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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

des Werkes förderlich sein kann, ganz gewiß das Aeußerste gethan wird, um bei den Mannschaften der Stationen Lust und Liebe zur Sache wach zu halten. Nicht nur, daß diese seetüchtigen und gut geschulten Mannschaften für jede Uebungsfahrt ihre bestimmte Löhnung, für jede Rettungsfahrt den doppelten und bei Rettungsfahrten unter besonders schwierigen Umständen (Nacht, Eis etc.) sogar den dreifachen Satz erhalten; nicht nur, daß die Gesellschaft für jedes gerettete Menschenleben eine Extraprämie von 20 Mark zahlt (übrigens gleichviel, ob diese Rettung von den Stationsmannschaften und mit den Rettungsgeräthschaften der Gesellschaft erfolgt oder nicht) – sie hat auch das Leben eines jeden einzelnen Mannes der Station versichert, so daß sich keiner dieser Wackeren während des Kampfes gegen die brüllenden Wogen in seiner Thatkraft und seinem Wagemuth von dem Gedanken behindert fühlen soll: was wird aus Weib und Kindern, wenn du bei der Rettung anderer selber „ausbleibst“!

Und es giebt nichts, was diese Tapferen zurückhält, wenn irgend woher bei Tag oder in der Wintersturmnacht ein Bote zur Station jagt mit der Meldung: „Schiff in Noth!“ Man muß sie nur einmal gesehen haben, wie sie in wenigen Minuten das Boot zu Wasser lassen und den Kampf mit der empörten See aufnehmen, um ihr mit eigener Lebensgefahr ihre Opfer zu entreißen. 1868 Menschenleben haben sie bis zum 1. Januar dieses Jahres vor dem sicheren Wellentode bewahrt, also durchschnittlich in jedem Jahre 76! Angesichts dieser Zahlen bedarf es gewiß keiner weiteren Ausführung mehr über das segensreiche Wirken der Gesellschaft – und hoffentlich auch keines besonderen Ansporns, ihr als Mitglied beizutreten oder doch ab und zu ein Scherflein in die kleinen, roth und weißen Sammelbüchsen zu stecken, die uns in so vielen öffentlichen Räumen, Wirthsstuben etc. in Gestalt eines kleinen Rettungsbootes zurufen: „Gedenket Eurer Brüder zur See!“ Jeder Pfennig hilft ja mit, ein Menschenleben zu retten und eine Familie vor bitterer Noth oder doch vor tiefstem Herzenskummer zu bewahren! Noch wissen es nicht alle, die gern hilfsbereit wären, was selbst die kleinste Gabe hier Gutes zu wirken vermag, wenn sie zum Ganzen fließt. Und wenn am Vierteljahrhundertstage der Gesellschaft viele Tausende von nah und fern an die idyllischen Ufer des Wannsees strömen, um das „Kaisermanöver“ einer Normalrettungsstation auf der mächtigen Wasserfläche dieses Havelsees mitanzusehen, die prächtigen Rettungsboote im Gebrauch zu bewundern und eine „Rettung durch die Luft“ vermittels des genial einfach konstruirten Raketenapparates zu bestaunen… möge da recht vielen Tausenden die Bedeutung und der Segen der „Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“ zum Bewußtsein kommen und sie veranlassen, das Ihrige zu thun, und sei es noch so wenig, um diesem wahrhaft national-deutschen Werke zu immer größerer Ausdehnung, zu immer glänzenderen Siegen im Kampfe gegen Noth und Tod zu verhelfen!

Blätter und Blüthen.

