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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

der früheren Schwungkraft einmal angenommene Gestalt beibehalten, nicht so die Wasseroberfläche; es muß also am Aequator das Land mehr hervortreten, und es scheinen sich auf diese Weise die Wassermassen vom Aequator nach den beiden Polen hin zurückgezogen zu haben.

Zeichnungen der Marsoberfläche nach den Beobachtungen Schiaparellis vom September 1877 bis März 1878.

Das Merkwürdigste am Mars sind jedoch seine sogenannten Kanäle: eine Menge Linienzüge von gleichmäßiger Dicke und eigentümlicher Geradheit, nördlich und südlich vom Aequator mehr senkrecht zu diesem, in der Nähe des Aequators mehr parallel mit ihm verlaufend. An eine Zählung ist nicht zu denken: Schiaparelli berichtet, daß ihm in manchen Augenblicken besonderer Klarheit der Luft die Oberfläche des Planeten wie eine verwickelte Stickerei erschienen sei, so vielfach ist sie kreuz und quer von Haupt- und Nebenkanälen aller Art durchzogen. Und was das Rätselhafteste dabei ist, diese Kanäle scheinen sich zu gewissen Zeiten zu verdoppeln, wie man meint, meist zu Ende des Winters und Sommers, um die Zeit der Schneeschmelze am einen oder anderen Pol des Mars; fast neben jedem Kanal geht dann haarscharf parallel ein anderer ähnlicher Kanal her. Und zwar vollziehen sich diese Aenderungen beinahe plötzlich, von einem Tag zum andern, sehr im Gegensatz zu anderweitigen Veränderungen, die Schiaparelli ebenfalls zu beobachten Gelegenheit hatte und die einen langsameren Charakter zeigen.[1] Die Tiefe der Wasserbedeckung ist in den meisten Kanälen unbedeutend; nur wenige, z. B. der „Nil“. weisen durch eine fast schwarze Färbung auf eine größere Tiefe hin.

Der bekannte Astronom Wilhelm Meyer spricht nun hinsichtlich der Verdoppelung der Marskanäle die Ansicht aus, daß diese zweiten Kanäle nur zu Zeiten sich mit Wasser füllen und deshalb nur zu Zeiten für uns erkennbar seien, sowie daß sie verstandbegabten Wesen ihren Ursprung verdanken. Falls an dem einen Pol der Schnee schmelze, somit das betreffende Polarmeer überfüllt werde, ströme das Wasser durch die Kanäle nach dem andern Pol, um dort als Polareis gebunden zu werden. Nur für diese Zeiten des Durchfließen sollen die zweiten, flacheren, höheren Kanäle dienen, um weite Ueberschwemmungen des Landes abzuhalten.

Karte des Mars in Merkators Projektion.

Der Annehmbarkeit dieser Meyerschen Hypothese steht allerdings die beträchtliche Breite der Marskanäle – von etwa zehn geographischen Meilen – recht hinderlich im Wege.

Die stillschweigende Voraussetzung für das vorher Gesagte ist das wirkliche Vorhandensein einer Atmosphäre des Mars. Diese wird aber unzweideutig erwiesen, erstens durch den hellen Saum der Marsscheibe, welcher bei der Annäherung die Fixsterne undeutlich und trübe erscheinen läßt, noch ehe der feste Rand des Planeten selbst sie erreicht hat, und zweitens durch die Wasserstoffspektren in der Spektralanalyse desselben.[2]

Besitzt nun Mars eine Atmosphäre, so folgt mit Notwendigkeit, daß es auch Wasser, Regen, Schnee, Abendrot, Morgenrot, Dämmerung u. s. f. auf ihm giebt. Das Meerwasser wollen einige Forscher etwas blauer in der Aequatornähe als in den mittleren Breiten gefunden haben, infolge der stärkeren Verdampfung und daher des höheren Salzgehalts.

Deutlich sieht man Wolken über die Oberfläche des Mars dahinziehen – oder wenigstens Gebilde, die nicht anders zu deuten sind als durch die Gleichsetzung mit den bekannten irdischen Erscheinungen; sogar die Geschwindigkeit der Wolken wurde schon gemessen. Oefters bemerkt man, daß, nachdem die Wolkenmassen über einem Stück festen Landes verschwunden sind, dieses sich weißlich gefärbt hat: es hat geschneit; und nachdem einige Zeit die Sonne darauf geschienen hat erhalten jene Gebiete wieder die frühere gelblich-rothe Färbung: der Schnee ist geschmolzen. Nothwendig sind die Passatwinde weniger heftig als auf der Erde, wegen der langsameren Umdrehung des Mars um seine Achse; und weit seltener verdecken Wolkenmassen die Ländertheile, da die Atmosphäre des älteren Mars eine geringere Dichtigkeit besitzt als die der Erde; ein klarerer und reinerer Himmel wölbt sich also über die Gefilde jenes Planeten.

Es scheint, daß die den Mars betreffende Witterungskunde weniger verwickelt, leichter zu studieren ist als diejenige der Erde, und manche Forscher vermuten, daß sie geeignet sein dürfte, unter Umständen aufklärende Gedanken zur Vervollkommnung der irdischen Meteorologie beizubringen, die dessen bekanntlich sehr bedürftig ist. In den Zeiten der Sonnenwenden findet sich auf dem Mars, falls auf der nördlichen Halbkugel Verdampfung herrscht, auf der südlichen Verdichtung der Luft, und umgekehrt; in der Zwischenzeit ist die Verdampfungszone am Aequator nach Nord und Süd von zwei Verdichtungsgebieten begrenzt u. s. f.

Ferner bringt es die verhältnißmäßig starke Krümmung der Marsbahn (einer Ellipse, die vom Kreise merklich abweicht, die Sonne im einen Brennpunkt) sowie die Lage der Marsachse mit sich, daß auf der nördlichen Halbkugel der Sommer ganze 76 Tage länger ist als der Winter und umgekehrt auf der südlichen. Und zwar sind auf der nördlichen Halbkugel der lange Sommer und der kurze Winter beide gemäßigt; auf der südlichen Halbkugel der kurze Sommer und der lange Winter beide extrem. Es wurde daher vermutet, daß gegenwärtig auf der südlichen Halbkugel des Mars


  1. * Z. B. den „Mörisse“ sah Schiaparelli 1877 in der Mitte des „Repenthesflusses“, später 1884 am Rand; die Ufer der „großen Syrte“ und von „Libyen“ waren geändert, manche Gebiete schienen überschwemmt u. s. f.
  2. *Die Absorption der Lichtstrahlen in dieser Atmosphäre ist auch wohl die Ursache für das rötliche Aussehen des Mars: schwerlich ist die gesammte Flora aus Mars von rother Farbe, wie der Geometer Lambert meinte.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_396.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2023)