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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

hinaus. Jetzt sollte auch noch Punsch getrunken werden; diese abendliche Angewohnheit ihres „Herrn“ hielt sie für sehr gesundheitswidrtg, denn sie wachte noch ebenso ängstlich über sein Wohlbefinden wie damals, als sie ihn gehen lehrte.

„Nun legen Sie ab, lieber Freund! Wenn wir erst ins Punschglas gucken, wird uns Leib und Seele schon wieder behaglich werden. Ein Drache, meine Christel, was? Ader das hat einen großgepäppelt und man hat immer Rücksichten genommen und Rücksichten genommen, bis man glücklich unter dem Pantoffel stand. Na, gut habe ich es ja dabei, pflegen thut sie mich, daß ich keinen Ehemann der Welt zu beneiden habe.“

Er ging auf und ab, rieb sich die Hände, trug Cigarren und Zündhölzer auf den Tisch und wartete, ob Lüdinghausen denn nun nicht endlich reden wolle.

Es war sehr altmodisch, sehr verräuchert und sehr gemüthlich in Raimars Zimmer. Die Lampe, welche auf dem Tisch stand, verbreitete ein durch einen grünen Schirm angenehm gedämpftes Licht.

Die Männer setzten sich an den Tisch einander gegenüber, jeder in einen mächtigen Lehnstuhl. Der blaue Dampf von Raimars Cigarre zog unter den Lampenschirm und in diesem wie in einem Schornstein empor. Lüdinghausen rauchte nicht. Vor ihnen standen die Punschgläser, deren Inhalt Raimar mit Sorgfalt zusammengegossen hatte.

„Wollen Sie mir helfen, alles zu verstehen?“ begann Lüdinghausen plötzlich.

„Na endlich,“ erwiderte Raimar in naiver Zufriedenheit. „Fragen Sie, sprechen Sie, erklären Sie! Stehe ich doch zunächst ganz dumm und stumm vor lauter Räthseln. Lädt mich mein alter Römpker da ein – wie er durchblicken läßt, um mir Leas Verlobung mit Ihnen anzukündigen, und was erlebe ich? Rahel nimmt ihrem Alten das Wort vom Munde weg und proklamiert Clairon. War nun Rahel nicht bei Sinnen? Ober sind die andern verrückt?“

Lüdinghausen lehnte sich zurück und sah in die Lampe. Auf seinem bleichen Gesicht war ein neuer Ausdruck, ein belebter und nervöser Zug, den Raimar zuvor nie in diesem strengen, ein wenig zu gemessenen Antlitz gesehen hatte.

Ueber was er in der langen, schweigsamen Stunde gegrübelt hatte, das mußte jetzt ausgesprochen werden. Er, der stets Verschwiegene, empfand zum ersten Male in seinem Leben das Bedürfniß, sein Herz auszuschütten und auch einen andern sprechen zu hören über das, was ihm begegnet war.

„In der That, – wir waren auf Römpkerhof beisammen, um Ihnen die Verlobung zu verkünden, welche Sie zu hören erwarteten,“ begann er. „Lea hatte mir gestern abend in Gegenwart ihres Vaters ihre Hand zugesagt. Seit Wochen hat sie meine Bewerbungen begünstigt, ja, wenn ich unerbittlich wahr gegen sie und mich sein soll: erst ihr sichtliches Entgegenkommen erweckte in mir den Gedanken an diese Bewerbung. Denn ich bin kein leidenschaftlicher Mensch, der unter dem Eindruck eines verliebten Augenblicks handelt. Ich wollte heirathen und ich hatte eine bestimmte Ansicht von denjenigen Eigenschaften, welche ich von meiner Frau fordern mußte. Als Lea ein deutliches Wohlgefallen an mir zeigte, fing ich an, sie zu beobachten, und meinte, an ihr alle Ergänzungen zu finden, deren ich bedurfte. So warb ich um sie; ich durfte mich von ihr geliebt glauben und nahm ihr Jawort als Bestätigung dieses Glaubens hin.“

„Hören Sie ’mal,“ unterbrach ihn Raimar, „ich bin ein alter Junggeselle und versteh’ mich nicht aufs Freien. Aber mir scheint, verliebt, so rechtschaffen blindlings verliebt in Lea sind Sie nicht gewesen.“

Lüdinghausen erröthete. Er dachte an das Herzklopfen gestern abend, als er Lea so schön und begehrenswerth gefunden hatte. Nein, das war dennoch keine Liebe gewesen. Und nun peinigte ihn die Erinnerung, daß sein Blut ihretwegen in Wallung gekommen war.

