Seite:Die Gartenlaube (1891) 400.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„In Ordnung. Hier!“

„Dann kann etwas daraus werden. Arbeit giebt’s bei uns genug, Heuer – die gewöhnliche. Ich fahre auf eigene Rechnung und bin kein Millionär – ich geb’s einfach.“

„Das Schiff gefällt mir!“

„Gut. So wollen wir die Sache ins Reine bringen!“

Eine Stunde später war ich wohlbestellter zweiter Steuermann auf der Brigg „Elisabeth“ und für eine Fahrt nach den „Brasilianischen Wassern“ geheuert. –

Der Koch.

Meine erste Begegnung mit dem Kapitän hatte unter etwas sonderbaren Umständen stattgefunden.

Es mag jetzt ungefähr zwei Jahre her sein, da fuhr ich den Mississippi hinauf von New-Orleans nach St. Louis auf einem jener ungeheuerlichen zwei Stockwerk hohen Dampfboote, das Möbel, zusammenlegbare Häuser und Maschinentheile zu den waldumgebenen Ortschaften des Riesenstromes führte und auf der Rückreise unzählige Ballen Baumwolle dafür mitnahm.

Das Schiff, der „John Ellis“, war stark besetzt – Reisende von allen Nationen und allen Berufsarten – der Hauptsache nach jedoch Amerikaner.

Mir fiel unter dem bunten Menschengemisch ein junger Mann auf mit stillem und doch dabei scharf geschnittenem Gesicht, der ganz oldenburgisch aussah und sogar noch hier in dieser fremdartigen Umgebung Kleider anhatte, welche die naive, aber solide Dorfschneiderkunst meines Vaterlandes ungemein auffallend zur Schau trugen.

Der junge Mann spähte eifrig den Fluß hinauf und widmete der Führung des Bootes große Aufmerksamkeit.

Die große Anzahl uns entgegenschwimmender Baumstammgewirre war für das Schiff oft eine wirkliche Gefahr, aber daran dachte kein Mensch, die Kapitäne schwatzten, tranken und gaben im letzten Augenblick Ausweichbefehle – jedesmal entgingen wir mit knapper Noth einem Zusammenstoße. Da bemerkten wir einen Dampfer, ähnlich dem unseren, hinter uns, rauschend und fauchend kam er uns näher, und jetzt begann eines jener unsinnigen Wettfahren, wie sie auf den amerikanischen Strömen üblich sind. Die Passagiere bildeten sofort Gruppen – man fing an, hoch zu wetten – Parteien und Gegenparteien standen sich gegenüber, man rief den Heizern Belohnungen hinunter – die Kapitäne hielten sich scheinbar neutral – eine fieberhafte Aufregung bemächtigte sich aller auf dem Schiffe.

Die Touristen und anständigen Reisenden, welche merkten, was geschah, protestierten und beklagten sich bei den Schiffsbeamten des „Ellis“. Man gab ihnen keine Antwort.

An den schweigenden Waldufern vorbei auf den rauschenden Wassern tobte unser Schiff daher, daß es nur so dröhnte und rasselte und das Feuer aus den Schornsteinen in Funkenströmen über das Schiff schoß. Der andere Dampfer fuhr neben uns, oft mit seinem Rauch uns ganz umhüllend.

Die Aufregung stieg, die Wetten wurden wilder, das Murren der Protestierenden drohender. Plötzlich ein entsetzliches Pfeifen und Zischen – der Dampf strömte vom „Ellis“ aus und unser Schiff ging schaukelnd ruhiger, indeß der andere Dampfer an uns vorbeibrauste.

Ein wüthendes Geschrei ertönte aus dem Munde der Wettenden – alles stürzte zu dem Feuerraum – dort unten schrie und zankte man ebenfalls, und drei Heizer schleppten und stießen den jungen Mann in der ländlichen Kleidung aus dem Maschinenraum hinauf aufs Deck. Er sei plötzlich hinunter geeilt, habe den Maschinisten über den Haufen gerannt, das zugezogene Ventil aufgerissen und zwei Dampfhähne geöffnet, riefen die Heizer in das Stimmengetöse.

