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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ihrem Gepäck, denn das hübsche Köpfchen der Signora warf von Zeit zu Zeit phantastische Blasen auf, die der Gatte geschickt auf das unschädliche Gebiet der Toilette abzulenken verstand.

Ich redete ihr also ein, daß sie sich reizend ausnehmen müßte im kurzen grünen Jagdkleid, das kleine Filzhütchen auf dem Kopf, mit dem Gewehr auf der Schulter in den frischen Morgen hineinwandernd. Das zog; sie freute sich schon auf das halbe Dutzend Vögel, das sie schießen, und auf die Ueberraschung des Malers, wenn sie ihre blutige Beute aus der Jagdtasche hervorholen würde als Zugabe für den Frühstückstisch.

Als wir aber am andern Morgen zeitig aufbrechen wollten, fand sich’s, daß die Patronen fehlten, sie waren bei der Abreise vergessen worden. Indeß durch eine solche Kleinigkeit ließ sich Signora Clelia nicht in ihrem Jagdvergnügen stören – war doch der Schaden ganz auf seiten des Malers.

Büchse und Jagdtasche wurden also dem kleinen Oscarino umgehängt, der uns auch heute begleiten durfte. Die Signora war wirklich zum Entzücken hübsch in dem grünen, nur bis zu den Knöcheln reichenden Röckchen, dem weißen Westchen mit Goldverschnürung und den hohen Stiefelchen von rothem Leder. Sie wußte es auch und dieses Bewußtsein hielt sie kühl, wie hätte sie es sonst bei solcher Temperatur erträglich finden können in Tuchkleid und hohen Schnürstiefeln? Denn natürlich, die Sonne stand schon hoch, wir hatten ja mehr als eine Stunde über dem Suchen nach den Patronen verloren.

Oscarino ließ den Hahn der Büchse klappen und gab drei stumme Salutschüsse ab, als wir endlich das Thürmchen erreicht hatten.

Der Maler, der uns von weitem entgegengekommen war, führte uns unter einem Rebenspalier durch, das schon große Beeren zeigte; dahinter waren Stakete angebracht, an denen sich prächtige rothe Tomaten unten am Boden hinrankten. Wir traten in einen kühlen, gepflasterten Hof, wo unter einem mächtigen Feigenbaum ein paar Stühle aufgestellt waren. Der Maler zog einen der schwerbehangenen Aeste nieder, daß wir die appetitlichen Früchte brechen konnten.

„Das ist meine Küche, mein Speiseschrank und Eßtisch,“ sagte er, während wir uns mit Wonne an dem triefenden rothen Fleisch labten.

Auf der linken Seite des Gehöfts lag noch ein niedriges schuppenartiges Gebäude, wohl ursprünglich ein Stall, das aber jetzt einen höheren Beruf erfüllte. Im Vorbeigehen hatte sich mir nämlich durch das tiefgelegene Fenster, dessen Scheibe völlig ausgebrochen war, ein seltsamer Anblick geboten. Fast die Hälfte des Gelasses nahm ein rohgemauerter Herd mit großem schwarzen Kamin ein, worauf allerlei unerforschliche Gegenstände untergebracht waren, im leeren Raum befand sich ein mehrschläfriges Bett – jedenfalls die Lagerstätte einer ganzen Familie. Daneben saß mit dem Rücken gegen das Fenster ein Mann in wollenem Hemd, mit schwarzem wirren Haar, der einem schreienden Kind große Mengen Brei mit einem Holzlöffel in den Mund stopfte. Ein paar Ziegen spazierten frei durch das Zimmer.

Der Maler führte uns die Thurmtreppe hinauf in sein Atelier, ein hohes, fast leeres Zimmer mit Fenstern nach allen Seiten, wovon aber drei mit alten Shawls und Strohmatten verhängt waren. Eine Staffelei mit einem großen Stück Leinwand, das uns vorerst nur die Kehrseite zeigte, ein paar an die Wand gelehnte Bilder, gleichfalls mit dem Rücken nach dem Beschauer, ein Tischchen, worauf Pinsel und Palette lagen, das war die ganze Ausstattung, denn die Stühle hatte der Hausherr zu unserm Empfang in den Hof getragen.

