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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

begeisterten Worte ein, die Lüdinghausen über Rahel gesprochen hatte. Er schielte, so gut er konnte, seitwärts auf sie nieder und sah ihre Augen groß dahin gerichtet, wo Lüdinghausen stehen mußte. Und daß dieser sich so mäuschenstill verhielt, war ihm verdächtig. Ein Lächeln zog plötzlich über sein Gesicht, ein ganz verschmitztes, vergnügliches Lächeln.

„Müssen wir einen Reitenden hinüberschicken, oder suchen sie Dich nicht?“ fragte er nach einem Weilchen, sie loslassend.

„Sie suchen mich nicht. Ich habe geschrieben, daß ich zu Dir gehe,“ flüsterte Rahel.

„Gut, also schicke ich morgen mit dem frühesten einen Brief an die Deinen und frage an, ob Du heimkommen sollst. Und da ist auch schon Christel und will Dich zu Bett bringen.“

Christel hatte den linken Arm voll mit allerlei Gewandstücken und Sachen, deren Nothwendigkeit für Rahel nicht recht erfindlich war. Mit der Rechten faßte sie ihren Schützling jetzt so vorsichtig an wie ein rohes Ei.

Rahel folgte ihr. An der Thür blieb sie stehen und ihre Augen richteten sich noch einmal mit einer bangen, großen Frage auf Lüdinghausen. Und er war mit zwei Schritten bei ihr und neigte sich tief auf ihre Hände, die er zugleich erfaßte und mit Bewegung küßte.

„Ich danke Ihnen,“ sagte er leise.

Da ging über ihr Gesicht ein Schimmer seliger Verklärung. Nun war alles gut und alles ließ sich ertragen. Er dachte gut von ihr, er hatte sie verstanden. Wortlos neigte sie das Haupt und ging mit leichten Schritten davon.

„Ja, ja,“ sagte Raimar hinter ihr her, „sie ist ein Charakter.“ Er begriff jetzt gar nicht mehr, daß er Lea stets höhergestellt hatte. „So sind wir Männer aber. Eine schöne Figur, ein Paar verheißender Augen mit so einem gewissen Aufschlag à la Lea – und weg sind wir.“

„Ja,“ bestätigte Lüdinghausen, in Gedanken verloren, „neben dem Flitter übersehen wir das echte Gold.“

„Kommen Sie – setzen wir uns wieder. Noch einen Punsch!“ bat Raimar.

„Nein, ich danke.“

„Einen halben?“

„Mein Kutscher und meine Pferde sind solche Rücksichtslosigkeiten von mir nicht gewöhnt; ich muß wirklich heimfahren.“

„Aber wir haben noch so viel zu besprechen,“ bat Raimar und drängte seinen Gast in den Lehnstuhl zurück. „Zum Beispiel, wie wird es nun mit Ihrem Vater?“

„Der kommt wohl morgen abend und anstatt der erwarteten Schwiegertochter findet er seinen Sohn um eine Erfahrung reicher,“ sagte Lüdinghausen mit einem ganz muntern Gesicht.

„Wissen Sie – Ihr Alter kann bei mir wohnen. Einverstanden?“ Raimar floß von herzlichen Gefühlen förmlich über.

„Wenn mein Vater will – gern.“

Beide Männer hatten dabei einen versteckten Gedanken. Der Sohn hoffte, daß sein Vater dann Rahel kennenlernen werde, Raimar dachte Rahel festzuhalten und sie „dem alten Lüdinghausen von allen Seiten in großartigster Beleuchtung vorzuführen.“

Auf einmal schlug Raimar mit der Faust auf den Tisch.

„Fortan will ich ihr Vater sein. Ich habe ein Recht an sie – hab’ bei ihr Gevatter gestanden und werde diese Rechte geltend machen.“

„Wie merkwürdig,“ erwiderte Lüdinghausen, „sonst kam sie mir immer so gesetzt, so kaltblütig und ein wenig altjüngferlich vor. Heute abend war sie wie ein Kind, so rührend jung und schutzbedürftig.“

„Und was mir besonders von der Rahel gefällt,“ fiel Raimar ein, „ist, daß sie trotz ihrer zurückgedrängten Stellung stets von sich wußte, was sie war. Sie blieb bescheiden, weil die Familienverhältnisse sie nicht aufkommen ließen, aber sie trug doch den Kopf fest und hoch. Ich erinnere mich – es war bloß Spaß – man wollte, daß ich noch heirathen solle; aus Unsinn hielt ich um Lea an, wie gesagt, aus Spaß, und die sagte Nein. Und da fragte ich die Rahel. Was denken Sie wohl, was das Mädel antwortete: ich hätte Dich genommen, Onkel Raimar, wenn Du mich zuerst gefragt haben würdest, aber was Lea übrig läßt, das mag ich nicht.“

Er lachte jetzt noch beifällig im Gedanken an jene Antwort.