Eine augenblickliche Pause der Verblüffung entstand und in dieser rief der junge Mann mit durchdringender Stimme und in gutem Englisch:

„Ja! Das that ich, denn hätte ich eine Minute gezögert, der Manometer stand auf 98, so wäre das Schiff in die Luft geflogen.“

Ein wildes Brüllen und Fluchen der um ihre Wette Betrogenen antwortete auf diese Erklärung, und ein Dutzend roh aussehender Riesenkerle stürzte sich auf den Kühnen, packte ihn und zerrte ihn an das Geländer, um ihn über Bord zu werfen. Da schrie ich mit fast übermenschlicher Kraft: „Wer dem Mann danken will, daß er unser Leben gerettet hat, der stehe ihm bei!“ und sofort bildete sich eine Partei von Touristen und andern Herren, die auf meine Seite traten. Wir warfen uns auf die Angreifer und versuchten, den jungen Mann aus ihren Händen zu befreien. Es war eine wüste Scene, man riß und schlug sich – endlich kam der erste Kapitän mit einer Anzahl Schiffsbeamten und trennte die Ringenden. Eine lautlose Stille trat ein – man hörte nur neben dem Zischen der Maschine das keuchende Athmen der Nächstbetheiligten.

„Stand der Manometer wirklich auf 98?“ fragte der Kapitän den Maschinisten.

„Ja!“ antworteten statt dessen die Heizer.

„Dann hat der Mann recht gethan und er hat unser Leben gerettet,“ entschied der Kapitän. „Wir sind ihm großen Dank schuldig, und ich lade den Herrn zu einem Glase Toddy in meine Kajüte ein.“ Damit nahm er den wachsbleichen jungen Mann beim Arm und ging mit ihm nach dem hinteren Schiffsraum.

So zog sich der würdige Schiffsleiter schlau aus der Klemme und brachte den Fremden in Sicherheit, denn die tückischen Blicke einer Anzahl Kentuckier Maishändler boten keine gute Bürgschaft für die Wohlfahrt des entschlossenen muthigen Passagiers. Aus diesem Grunde sah ich auch den Mann auf dem Schiffe nicht wieder. Ich verließ das Boot in St. Louis. Er fuhr wohl weiter. Und heute ward er auf so wunderbare Weise mein Kapitän auf der „Elisabeth“. Es ist eben kein Beruf so reich an seltsamen, märchenhaften Fügungen des Schicksals als der des Seemannes. –

Mein Zusammentreffen mit Kapitän Aarhus in Genua fand am Sonnabend statt, am Montag sollte ich meinen Dienst antreten.

Sonntag früh schon erschien ich in meinem schönsten Staat an Bord der „Elisabeth“, um mir meine neue Heimath anzusehen und mit der Bemannumg Bekanntschaft zu schließen.

Ich fand die „Elisabeth“ als ein überaus fest und stark gebautes nordisches Fahrzeug, von jener Schlankheit, die das Entzücken jedes Seemanns hervorruft. Mit diesem prächtigen Wesen von Schiff muß man wie ein Pfeil die Wogen durchfliegen, dem kann kein Sturm und Wetter etwas anhaben. Es bietet keine großen Flächen; alles ist von eisenfestem Eichenholz. Es kann ausweichen und durchschneiden, und die Maste mit den Segeln stehen so wohlproportioniert da, als hätte Gott Neptun selbst das Kunstwerk ausgeklügelt.

So sprach mein Herz bei der Besichtigung des Schiffes. Der Kapitän rief die Mannschaft zusammen, berichtete, daß Wilm Stöwer freiwillig die „Elisabeth“ verlassen habe und ein alter Bekannter von ihm, dem Kapitän, – und hier erzählte er in wenigen kurzen Sätzen unser Erlebniß auf dem „John Ellis“ – in meiner Person an dessen Stelle getreten sei. „Nun wird wohl mehr Friede und gute Kameradschaft auf der ‚Elisabeth‘ wohnen,“ schloß er seine Ansprache.

So war ich vorgestellt und versammelte die Mannschaft zu der üblichen Flasche Schnaps um mich. Die Leute gefielen mir

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_400.jpg&oldid=- (Version vom 26.8.2023)