Ein geschichtlicher Roman von Ernst Wichert. Einer unserer gediegensten Romanschriftsteller ist Ernst Wichert, mag er sich nun auf geschichtlichem Boden bewegen oder in Genrebildern das Volksleben schildern. Die starken Wurzeln ihrer Kraft hat seine Muse in der ostpreußischen Heimath des Dichters: in seinen litauischen Dorfgeschichten giebt er uns von Land und Leuten treue, lebensvolle Schilderungen, ansprechende Genrebilder von großer Anschaulichkeit, und in seinen geschichtlichen Romanen erscheint er als der Walter Scott Ostpreußens; er erinnert mehr an den ausgezeichneten englischen Schriftsteller als Gustav Freytag in seinen „Ahnen“ und Felix Dahn in seinen Völkerwanderungsromanen; er hat mit Walter Scott das verweilende Behagen in der Beschreibung und Schilderung gemein, und wie dieser und die erwähnten deutschen Schriftsteller hat er die gründlichsten geschichtlichen Studien gemacht. Sein „Großer Kurfürst“ ist ein Werk, in welchem ostpreußisches Leben aus jener Zeit warm pulsirt und zugleich der Hintergrund von Stadt und Land treu und farbenreich ausgemalt ist. Die hervorragenden Männer sind scharf charakterisiert; am schärfsten hebt sich das Bild des bedeutenden Fürsten von den Gruppen der handelnden Gestalten ab.

Besondere Anziehungskraft hat auf den Dichter die Geschichte des Deutschen Ordens ausgeübt. In seinem „Heinrich von Plauen“ hat er eins der interessantesten Kapitel derselben, deren Held lebhafter Antheilnahme gewiß ist, mit einer oft dramatischen Lebendigkeit ausgeführt; in seinem neuesten Romane, „Tileman vom Wege“ (Leipzig, Carl Reißner), schildert er uns den Orden bereits im Niedergang; er führt uns eine der bewegtesten und unglücklichsten Epochen desselben vor, wo sich die Städte und Ritter der von ihm beherrschten Lande gegen ihn empören und einen Bund schließen, durch den zuletzt die Polen mit ihrem König Casimir ins Land gerufen werden und vieler Städte, auch der Marienburg, sich bemächtigen. Die Seele dieses Bundes ist der Bürgermeister von Thorn, Tileman vom Wege, der zugleich eine persönliche Unbill zu rächen hat, da der Hochmeister des Ordens, Ludwig von Erlichshausen, früher seine Frau verführt hat. Diese hat Tileman weit fortgebracht und im Walde ausgesetzt; er hält sie für todt; doch sie lebt mit ihrer Tochter Ursula als eine Waldfrau in der Nähe von Heilsberg und wird allmählich in den Kreis der Handlung wieder mit hereingezogen. Dem tyrannischen ingrimmigen Tileman vom Wege steht der zum Orden haltende wackere Bürgermeister von Marienburg, Bartholomäus Blume, gegenüber, welcher die Stadt tapfer gegen die Bündischen und die Polen vertheidigt und nach der Erstürmung derselben hingerichtet wird. Die Liebe seiner Tochter Magdalena zu Jost, dem Sohne des Thorner Bürgermeisters, und seines Sohnes Marcus zur Tochter der Waldfrau, Ursula, bildet den romantischen Einschlag in das geschichtliche Gewebe. Auf den ernsten Leser, der ein Bild jener Zeit, der damals sich bekämpfenden Interessen, der handelnden Personen und ihrer Beweggründe gewinnen will, wird der Roman große Anziehungskraft ausüben, denn oft wird der Romanschriftsteller vom Geschichtschreiber abgelöst. Alle Leser aber werden sich an der lichtvollen Deutlichkeit erfreuen, mit welcher die Vorgänge uns vor Augen gestellt werden, an den Schilderungen der Ordenswirthschaft in der Marienburg und den andern Schlössern, der Thorner Unruhen, der Kämpfe und Belagerungen und der eingeflochtenen anmuthigen Naturbilder, wie der innigen Herzensneigungen, die zum Theil nach flüchtiger Abirrung zum dauernden Bunde führen.

