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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

verstehen, aber ich folge der Richtung ihrer Hand, die nach dem Meere hinausdeutet, und sehe dort ein riesiges dunkles Etwas wie einen Walfisch auf der Fläche treiben und sich mit den lächerlichsten Bewegungen hin und her drehen und wälzen. Bald lag es unter Wasser und schien zu versinken, bald bäumte es sich wie von einem Peitschenhieb getroffen hoch auf und reckte einen halbabgelösten Balken wie einen Riesenarm zum Himmel, dann legte es sich auf die Flanke und entblößte trauervoll eine eisenbeschlagene Bretterwand. Jetzt überschlug es sich plötzlich und streckte, auf dem Rücken liegend, eine hölzerne Treppe in die Luft.

Giacomino stand lachend neben mir.

„Das ist eine von den neuen Kabinen des ‚Principe‘,“ sagte er. „Der Mann ist ganz außer sich, er schwört, Sie hätten sein Kasino verhext und ihm alles Glück fortgetragen.“

Giacomino, der menschenfreundliche Giacomino, macht sich über das Unglück seines Nächsten lustig! Das brächte meine ganze Psychologie ins Wanken, wenn mir nicht noch rechtzeitig einfiele, daß der „Principe“ aus Lerici ist.

Als er noch sprach, tönte ein Schrei vom Quai herüber. Eine Welle, größer und stärker als die übrigen, hatte sich über den Hafendamm bis vor die Thür des Apothekers gestürzt und unterwegs an der armen Signora Clelia und ihrem nagelneuen Kleide ihr Müthchen gekühlt.

Nun war für die nächste Zeit nicht mehr ans Baden zu denken. Der „Principe“ hatte seine Kabinen geschlossen und die Wassertreppen hoch hinaufgezogen, damit sie ihm nicht von der Fluth zertrümmert würden. Desto weiter hatte er aber die gastlichen Thüren seines Kasinos aufgethan, und der gut gesinnte Theil der Badegesellschaft, das heißt diejenigen, die ihr Abonnement bezahlt hatten und ihre Bäder in der „Amphitrite“ nahmen, verbrachte dort die Nachmittage, die Damen mit bunten Stickarbeiten beschäftigt, die Herren rauchend und Zeitungen lesend oder an dem neu eingerichteten Dominotisch. Abends wurde zum Schein der qualmenden Petroleumlampen getanzt und das Gequiekse der Drehorgel übertönte oft noch die Donnerstimme der Wogen.

Daß wir beide, Clelia und ich, uns wie die verstoßenen Engel an dem Thore dieses Eden vorüberdrückten, versteht sich von selbst.

Doch solche Vereinsamung vermochte uns nicht einzuschüchtern, und der erste klare Sonnenschein, der wieder über San Terenzo aufging, sah uns auch schon unterwegs nach der Vallata. Heute mußten wir sogar unser Badezeug selber tragen, denn Oscarino war nirgends zu finden.

Und siehe, da stand auch der „Principe“ wieder unter seinem Kasino. Er grüßte tiefer als sonst, indem er uns mit einem feierlichen „buon bagno!“ ein gesegnetes Bad wünschte. Täuschte ich mich oder sah ich etwas wie stille Schadenfreude um seine Mundwinkel zucken?

Allein kaum hatten wir ein paar Schritte längs der Mauer auf dem schmalen vom Meer beleckten Sandstreifen gemacht, als wir stehen blieben und uns mit zweifelnden Blicken ansahen. Zwischen Sand und Kies sickerte Wasser hervor und durchfeuchtete unser Schuhwerk. Und doch war dies die trockenste Stelle; sobald sich der Boden ein wenig senkte, vielleicht schon hinter der nächsten Mauerecke, mußte die Nässe sich vermehren.

Wäre nur ein Boot erschienen, um uns mitzunehmen, mit ein paar Ruderschlägen hätten wir die Vallata erreicht.

Aber alle Fahrzeuge sind auf hoher See, denn nach solchen Sturmtagen gehen die Bewohner der Tiefe am leichtesten ins Netz, und am fernsten Saume des Horizonts blähen sich in Reih und Glied Dutzende und Dutzende milchweiß schimmernder Segel.

Inzwischen suchte ich das wankende Gemüth der Signora Clelia zu stärken, indem ich ihr vorstellte, wie beschämend ein Rückzug für uns wäre, denn unter der Thür des Kasinos erwartete uns unfehlbar der „Principe“, und er würde sich’s nicht nehmen lassen, im Vorbeigehen zu fragen, ob das Bad erquickend gewesen sei.

Sprungweise mußten wir uns vorwärtsbewegen, indem wir die breitesten und trockensten Steine auswählten; aber immer nässer wurde der Pfad, so daß uns nichts mehr übrig blieb, als nach Landesbrauch Schuhe und Strümpfe abzustreifen und bis zu der Loggia des alten Maccaranipalastes zu waten. Jenseits lag ja eine Strecke festen Landes, mit Kiesgeröll beworfen, welche zu den Klippen führte, und dann waren wir in solcher Höhe über dem Meeresspiegel, daß uns das Wasser nichts mehr anhaben konnte.

Also schnell einen forschenden Blick in die Runde, der uns überzeugt, daß wir allein sind mit Luft und Meer und mit den Vögeln des Himmels, die jenseit der Mauern zwitschern. Signora Clelia ergiebt sich lachend ins Unvermeidliche, wir entledigen uns beide der Fußbekleidung und waten mit geschürzten Kleidern vorwärts.

Indessen welch ein Marterweg war dies! Clelia jammerte laut auf, als sie mit den zarten Füßchen auf die groben Kieselsteine trat, und wäre ohne meine Hilfe zweimal geradezu ins Wasser gestürzt.

Und dabei stach die Sonne, gegen die unsere großen Strohhüte nur mangelhaften Schutz gewährten, mit voller Juligluth herunter. Wir dankten Gott, als wir endlich die geschundenen Sohlen auf die Pflastersteine der Veranda setzten.

Aber ach, jetzt konnten wir erst sehen, daß das Stück Festland, das sonst hier zwischen dem Meer und der zurücktretenden Parkmauer lag, vom Wasser aufgesogen war, – das Meer umspülte heute selbst die Stufen der Veranda. Deshalb also waren wir keiner Seele auf dem ganzen Weg begegnet! Und nun glaubte ich auch zu verstehen, weshalb uns der „Principe“ so höhnisch nachgelächelt hatte.

Ueber unseren Rückzug will ich schweigen, er hat sich auf lange Zeit in unsere Erinnerung schmerzlich eingeprägt.

Die Sonne, die unterdessen ein gut Stück höher gestiegen war, brannte immer stärker, das Wasser, das um diese Stunde noch nicht durchheizt ist, glitzerte so verlockend kühl, und dort stand richtig noch der „Principe“, der unsere Rückkehr abgewartet hatte, und grinste uns von weitem entgegen. Nein, diese Miene war nicht zu ertragen, das sagte selbst Clelia trotz der geschundenen Füße.

Wir hatten jetzt die Wahl, ob wir für heute und so lange der hohe Wasserstand anhielt, auf das Bad verzichten oder beim „Principe“ zu Kreuz kriechen wollten.

Indeß, es blieb noch eine dritte Möglichkeit; ich hätte sie freilich nicht vorzuschlagen gewagt, aber der Anstoß ging von Clelia

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_367.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)