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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

nur in – in Leas eitlen Einbildungen besteht. Ich flehe Dich an: verhüte ein Unglück! Mehr: verhüte eine Schändlichkeit! Gieb es nicht zu, daß man diesen Mann betrügt! Sprich mit Lea!“

Nun wurde es Herrn von Römpker aber wirklich zu bunt.

„Laß mich zufrieden mit solchen verrückten Einfällen,“ sagte er heftig und schüttelte Rahels Hände von sich. „Wie kann ich mich und Lea vor Lüdinghausen so lächerlich machen! Sie hat Ja gesagt und damit basta!“

Er ging davon und ließ Rahel stehen. Diese sah ihm nach mit großen, traurigen Augen. Ihr Herz war unaussprechlich betrübt. Sie fühlte, daß es ihrem Vater zu – unbequem war, sich in diese Angelegenheit zu mischen, und ein bitteres Lächeln schlich um ihre Lippen.

Sie versuchte, sich zu fassen, sich auf die Pflichten zu besinnen, die ihrer noch im Hause harrten. Es wurde ihr schwer. Sie konnte nur an Lea denken und versuchte sich einzureden, daß sie sich doch täuschte. Wie sollte Lea denn auch Clairon erwartet haben, für dessen Kommen heute und bei diesem Wetter doch gar keine Wahrscheinlichkeit vorlag!

Das bißchen mühsam zusammengesuchte Vertrauen sank aber jäh wieder zusammen, als Ludwig mit der Meldung in die Wirthschaftsräume kam, daß soeben Rittmeisters und der Graf Clairon fast zugleich mit Raimar angelangt seien.

So hatte sie ihn bestellt gehabt und ihn erwartet, um ihm ihre Verlobung mitzutheilen – oder wußte sie von derselben noch nichts, als sie an Clairon schrieb? Wann hatte sie ihm geschrieben und durch wen?

Sekundenlang kämpfte Rahel mit dem Wunsch, Ludwig zu fragen: Haben Sie einen Brief meiner Schwester besorgt? Aber ihr Stolz verbot ihr das.

Bleich, doch ziemlich gefaßt begab sie sich in die Wohnräume. Sie war entschlossen, zu beobachten, sie sammelte ihre Kräfte.

Die Gesellschaft war sehr laut und lustig. Römpker freute sich ungemein, daß Rittmeisters, die er nicht hatte einladen dürfen, von selbst gekommen waren. In Clairons Anwesenheit sah er einen „gesunden Zufall“, man konnte da gleich und ein für alle Mal mit dem früheren Bewerber Leas den rechten, unbefangenen Ton herstellen und Clairon mußte Haltung bewahren, selbst wenn’s ein wenig schmerzte. Lüdinghausen war noch etwas ernster und stiller als sonst. Er hielt sich aber stets in Leas Nähe und machte es ihr unmöglich, mit Clairon ein unbewachtes Wort zu reden. Auch Rahel bewegte sich immer in Hör- und Sehweite, und Lea fühlte dunkel, daß dies nicht, wie bei Lüdinghausen, harmlos geschah.

Ihre Augen brannten, ihre Kniee bebten. Wenige Minuten noch und man ging zur Abendtafel, und dann hörte Clairon die Wahrheit, ohne daß sie ihm ein kleines, ein armes Zeichen davon gegeben, wie ihre Seele litt und sich nach ihm sehnte.

Sie setzte sich an den Flügel und begann zu präludieren. Rahel sah, daß Lüdinghausen und Clairon neben der Spielerin standen, es war dieselbe Gruppe wie damals, als Lüdinghausen zum ersten Mal vertrauensvoll der Gast dieses Hauses gewesen war, wo man ihn jetzt betrog. Betrog? Wirklich? War denn jede Täuschung darüber ausgeschlossen?

Rahel fuhr zusammen. Ja, nun gab es keinen Zweifel mehr.

In dem Wahn, daß die Sprache der Töne allen Anwesenden ein Geheimniß sei, am meisten aber der überwachenden unmusikalischen Schwester, griff Lea eine Reihenfolge nur zu bekannter Akkorde:

„Mit meiner Seele glühendstem Ergusse
Sei mir gegrüßt, sei mir geküßt.“

Und in Clairons Augen leuchtete der Gegengruß auf. Er verstand, was die Geliebte ihm sagte.

„Was spielen Sie?“ fragte Lüdinghausen.

„Phantasien,“ sagte Lea und ging leise in solche über.

„Bitte zu Tisch!“ rief Herr von Römpker. Lüdinghausen bot Lea den Arm.

„Papa,“ raunte Rahel und erhaschte mit ihren eiskalten Fingern seine Hand.

