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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Sagt, Nicola, habt Ihr diese Damen schon irgendwo gesehen?“

Unser Unhold stotterte ein verlegenes „Nein“, das aber so aufrichtig klang, daß ich sofort die Ueberzeugung gewann, er erkenne uns nicht.

Ich trat deshalb nahe auf ihn zu, blickte ihm fest in die Augen und sagte:

„Habt Ihr uns nicht vor sechs Wochen drunten in der Vallata, als wir im Bade waren, um ein Almosen angesprochen?“

„O Gott!“ rief er unbedacht, und ein Strahl des Erkennens flog über seine Züge. Er machte auch gar keinen Versuch mehr, zu leugnen, sondern drehte rathlos die Zipfelmütze in den Händen. Endlich stammelte er:

„Signora, ich bin ein guter Kerl – der Herr Maler kann es Ihnen bezeugen, daß ich ein guter Kerl bin, keiner Mücke thäte ich etwas zu leide – – und wäre es nicht, um dem ‚Principe‘, der mein Gevatter ist, einen Gefallen zu thun – wir sollten Sie ja auch nur ein wenig anbetteln, nichts weiter! – Ach, Signora, Sie werden doch einen Vater von fünf Kindern nicht ins Unglück bringen wollen!“

Während er sprach, sahen wir drei uns in die Gesichter. Es zuckte von verhaltenem Lachen um Clelias Mund, die sich abwandte und ans Fenster trat, um das Verhör nicht zu unterbrechen. Nur der Maler schien seinen fragenden Blicken nach den Zusammenhang nicht gleich begriffen zu haben.

„Also der ‚Principe‘ hat Euch zu diesem Streich angespornt?“ fragte ich ernst. „Wißt Ihr, welche Strafe auf dem Vagabundieren und Betteln steht?“

„Ach, Signora!“ jammerte der Mann.

„Was sagte Euch denn der ‚Principe‘?“ forschte ich weiter.

„Signora, ich will alles erzählen; er kam zu mir herauf, denn er bezieht den Ziegenkäs von mir. Da wollte er auch das Zimmer des Herrn Malers sehen und, neugierig wie er ist, dreht er das angefangene Bild auf der Staffelei um.“

„Nicola!“ rief hier der Maler empört, „Ihr wißt, daß ich niemand erlaube, meine angefangenen Bilder zu betrachten.“

„Verzeihen Sie, lieber Herr,“ sagte Nicola in neuem Schreck und schlenkerte seine Hand, als ob er sie verbrannt habe, während er unsicher von einem Bein aufs andere hüpfte. „Ich konnte nichts dafür, und er stellte das Bild auch gleich wieder hin. Sie müssen wissen, daß ich ihm noch ein Stück Geld schuldig bin von damals, als ich die Vigne kaufte – ich zahle ihm zwar regelmäßig den Zins, aber Sie wissen, wer Schulden hat, der ist kein freier Mann, er hätte mir ja die Summe kündigen können! – Also wie er mich da auf dem Bilde sieht, sagt er: ‚Nicola‘, sagt er, ‚so wie Ihr dasteht, könntet Ihr mir einen rechten Gefallen thun‘. – ‚Euch zu dienen‘, sage ich. – ‚Geht einen dieser Tage‘, sagt er, ‚in diesem Aufzug nach der Vallata, nehmt womöglich noch ein paar andere mit.‘ sagt er, ‚die eben so schön sind, und wenn Ihr dort jemand von der Badegesellschaft findet –‘“

Hier konnte Clelia nicht länger an sich halten, sie brach in ein lautes Gelächter aus, in das wir andern einstimmten, auch der entlarvte Räuber, der nun sah, daß das Wetter für ihn günstig war.

„Ich muß gestehen, Nicola, Ihr habt Eure Sache gut gemacht. Ihr saht wirklich einem Spitzbuben zum Verwechseln ähnlich.“

„Ich werde doch wissen, wie ein Brigant aussieht,“ meinte er jetzt, sich in die Brust werfend. „Ich habe nicht umsonst seinerzeit den Feldzug in der Basilikata mitgemacht. Wie viele habe ich da –!“ Er hob die Hände ans Gesicht, als lege er ein Gewehr an die Wange, und machte mit dem Zeigefinger die Bewegung des Abdrückens. – „Ja, fragen Sie nur den Herrn Kapitän unten in der Villa Petriccioli, der war mein Vorgesetzter.“

„Nun, Nicola, was hat Euch denn der ‚Principe‘ als Sündenlohn gegeben?“

„Jedem eine Cigarre, Signora,“ sagte der Mann. „Aber keine von der Regie – um ein solches Gewächs möchte kein Ehrenmann zur Hölle fahren – es waren geschmuggelte,“ setzte er mit strahlendem Gesicht hinzu.

Plötzlich fuhr Clelia mit einer heftigen Bewegung auf ihn zu, daß er fast erschrak.

„Wer begleitete Euch noch? Zu wie vielen waret Ihr?“

„Zwei Matrosen, die unterdessen wieder abgesegelt sind, und mein Schwager, der die Woche über im Arsenal von Spezia arbeitet.“

„Nun, Signor Mauro,“ sagte Clelia, „wenn Sie rechnen können, so rechnen Sie mir gütigst aus, wie viel Strolche es waren.“

„Ich denke, vier,“ entgegnete der Maler kleinlaut.