„Sie scheinen zu denken wie mein Vater,“ sagte er mit mattem Lächeln. „Also gestern gab sie mir ihre Hand und heute höre ich, daß sie es in schändlicher Lüge gethan hat.“

Er richtete sich plötzlich lebhaft auf und rief mit einer Wärme, mit einer Begeisterung, wie sie noch nie ein Mensch an ihm bemerkt hatte:

„Die edle Schwester aber, o, die wollte keine Lüge dulden. Mir ist, als sehe ich in ihre Seele, in diese wahrhaftige, tapfere Seele hinein. Sie wußte von der Liebe – nein, sagen wir hart und offen – von dem Liebesverhältniß Leas zu Clairon. Und als man ihr sagte, Lea wolle mein Weib werden, mag sie gewarnt, gebeten, beschworen haben. Sie wollte nicht, daß die Schwester ein solch unwürdiges Unrecht begehe. Vielleicht wollte sie auch nicht, daß man mich zum Opfer einer schnöden Lüge mache. Sie fühlte stolz für die Ihrigen, stolz für mich. Und als man nicht auf sie hörte, griff sie mit muthigen Händen in die Speichen des rollenden Rades und hielt es auf, damit es nicht zermalmend über meine Mannesehre gehe!“

Er sah mit großen, leuchtenden Augen ins Dunkle. als schaue er dort auch jetzt, wie er’s die ganze Fahrt hindurch gesehen, das bleiche Mädchen mit vorgeneigtem Leibe und dem bangen Gesicht. Er sah die feinen Nasenflügel beben und hörte immer und immer wieder die Stimme, die so klar, so metallen gesprochen hatte.

Raimar sah sein Gegenüber verdutzt an.

Von diesem Standpunkt aus hatte er Rahels Benehmen freilich noch nicht betrachtet. Er besann sich lange.

Ja freilich, wenn sich alles so verhielt, war die Rahel ein kleiner Held gewesen. So ein weibliches Heldenthum ist zwar meistens für die betheiligte Familie recht peinlich – na, einerlei! Offenbar hatte er das Mädel immer unterschätzt und ihr Lea mit Unrecht vorgezogen, worüber er jetzt große Reue fühlte. Diese verflixte Lea! Wer hätte das für möglich gehalten! Das war ja wie auf einen französischen Roman angelegt, und am Ende hatte sie gar gedacht, auch nach der Heirath mit dem einen dem andern nicht zu entsagen. O – o ... Raimar schüttelte den großen Kopf und trank sein Punschglas auf ein Mal aus.

Lüdinghausen hatte sich gefaßt, seine Worte klangen ruhiger, als er fortfuhr:

„Es liegt wohl in allen Menschen, daß sie ein wenig am Treppenwitz kranken, das heißt, erst nachträglich alles recht verstehen. So wird mir jetzt erst beim Rückblick mancher kleine Zug klar in meinen Begegnungen mit Clairon. Wäre er für mich nicht ein völlig gleichgültiger und unbedeutender Mensch gewesen, so würde ich die Unarten, die er von Anfang an gegen mich ausspielte, bemerkt und bestraft haben; ich würde erkannt haben, daß er von jeher in mir den Nebenbuhler wußte und haßte, daß er selbst um Lea warb und im Einverständniß mit ihr war und blieb. Weshalb haben die beiden sich nicht geheirathet? Weshalb forderte sie meine Bewerbung heraus, indem sie mich an Liebe oder mindestens an ein sehr warmes Interesse glauben ließ? Sehen Sie, Raimar, da ist ein dunkler Punkt für mich. Wären es eben nicht Römpkers, so könnte man sagen, sie wollten die reiche Partie. Aber ihnen, dem alten Geschlecht, den reichen Grundbesitzern, mußte der Graf doch willkommener sein als der Sohn des Industriellen, der sich selbst emporgearbeitet hat.“

„Mein guter Lüdinghausen,“ sagte Raimar und faltete die Hände vor dem Magen, indem er sich weit zurücklehnte, „das ist mir ebenso unverständlich wie Ihnen. Ich habe wohl mal so was läuten hören, Lea wolle einen aparten Mann, sie wolle groß dastehen in der Welt. Allein Clairon, den sie liebte, war ja gerade deshalb der Mann für sie – denn ‚Gräfin Clairon‘ – das ist doch ein schöner, stolzer Name.“

Sie grübelten beide schweigend weiter. Raimar rauchte sehr stark. Er hatte so seine Gedanken, die er sich aber wohl hütete, laut werden zu lassen. Er kannte Römpker wie seine eigne Tasche und wußte gut, daß der allezeit vom Rechnen nicht viel hatte hören mögen. Er war mit seinen Gedanken auf der allerrichtigsten Fährte, auf einer noch richtigeren als selbst Rahel. Diese hatte oberflächlichen Familienhochmuth angenommen bei der Weigerung ihres Vaters, den alten, schuldenfreien Besitz zu belasten, allein wenn das auch bei Lea zutraf, so war doch bei Herrn von Römpker die Angst vor Einschränkungen, die ein unbemittelter Schwiegersohn nothwendig ihm auferlegte, der Hauptgrund seiner Ablehnung Clairons und auf der andern Seite seiner Freude an Lüdinghausen.

„I, der alte Egoist,“ dachte Raimar bei sich. „Aber das muß man ihm lassen, er ist Egoist mit Grazie.“

Nach einer Weile fiel ihm noch etwas ein, etwas sehr Unangenehmes.

„Es ist eine verfluchte Geschichte,“ begann er. „Und sie wird sich herumsprechen, ja, das wird sie. Die Baronin saß dabei, und man hätte zu borniert sein müssen, wenn man nicht verstanden

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