Das Telephon im Eisenbahnbetriebe. Verhaltnißmäßig beschränkt ist die Anwendung des Fernsprechers auf den deutschen Eisenbahnen; allenfalls auf Nebenbahnen oder als Verständigungsmittel auf großen Bahnhöfen und mit dem verkehrtreibenden Publikum hat man ihn zugelassen, soweit man glaubte, etwas „Schriftliches“, wie es der Morseapparat giebt, entbehren zu können. Als eine wesentliche Neuerung muß es daher bezeichnet werden, daß die österreichische Staatsbahn begonnen hat, den Fernsprecher auch beim Vollbetriebe nutzbar zu machen, zunächst als Verständigungsmittel bei außergewöhnlichen Anlässen wie Störungen auf der Strecke, Liegenbleiben der Züge bei Schneeverwehungen u. dergl. Der Chef des österreichischen Telegraphenwesens, Oberinspektor Franz Gattinger, hat zu diesem Zwecke einen eigenartigen Apparat hergestellt, der, nur 6 kg schwer, in den Zügen mitgeführt und sammt der dazu gehörigen Batterie leicht getragen werden kann. Gleiche Apparate befinden sich auf den Stationen. Will man von der Strecke aus mit den nächsten Stationen sprechen, so bedient man sich eines zusammenlegbaren, mit Leitungsdraht versehenen Bambusstabes, hängt denselben an einem zu dem Zwecke angebrachten Haken an der Telegraphenleitung auf, stellt die Verbindung mit dem vorher mit der Batterie verbundenen Apparat selbst durch eine Klemmschraube her, giebt dann das Zeichen zum Wecken – und das Gespräch kann beginnen. Eine besondere Leitung ist nicht nothwendig, da die als solche benutzte Morselinie hierdurch nicht die geringste Störung erleidet. Vor einiger Zeit wurden zwei solcher Apparate von einem stehen gebliebenen Zuge aus zwischen Hütteldorf und Purkersdorf eingeschaltet; in drei Minuten war die Streckenstation eingerichtet und ummittelbar darauf meldete sich Station Purkersdorf zum Gespräch – die Verbindung mit der Welt war fertig.

Eine Bühne unter Wasser. Das Wiener Karlstheater führte kürzlich ein englisches Stück auf, „Ein dunkles Geheimniß“, in welchem ganz neue theatralische Wirkungen zur Geltung kamen. Ein Ingenieur aus England hatte ein großes Wasserreservoir in die Versenkung des Theaters gebaut und eine Schwimmkünstlerin aus Amerika hatte die wichtigste Rolle durchzuführen. In dem Stück wird ein junges Mädchen, eine reiche Erbin, von ihren Verwandten nachts an die Themse geschleppt und trotz erbitterten Kampfes und lauter Hilferufe ins Wasser geworfen. Sie schwimmt zu der Stelle zurück, wo ihre Mörder stehen, jammert und klagt, doch sie wird in die Fluth zurückgeschleudert. Da kommt ihr Bräutigam des Wegs und rettet sie. Es spielen außerdem in dem Stück noch zwei vollendete Morde und zehn Mordversuche. Nach dem schrecklichen Nachtbild aber folgt ein Bild des Friedens: eine Regatta auf dem wirklichen Wasser. Mehr Lebenswahrheit können doch die Apostel der jüngsten Richtung nicht vom Theater verlangen. Schiller freilich singt:

„Doch siegt Natur, so muß die Kunst entweichen!“

Gehobelte Handtücher. Es giebt noch recht viele Völker im dunklen und dunkelsten Afrika, im fernen Asien und auf entlegenen Südseeinseln, welche Handtücher nicht kennen, und Taschentücher, wenn sie solche bekommen, lieber zu Kleidungsstücken verwenden. In den Küchen solcher Barbaren giebt es auch keine Wisch- oder Polirtücher. Gemeiniglich ersetzt das Gras diese uns so unentbehrlich scheinenden Leinwandstücke. Um so mehr müssen wir den Erfindungssinn eines im fernsten Norden, an der Grenze der Tundra, wohnenden Völkchens bewundern, das, wenn wir so sagen dürfen, Handtücher aus Holz bereitet. Wenn wir tiefer in die sonst einfachen Geheimnisse der Toilette der Ostjakendamen blicken, so erfahren wir, daß jede derselben ein Säckchen trägt (wie bei uns die Damen auf dem Nachmittagswege zu einer Kaffeegesellschaft), in dem sich die „gehobelten“ Handtücher befinden. Mit einer Art Hobel wird nämlich von den Bewohnern der Tundra Lärchen- und Weidenholz fein geschabt und die Späne bilden alsdann eine weiche elastische schwammartige Masse, die sich ganz gut zum Abtrocknen von Gesicht, Händen und manchmal

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