„Das meine ich auch,“ triumphierte Clelia. „Vier Briganten! Einen haben wir dazu gelogen.“

Der Mann hatte sich einen Augenblick entfernt und kam jetzt mit einer prächtigen Wassermelone zurück, dem einzigen, was sein Haus solchen Gästen anzubieten habe. Wir wollten danken, aber es lag ihm sehr am Herzen, daß wir wenigstens einen Bissen unter seinem Dach verzehren sollten.

Jedes von uns nahm ein Stück, was ihm eine sichtliche Beruhigung gewährte. Den Rest bekam Oscarino, der sich inzwischen mit dem ungeladenen Gewehr der Signora Clelia vergnügt hatte.

Der Heimweg war natürlich sehr heiter. Es hat wohl jederzeit etwas Beschämendes, wenn man eine Gefahr zwar nicht mannhaft, aber doch immerhin bestanden hat, das ganze Abenteuer sich hinterher in eine Posse auflösen zu sehen. Unsere Posse indessen hatte zum Trost eine ernsthafte Wirkung, waren doch durch sie zwei wirkliche Bösewichter ins Garn getrieben worden.

Giacomino wollte zuerst unsrer Mittheilung keinen rechten Glauben schenken. Als er aber nicht länger zweifeln konnte, sagte er achselzuckend:

„Was wollen Sie, wenn einer von Lerici ist, so kann man ihm alles zutrauen.“

„Ja,“ sagte Clelia zu mir gewandt, „und nun weiß ich auch, warum sie ihn hier den ‚Principe‘ nennen. Sie meinen jenes Urbild eines rücksichtslosen Bösewichts, das Macchiavellis Ideal gewesen ist.“

So oft sie aber später unsere Räubergeschichte erzählte, versäumte sie nie, hinzuzusetzen:

„Vier Briganten und nur einer dazugelogen!“




Deutsche Erzieherinnen in England.

Immer wieder erheben sich Klagestimmen über die unerhörte Ausbeutung unerfahrener deutscher Mädchen, die auf das Ausschreiben von Londoner Agenten in deutschen Blättern hin ein Engagement abschließen, um sich dann bei ihrer Ankunft aufs schlimmste enttäuscht und schutzlos in der Riesenstadt zu finden. Entweder war es nur auf Erpressung einer schwindelhaft hohen Gebühr abgesehen, nach deren Zahlung das Mädchen in eine entlegene Vorstadt geschickt wird, um dort von einem Spießgesellen die geringschätzige Auskunft zu erhalten: „Ich habe mit dem Agenten abgemacht, daß ich die Person, welche er schickt, zurückweisen kann, wenn sie mir nicht gefällt. Sie gefallen mir nicht und können morgen früh wieder gehen.“ Oder aber die Stelle ist echt, eine von denen, welche die fetteste Weide für die Agenten abgeben, wo eine armselige, rohe und gefühllose „Herrschaft“ das arme Mädchen mit Arbeit überlastet, ihr Magddienste zumuthet und sie dabei noch hungern läßt. Nach einigen Wochen verzweiflungsvollen Kampfes muß sie doch ablassen – und der Agent hat die Stelle aufs neue zu besetzen. Es sind schlimme Schilderungen, die uns in durchaus zuverlässigen Berichten von Mädchen vorliegen, die dem Eintritt in die Stelle keine persönliche Erkundigung vorangehen ließen: Ausnutzung durch anstrengende Handarbeit nach vielen Lehrstunden, Hungermahlzeiten, großentheils in trockenem Brot und etwas gekochtem Fleisch bestehend. Auch die schlechtbezahlten Stellen in kleinen Privatschulen mögen oft arg genug sein: in einer derselben hatten drei Lehrerinnen zusammen ein Zimmer, einen Waschapparat und ein Handtuch! Thee und Butterbrot um fünf Uhr war die letzte Mahlzeit am Tage, während der Unterricht bis tief in den Abend fortging. Das ist, man kann es den deutschen Mädchen nicht oft genug wiederholen, das Schicksal von vielen, welche ohne tüchtige Kenntnisse, einzig auf ihr Deutsch vertrauend, mit schlechtem Französisch und „ein bißchen Klavierspiel“ sich aufmachen, um in England Gouvernanten zu werden!

Sie alle wissen nicht, daß keine gute englische Familie oder Schule eine Lehrerin anstellt, ohne sie gesehen zu haben. Sie wissen ferner nicht, daß zur Anstellung in einer solchen gründliche, durch gute Zeugnisse bestätigte Kenntnisse gehören: alle Realien, vollkommenes Französisch, Musik, womöglich noch Zeichnen und außerdem, wie Fräulein Koenig in ihrem für alle Betheillgten sehr lesenswerthen Buch „Authentisches über die deutsche Erzieherin in England“ (London, J. Kolkmann) ausführt, noch manches, was eigentlich ihr natürliches Besitzthum sein sollte. Es fehlt der Bewerberin zuweilen an den gewöhnlichsten guten Manieren. Die Gesetze der feinen Sitte sind in Deutschland noch nicht so allgemein bindend, als sie sein sollten, man übt sie in Gesellschaft und vor Fremden, um sich zu Hause leicht ein bißchen gehen zu lassen. Was Wunder, daß das junge Mädchen dann in dem formenstrengen England nicht als Lady angesehen und behandelt wird! Von ihr sollen die Kinder gute Haltung, taktvolles Benehmen lernen, die Pfarrers-, oder Beamtentochter aus der Kleinstadt aber kann mit ihrer deutschen Gemüthlichkeit allein diesen Anspruch nicht decken, fühlt sich infolge dessen geringschätzig behandelt, wird empfindlich und unglücklich – der Konflikt ist fertig! Hier liegt eine zweite große Quelle des Gouvernantenleids in England.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_386.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)