahrung nothwendig sei, um irgend ein Cobraexemplar zu dieser Handlungsweise zu veranlassen, sondern daß auch eine ganz junge Schlange instinktmäßig einen gefundenen Chlorophan in der beschriebenen Art anwenden wird. Denn es muß ausdrücklich betont werden, daß unter niederen Thieren ein gewisses durch Vererbung übertragenes Rassengedächtniß besteht, das oft weit stärker als das während der kurzen Lebensdauer des einzelnen Individuums erworbene sich erweist. Auch für weit höher stehende Thiere gilt dies. Was, um ein Beispiel anzuführen, veranlaßt ein blindes junges Kätzchen, zu speien und zu fauchen, seinen Rücken drohend in der bekannten Weise zu krümmen, wenn ihm ein Hund nahe kommt? Es sah niemals einen solchen – dennoch weiß es, daß etwas Gefahrdrohendes sich vor ihm befindet, und wählt das herkömmliche Mittel zur Abwehr.

Soweit der Bericht Hensoldts. Ich habe seine merkwürdigen Beobachtungen unverkürzt hier wieder gegeben, da der Gegenstand es mir werth schien. Ob seine Erklärung der seltsamen Erscheinung – welche ich, im Gegensatz zu der unbewußt von zahllosen niedern Thieren durch Färbung, Leuchtvermögen und anderes ausgeübten Kunst des Täuschens, als willkürliche Mimicry[1] bezeichnen möchte – ob diese überall Anklang finden wird, ist freilich eine andere Frage. Die Nothwendigkeit der Annahme eines Gattungsgedächtnisses steht wohl noch nicht außer allem Zweifel, das Gegentheil, Mittheilung jener Fertigkeit von einem Individuum zum andern, anzunehmen, scheint mir auch etwas gewagt. So muß denn die wissenschaftliche Erklärung bis auf weiteres im Hintergrunde bleiben und der Leser sich an der merkwürdigen Erscheinung selbst genügen lassen.

Aber einen andern Punkt möchte ich noch kurz berühren. Fast in allen Schlangensagen, besonders den deutschen, finden wir eine Art von Gemeinschaft zwischen Schlangen und glänzenden Mineralien, wie ich es eingangs schon angedeutet habe. Vor allem sind es kostbare, mit geheimnißvollen Kräften begabte Steine, als deren Trägerinnen und Wächterinnen die Schlangen auftreten. Besonders hübsch erzählt dies die in der Grimmschen Sammlung mitgetheilte Sage über die Gründung der „Wasserkirche“ in Zürich durch Karl den Großen: eine Schlange, durch den Machtspruch des Kaisers von ihrer Feindin, einer großen Kröte, befreit, bringt jenem aus Dankbarkeit im Munde ihren Schatz, einen funkelnden Edelstein, herbei.

Ist nun, so möchte ich fragen, diese Verbindung von Schlange und Stein im Reiche unserer Sagen und Märchen etwas rein Zufälliges oder liegt etwa eine poetische Verherrlichung des funkelnden starren Auges jener Reptile darin ausgedrückt? Hat man vielleicht früher auch bei einer insektenverzehrenden europäischen Schlange – undenkbar wäre es ja nicht – eine ähnliche Fangmethode beobachtet, wie wir sie oben kennengelernt haben? Oder endlich: liegt jenen Mythen vielleicht eine dunkle Erinnerung an die Cobra selbst zu Grunde, sind jene Erzählungen, ihrem thatsächlichen Kerne nach, etwa schon vor vielen Jahrtausenden mit den nach Westen aufbrechenden arischen Stämmen aus der alten Heimath am Indus und Ganges in Europa eingewandert?

Wie dem auch sei, die Hauptsache bleibt, daß die schönen Beobachtungen des amerikanischen Forschers uns eine neue interessante Stelle in „dem unendlichen Geheimbuche der Natur“ kennen gelehrt haben, die wohl geeignet ist, im Vereine mit so manchen andern überraschenden Entdeckungen der neuesten Zeit die Richtigkeit eines echten Philosophenwortes zu bekräftigen:

„So vorsichtig im Glauben, so vorsichtig im Unglauben.“




  1. Unter „Mimicry“ versteht man die Nachahmung bestimmter Thiere durch andere, welche letzteren dadurch, daß sie den ersteren nach Gestalt, Färbung, Zeichnung, Bewegungsweise etc. bis zur Verwechselung gleichen, gewisse Vortheile im Daseinskampf erlangen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_348.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2023)