„Was denn wieder?“

„Es kann, es darf nicht sein!“

„Ach, Unsinn! Ich verbiete Dir, noch eine Silbe davon zu sprechen. Du erzürnst mich ernstlich.“

Er bietet der Frau des Rittmeisters den Arm, der Rittmeister nimmt Frau von Römpker und Raimar führt Rahel, während Clairon, ohne Dame, es gewandt einrichtet, daß er an Leas anderer Seite bleibt. Die kleine Tafelrunde schließt sich.

Rahel ist stumm und ihr Gesicht weiß wie das eines Todten.

„Bist Du krank, mein Kind?“ fragt Onkel Raimar. Das Aussehen des immer rosig blühenden Mädchens erschreckt ihn.

Sie hört ihn gar nicht. Sie sieht nur immer starr ihren Vater an. Diesen ärgert ihr Blick, dem er zuweilen wider seinen Willen begegnen muß und der ihm allen Appetit an dem trefflichen Vorgericht verdirbt.

So viel Ueberspanntheit hätte er Rahel nicht zugetraut. Aber freilich, sie spielt bei jeder Gelegenheit irgend einen „sittlichen Grundsatz“ aus. Sie ist pedantisch, ein bißchen engherzig und gar zu unbeholfen. Allein das gute Kind wird sich schon beruhigen, wenn man ihr beweist, daß Clairon die Sache, ebenso wie Lea, als ein „Märchen aus uralten Zeiten“ ansieht. Daß das „Märchen“ überhaupt Lüdinghausen etwas angehe, begreift er gar nicht. Er versteht Rahel nur soweit, daß sie fürchtet, Lea könnte mit der alten Liebe im Herzen elend werden. Und das ist ja am Ende auch ganz schwesterlich gedacht. Deshalb muß man ihr wohl dies Benehmen verzeihen.

Ludwig trägt die erste Schüssel ab. Lea hat ganz gefaßt, nur etwas ernster und eintöniger als sonst mit Lüdinghausen gesprochen, während sie unter dem Tisch leise ihren Fuß neben denjenigen Clairons gestellt hat.

Da erhebt sich Herr von Römpker und schlägt an das Glas. Lea erbleicht und preßt ihren Fuß enger an den Clairons. Lüdinghausen sieht ernst vor sich hin.

Rahel, wie von einer Macht, der sie gehorchen muß, willenlos emporgezogen, steht mit vorgeneigtem Leibe da, ihren Vater anstarrend.

„Meine Freunde,“ beginnt Herr von Römpker, „ein artiger Zufall hat Sie heute in dies Haus geführt, wo die Freude eingekehrt ist.“

„Ah,“ sagt die kleine Baronin ganz laut und sieht Lea lachend an.

„Sie stehen mir alle zu nahe durch die innigen Beziehungen langer Freundschaftsjahre, als daß ich mit Ihnen an einem Tisch sitzen könnte, ohne Ihnen, vorerst im Vertrauen, eine Neuigkeit mitzutheilen …“

Da fällt ein Glas, und kurz klirrt es von den zusammenbrechenden Scherben auf. Rahel hat es umgestoßen und eine Sekunde lang schaut der Redner auf sie, auch die andern sehen flüchtig nach ihr.

„Eine Neuigkeit,“ fährt Herr von Römpker fort.

„Eine Neuigkeit,“ sagt Rahel laut und schwer und hält sich mit der rückwärtsgreifenden Hand an ihrer Stuhllehne, ihre Stimme übertönt die des Vaters und macht diesen vor Schreck verstummen.

Dann setzt sie hinzu, mit eherner Härte im Ton:

„Meine Schwester Lea hat sich mit dem Grafen Robert Clairon verlobt.“

Und sie sinkt auf ihren Stuhl zurück, bleich, mit geschlossenen Augen, nicht ohnmächtig. aber unfähig, zu sehen, zu sprechen, eine Hand zu bewegen. Doch hört sie alles.

Eine lähmende Stille folgte zunächst ihren Worten.

Jeder fühlte und sah: da war etwas Ungewöhnliches, etwas Unerhörtes geschehen, Rahel hatte diese Worte unbefugt gesprochen.

Herr von Römpker verlor jede Fassung. Er wollte sprechen, sagen, daß Rahel phantasiere, sie hinausführen lassen, er wollte eine Erklärung an Lüdinghausen, eine andere an Clairon richten. Aber die Worte blieben ihm im Halse stecken, was er auch hätte sprechen können, wäre verkehrt gewesen, alles eine Taktlosigkeit, welche diese Lage nur verschlimmern konnte. Er wagte nicht, Lüdinghausen anzusehen, noch weniger Lea.

(Fortsetzung folgt.)



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_360.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)