Lüdinghausen stand auf. Seine Augen blickten wieder ernst, seine Züge waren plötzlich sehr abgespannt. „Nun will ich endlich fahren,“ sagte er. Sein Ton war ganz klanglos.

Raimar erschrak. Hatte er da nicht eben eine furchtbare Dummheit gemacht? „Wie gesagt, Rahel machte Spaß,“ stotterte er.

Lüdinghausen lächelte schmerzlich und schwieg.

Was war da auch viel zu sagen? Welches Weib würde es wohl vergeben können, daß man monatelang nicht sie bemerkt hatte, sondern nur neben ihr die prunkende Eitelkeit? Wie konnte eine Rahel das noch für werthvollen Besitz erachten, was sich zum Spielzeug einer Lea hergegeben hatte?

Er fuhr davon und sein unbegründetes Glücksgefühl war völlig einer nur zu begründeten Niedergeschlagenheit gewichen.

Und er dachte daran, daß er die Nacht vorher auch nach Hause gefahren war, aber wie anders!

Nun hatte er doch keine Programmerfüllung erlebt, sondern einen Roman, einen sehr gewöhnlich begonnenen und sehr hoffnungslos endenden Roman.

(Fortsetzung folgt.)




Weinblüthe.

O wilde Nacht! Wie flogen die Blitze hin und her! –
Nun ist der Sturm verzogen, kein Lüftchen regt sich mehr,
Erquickung deckt und Schweigen die mondbeglänzte Flur;
Schwer tropft es von den Zweigen, verweint noch liegt Natur.

5
Der Vaterhuld im Schoße ruht das verwöhnte Kind,

Vom Falter träumt die Rose, im Grase schläft der Wind.
Das Lied nur wacht und leise erklingt am Wasserfall
Fern – fern die Sehnsuchtsweise einsamer Nachtigall.
Von Osten, überm Weiher, am Berge schreitet hin

10
Mit Krone, Stab und Schleier die schönste Königin;

Ein Schimmer, nicht zu sagen, strahlt auf, wohin sie späht,
Und Balsamwölkchen tragen die Feen-Majestät.
Sie neigt das Haupt, das holde, sie lächelt wie im Traum
Und senkt den Stab von Golde in jeder Blüthe Flaum,

15
Schöpft Honig, Thau und Düfte und braut im Waldesdom

Harzgeist und Sommerlüfte zu würzigem Arom,
Mischt drein die Wundersäfte aus diamantnem Krug,
Geheimnißvolle Kräfte, Lorbeer und Freiheitsflug,
Ein Tröpflein Gift und Lieder, Schlafkraut und Poesie,

20
Dazu von Lenz und Flieder die alte Melodie;

Vom Vaterland die Träume, der Liebe Rosengluth,
Herzheil und süße Schäume, Siegwurz und Drachenblut.
Ein Strahl nun, wie auf Erden kein Auge je gesehn,
Durchleuchtet all das Werden: der Zauber ist geschehn!

25
Sie trägt in Schleierfalten die Spende, gnadenreich,

Sie schwebt in heil’gem Walten, unhörbar, elfengleich;
Und wo an Pfahl und Gitter ein Weinstock grünt im Rund,
Da faßt’s ihn wie Gewitter bis auf der Wurzel Grund:
Um seine goldnen Schosse wandelt die Königin

30
Und sprüht die Tracht, die lose, wie Perlen drüber hin.

Das kleinste Blatt erschauert, berührt vom süßen Gruß,
Weinblüthe, grün vermauert, wacht auf beim Weihekuß,
Die zarten Triebe regt sie und sprengt das enge Haus,
Ihr winzig Sein bewegt sie verschämt ins All hinaus,

35
Und jetzt – in tausend Strahlen flammt auf der junge Tag,

Im Purpurlichte malen sich Berg und Waldeshag.
Im Lichte, Blüthe, lebe! Gesegnet sei dein Lauf
Vom Mutterarm der Rebe bis in das Glas hinauf!
Die Welt kann nicht zerfallen, so lang dein Feuerblut,

40
Auffunkelnd in Pokalen, manch heilig Wunder thut.

Doch dir, bewährter Zecher, sei immerdar erblüht
Ein Rosenkranz am Becher, Weinblüthe im Gemüth!
  Ida John.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_392.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2023)