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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nonnen und Mönche fast die Hände über die schmale Wasserstraße hinüber reichen konnten, Hilfe zu bringen wagten.

So erzählte mir im Vorüberfahren Giacomino, der wie immer an Geschichten unerschöpflich war. Wer, der je den Golf besuchte, hätte nicht von Giacominos Geschichten gehört? Er ist das wandelnde Sagenbuch der ligurischen Küste. Und da er gewissenhaft immer mit denselben Worten erzählt, so kann ich die meisten seiner Geschichten auswendig, brauche also nur noch mit einem Ohr zuzuhören, während das andere dem sanft klatschenden Eintauchen der Ruder lauscht.

Inzwischen hat der Mond seine flimmernde goldene Straße von Ufer zu Ufer gezogen, auf dem Tino flammt das elekrische Licht auf und wirft, sich im Kreise schwingend, starke blitzende Strahlen über das verdunkelte Wasser. Ich wickle mich in mein Mäntelchen, strecke mich auf der Ruderbank aus und noch in den dämmernden Halbtraum hinüber folgt mir Giacominos Lieblingsgeschichte von dem Nationalhelden von San Terenzo, dem tapfern Banditen Giuseppe Suffardi, für dessen todten Leib eine schöne Gräfin vergeblich sein ganzes Gewicht in Gold geboten hat.

Doch nicht lange dauerte dieser weltabgeschiedene Zustand. Eines Tags, als ich wieder in eifrigem Müßiggang am Strande saß, meine Haare an der Sonne trocknend, und einem Seesterne zusah, der sich langsam in dem Sande unterm Wasser vor mir in Drehbewegungen zwischen Moos und Gesträuchen hinwand, legten sich mir plötzlich zwei kleine warme Hände über die Augen, ich fühlte nach den runden Fingern, die mit zahlreichen Ringen besetzt waren, und rief: „Clelia!“

In der That, sie war es, meine gute Freundin vom vergangenen Jahr, die Frau des deutschen Botanikers. Sie hatte sich „emancipirt,“ wie sie sagte, und war allein gekommen, da sie hörte, ich sei schon hier, denn ihr Mann, der ewige Wanderer, hatte eine Reise nach dem hohen Norden angetreten.

Das also bedeutete der endlose Zug von Koffern und Kisten, der sich vorhin wie eine Völkerwanderung den Solaro herabgewunden hatte – Signora Clelias Gepäck für die Sommermonate! Da stand sie vor mir, unruhig und glitzernd wie ein Stern, und schon wieder voll Begier nach etwas Neuem, noch nicht Dagewesenem.

Kaum hatte sie an meinem nassen Kopf gesehen, daß ich eben aus dem Bade kam, als sie auch schon die Lust anwandelte, entgegen dem italienischen Vorurtheil, das erst vom 15. Juni an die Seebäder gestatten will, ebenfalls mit ihrer Badekur sofort zu beginnen.

Das hat nun aber seine Schwierigkeiten, denn die Kabinen sind natürlich noch nicht aufgeschlagen, und so vom Kahn aus unter freiem Himmel in die Fluth zu springen, das erscheint Signora Clelia als ein unnatürlicher Gewaltakt. Daher beschließen wir ein freundlich Wörtlein mit dem Inhaber des „Stabilimento“, der Badeanstalt, zu sprechen, ob er nicht von der Regel eine Ausnahme machen und uns vorläufig eine Badehütte aufrichten wolle.

Der Badebesitzer, der im Ort, Gott weiß warum, den Spitznamen „Il Principe“ führt – denn alles „Fürstliche“ liegt seinem Wesen und Anstand fern – steht eben hemdärmelig am Strand und betrachtet zufrieden die vielen im Meeresgrund eingerammten Pfähle, welche die Säulen seines Wohlstandes sind, da er auf ihnen in ein paar Wochen wieder die Bretterbude aufzurichten gedenkt, aus der ihm seine Einnahme für das ganze Jahr quillt. Der „Principe“ ist eine der wunderlichsten Figuren, die mir jemals vorgekommen sind. Wer seinen Kopf ansieht, diesen runden, mit dichtem bürstenartigen Haar bestandenen schwarzen Kürbis, der sucht unwillkürlich nach dem Buckel, der von Rechtswegen zu einem solchen Kopf gehört. Aber der „Principe“ hat keinen Buckel. Erst nach einigem Forschen entdeckt das Auge die Ursache des Mißbehagens, das diese Gestalt einflößt. Ein mächtig entwickelter Brustkasten ruht ganz unvermittelt auf einem schwächlichen schwankenden Säulenpaar, das unter dieser Last bei jedem Schritte umzuknicken scheint. Der „Principe“ schiebt sich deshalb auch nur mühsam und schwerfällig vorwärts und legt sich jahraus, jahrein keine andere Beschäftigung auf, als hemdärmelig mit gekreuzten Armen auf das Meer hinauszublicken, sein Ackerland, das ihm ungepflügt goldene Früchte trägt.

Doch, o Macht des Vorurtheils! Der Mann blieb taub für die Honigzunge der Signora, die ihn einmal über das andere „caro principe, principino mio“ nannte, taub selbst für meine Vorstellung, daß ihm diese Bäder außerhalb des Abonnements mehr eintragen würden, als er uns während der ganzen Saison berechnen dürfte. Er erklärte rundweg, kein Badinhaber, „der etwas auf sich halte,“ werde vor dem 15. Juni seine Anstalt eröffnen, er habe das immer so getrieben und es sei dem Menschen nicht gut, alte Gewohnheiten mit einem Schlag zu ändern.

„So baden Sie dach in der Vallata drüben,“ fügte er schließlich hinzu, als er unsere Verstimmung sah. „Eine schönere Badewanne würden Sie am ganzen Golf vergeblich suchen, und dazu haben Sie dort noch einen Sand so weich wie ein persischer Teppich.“

In der That ist diese tiefe Einbuchtung zwischen San Terenzo und Lerici, die unter dem Namen La Vallà im Volksmund geht – gerade die Mitte des Bogens, an dessen äußersten Enden die beiden eifersüchtigen Ortschaften liegen, – einer der schönsten Punkte im Golf von Spezia, aber der Weg dahin führt auf baumloser Straße über die erste und schroffste Steigung des „Solaro“ und ist deshalb bei einer Temperatur wie der unsrigen wenig verlockend.

Das gab ich dem „Principe“ zu bedenken, allein er erwiderte gelassen: „Warum machen Sie es nicht wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_365.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)