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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

eine extreme Eiszeit herrsche – vorausgesetzt, daß die bezügliche Erklärung der Eiszeiten die zutreffende ist. Im Unterschied vom nördlichen Kältepol, der im Spätsommer vollständig schneefrei ist, wird es der südliche niemals ganz; im Winter erstreckt sich die Schneekappe des Südpols bis zum 55. Breitegrad herab. Uebrigens fällt auch auf dem Mars der nördliche und südliche Kältepol nicht mit dem eigentlichen „areographischen“ Nord- und Südpol zusammen, ähnlich wie auf der Erde.

Uebersichtskarte des Mars mit den seinen sogen. Kanälen im einfachen Zustande.

Mars besitzt zwei Monde, deren Dasein eigentümlicher Weise schon Kepler vermutete, man weiß heute noch nicht, aus welchem Grund. In einem Brief an Galilei schreibt er 1610: „Ich wünschte, ich hätte schon ein Fernrohr bereit, mit welchem ich Dir in der Entdeckung der zwei um den Mars und der 6 bis 8 um den Saturn kreisenden Trabanten zuvorkommen könnte.“ Wiederholt ist in der späteren Litteratur von der Vermuthung zweier Marsmonde die Rede, bei dem Theologen Derham, dem Philosophen Wolf, dem Pfarrer Schmidt, dem englischen Schriftsteller Swift, bei Voltaire u. a. Aber niemand konnte sie finden. Endlich sah sie als erster der Amerikaner Aseph Hall[WS 1] 1877 mit dem großen Clarkschen Refraktor der Washingtoner Sternwarte. Er berechnete auch ihre Bahnen und annäherungsweise, durch Helligkeitsbestimmung, ihre Größe.

Ihre Namen, „Deimos“ und „Phobos“ („Furcht“ und „Entsetzen“), sind einer Stelle der Ilias (XV, 119) entlehnt, wo die Söhne und Wagenführer des Kriegsgottes so heißen. Ihren unheimlichen Namen zum Trotz sind sie von äußerst harmloser Größe. A. v. Humboldt nennt sie wegen ihrer Kleinheit die „Taschenplaneten“. Der innere Mond Phobos z. B. besitzt eine Oberfläche, etwa halb so groß wie das Fürstentum Lippe. Dort wäre es also möglich, die Reise um die Welt nicht in 80 Tagen, sondern in 8 Stunden bequem auszuführen.

Uebersichtskarte des Mars mit den verdoppelten Kanälen.

Seine Entfernung vom Mars ist nicht viel größer als die Länge des Nils. Wilhelm Meyer bemerkt mit Bezug auf die Marsmonde, man könne sich einbilden, „ein irdischer Astronom, der sich ja überhaupt gewöhnlich dem Himmel um ein Bedeutendes näher glaubt als die übrigen Menschen, müsse, wenn er plötzlich auf den Mars versetzt würde, ganz unwillkürlich mit der Hand danach greifen oder sich ängstlich bücken, wenn der Marsmond Phobos gerade durch den Meridian geht.“

Wegen dieses seines geringen Abstands vom Mars ist von vornherein zu vermuten, daß seine Winkelgeschwindigkeit eine beträchtliche ist; denn wenn eine Kugel an einem Faden befestigt ist und sich mit diesem um das feste andere Ende des Fadens dreht, so wird die Umdrehungsgeschwindigkeit eine um so größere, je mehr wir den Faden verkürzen. In der That zeigt Phobos eine fast unglaubliche Behendigkeit. Während Mars selbst schon mit einer Geschwindigkeit, die weit größer als die einer Büchsenkugel ist, durch den Weltraum stürmt, läuft jener ihn stets begleitende Mond außerdem noch jeden Tag fast dreimal um ihn herum. Er geht also, da Mars sich in derselben Richtung dreht, ungefähr zweimal an demselben Tag auf und zweimal unter. Und zwar wird er für etwaige Marsbewohner wegen seiner Geschwindigkeit nicht im Osten, wie alle anderen Gestirne, sondern im Westen aufgehen und stets den Gestirnen entgegen laufen. Man erkennt die Richtigkeit dieser Behauptung sofort durch eine leichte Ueberlegung, wenn man berücksichtigt, daß unser Mond für uns am Himmel stille zu stehen schiene, falls er jeden Tag einmal um die Erde liefe, und rückwärts zu gehen, falls er eine noch größere Winkelgeschwindigkeit besäße. Dabei wechselt der Marsmond Phobos täglich beiläufig zweimal von Vollmond zu Neumond und giebt fast täglich den Anblick einer Mondfinsterniß. – Der andere Mond, Deimos, ist etwa dreimal so weit vom Mars entfernt und geht erheblich langsamer.

Da der Mars zwei Monde besitzt, müßte es auf ihm zwei Arten von Monaten geben; dabei ist ein Erdentag etwa gleich drei Phobosmonaten. Phobos erscheint vom Mars aus wie ein Stern erster Größe; umgekehrt erscheint vom Phobos aus Mars so groß, daß er den sechzehnten Theil des ganzen Himmels bedeckt. –

Die eigentümliche Thatsache, daß die beiden Marsmonde trotz eifrigen Suchens erst in neuester Zeit gesehen wurden, veranlaßte den französischen Astronomen Du Bois zu der Vermuthung, es möchten dieselben überhaupt nicht von Alters her den Mars umkreist haben, sondern unechte Söhne desselben sein. Durch die Anziehungskraft des Mars hätten sie sich aus dem nahen Planetoidenring hier herein verirrt, seien also aus dem Schwarm des „Planetoidenproletariats“ von Mars unlängst gestohlen worden. Diese Ansicht von Du Bois wurde in neuester Zeit von Poincaré durch Rechnung widerlegt.

Ob Menschen und Thiere auf dem Mars wohnen?

Gesagt kann nur werden, daß erstens die äußeren Bedingungen für organische Entwickelung auf diesem Planeten vorhanden zu sein scheinen, und zwar wären sie schon früher als auf der Erde dagewesen; und zweitens, daß niemals das Dasein oder Fehlen menschenähnlicher Wesen auf dem Mars wissenschaftlich wird nachgewiesen werden können.

Denn es läßt sich leicht berechnen, wie groß ein Gegenstand von bestimmter Gestalt, z. B. ein quadratischer Würfel, auf irgend einem anderen Weltkörper sein müßte, sollte er von der Erde aus mit 500facher Vergrößerung als solcher wahrgenommen werden können. Auf dem Erdmond müßte ein Gegenstand 100 Meter groß sein; es wäre also eine Leichtigkeit, Büffelherden, Heeresmassen dahinziehen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_397.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2023)