Er nahm das Bild von der Staffelei, drehte es um und begann im Tone eines Cicerone:

„Hier sehen Sie ein Bild des berühmten Giorgio Mauro, darstellend den Ueberfall eines Postwagens auf der Magrabrücke durch den Briganten Giuseppe Suffardi –“

Er konnte nicht weiter reden, denn Clelia war mit einem Schrei zurückgeprallt.

„Um Gotteswillen! Sehen Sie doch, erkennen Sie ihn?“ rief sie, mich am Arm schüttelnd.

Ich trat nahe an das Bild heran und sagte, im höchsten Grad betreten: „Bei Gott, er ist’s!“

„Was soll das heißen? Wen haben Sie erkannt?“ fragte der Maler, auch seinerseits betroffen.

„Einen unsrer Briganten aus der Vallata,“ sagte ich, „hier der vorderste, der den Pferden in die Zügel fällt –“

Aber Clelia faßte den Künstler am Arm und rief außer sich:

„Reden Sie. Wie kommen Sie zu diesem Gesicht? Wer hat Ihnen zu dem Briganten Modell gestanden?“

„Um Gotteswillen, Signora, beruhigen Sie sich,“ beschwor der Maler. „Hier liegt ein Irrthum vor –“

„Keineswegs,“ sagte ich, „der Kerl ist zu gut getroffen: das sind die buschigen Brauen über den starken Augenknochen – und sehen Sie her – ich müßte lachen, wenn es nicht zu unheimlich wäre – hier ist sogar der durchlöcherte Hut, aus dem der wilde Haarbüschel hängt.“

„Aber das ist ja mein eigener Hut!“ betheuerte der Maler; „ich habe ihn mir zu dekorativen Zwecken so zugestutzt, und das mit dem Haarbüschel ist meine eigenste Erfindung.“

„Gleichviel,“ sagte ich, „wir müssen wissen, wer Ihnen Modell gestanden hat.“

„Nein, das wird zu arg,“ rief nun der Maler. „Mein Modell ist mein eigener Hauswirth, die ehrlichste Haut von der Welt. Er nennt zwar nichts sein eigen als dieses alte Gemäuer, eine Vigne und einen Ziegenstall, der ihm zugleich als Küche und Familienzimmer dient, aber sein Herz denkt nicht an solche Gaunerstreiche. – Hier kommt er übrigens soeben über den Hof! – Nicola! Nicola!“ rief er zum Fenster hinaus.

„Jesus Maria!“ schrie Clelia, „ich will ihn nicht sehen, ich habe noch genug von damals, – lassen Sie ihn nicht herein! – O Gott, in welche Mördergrube sind wir gefallen!“

Sie flatterte wie ein erschrockenes Vögelein in dem Thurmgemach umher, aber das Verbot kam zu spät.

Schon polterte es an der Thür und ein paar Sekunden darauf stand der Unhold vor uns. Er war es, vom Scheitel bis zur Zehe, der erste, der uns damals in der Vallata angeredet hatte. Mir lag noch der dumpfe Ton im Ohr, mit dem er mir „un soldo, Signora!“ zugeraunt hatte. Nur daß er in dem grauen Wollhemd mit Beinkleidern, die ihm zu den Knöcheln herabreichten, und mit Holzschuhen an den Füßen denn doch bei weitem vertrauenerweckender aussah als damals. Das straffe, in langen Strähnen herumhängende Haar und der verwilderte schwarze Bart waren freilich noch abschreckend genug, aber die Augen blickten jetzt mit gutmüthigem und respektvollem Ausdruck, während er grüßte und unter der Thüre auf Befehle wartend stehen blieb. Auch gab ihm die abgezogene rothe Zipfelmütze, die er in der Hand hielt, einen leisen Anflug von Komik, der ungemein ermuthigend auf uns wirkte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_384.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)