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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

unsere liebe, kleine Baronin, zu schweigen von – von – jener Verlobungsanzeige, die Sie von Rahel gehört haben.“

Ehrhausens Stirn verschattete sich.

„Sie wissen, mein lieber Freund, daß meine Frau wie ein Kind ist und ihre Zunge nicht bewachen kann. Sie meint es nicht böse, sie will nicht klatschen. Aber das entfährt ihr so – sie kann nicht anders. Und so fürchte ich, hat sie schon heute vormittag der Frau des Rittmeisters von Fahning erzählt, daß Sie sich doch mit Lea verlobt hätten. Und die Fahning, immer bestrebt, sich auch als eine der Intimen von Römpkerhof hinzustellen, obschon man sie dort alle Jahr nur einmal einlädt, wird eilig ihre Wissenschaft verbreitet haben.“

Clairon seufzte schwer. Aber er gab dem Kameraden nochmals mit festem Druck die Hand.

Am späteren Nachmittag konnte er schon an den Gesichtern und Bemerkungen der Kameraden sehen, daß die Geschichte herum war.

Man neckte ihn wegen des Pechs, gerade heute krank zu sein. Man machte allerlei Anspielungen über Gerüchte, die umgingen und deren beneidenswerther Held er sei.

Clairon bat, daß man doch solchem Geschwätz nicht glauben solle. Wenn er ein besonderes Ereigniß mitzutheilen hätte, dürften die Kameraden gewiß sein, daß er selbst sie unverzüglich in Kenntniß setzen würde.

Er zeigte dabei eine ruhige Miene und sein Ton war fest, aber er litt unaussprechlich.

Endlich kam niemand mehr.

Er konnte die zahllose Male unterbrochenen Gedanken aufnehmen und weiter, immer weiter ausspinnen.

Das war eine quälerische Arbeit. Er überdachte sein Lieben, sein Irren und sein Entsagen.

Solche Stunden haben den Zeitwerth von Jahren für die Seele. Die Selbsterkenntniß steht auf und nimmt den verblendeten Augen die Binde ab. Und die Wahrheit, welche sie nun schauen, ist ein Anblick, der die Stirn furcht und die Wangen bleicht.

Sein Herz und seine Ehre fingen einen harten Handel miteinander an.

Das schöne, verführerische Mädchen, welches er auch jetzt noch heiß und verlangend liebte, schien vor ihm zu stehen und ihn zu bitten: „Nimm mich hin!“ Er sah sie so genau vor sich, daß ein Schauer ihn durchrieselte, halb des unheimlichen Bangens, halb der Sehnsucht.

Seine Lippen brannten, diese Lippen, die ihr rother, glühender Mund so oft geküßt hatte.

Ihm war, als müßte er sich auf sein Roß werfen und zu ihr hinjagen und in ihren Armen alles vergessen. Er wollte die Besinnung verlieren im Glück ihres Besitzes.

Er warf sich auf sein Sofa und drückte das Gesicht in die Kissen. Wie qualvoll! wie qualvoll!

War es nicht Wahnsinn, auf ein Weib zu verzichten, nach dem jeder Nerv seines Wesens begehrte?

Er richtete sich wieder auf. Er ging in der Geschichte seiner Liebe zurück bis zu ihren Anfängen und lebte alle zarten, heimlichen Freuden und Zweifel jener ersten Zeit noch einmal durch.

Dann ward er ihrer Gegenliebe sicher und warb um sie.

Und da begann seine Schuld. Ja, seine Schuld, welche er sich erbarmungslos eingestand.

Sein Hochmuth und seine Eitelkeit hatten sich mit ihrem Hochmuth und ihrer Eitelkeit verbündet, anstatt daß er mannhaft und stark sie zum Erkennen geführt hätte.

Wie jämmerlich erschienen ihm heute diese Bedenken um Geld und Gut und was die Leute dazu sagen, daß man nicht so unabhängig und reich sei, als man bisher geschienen!

Wie kläglich fand er sich selbst, daß er, anstatt solche Bedenken stolz von sich zu weisen, sie getheilt und für richtig gehalten hatte!

„Lea,“ hätte er sagen müssen, „wenn Du mich wahrhaft liebst wie ich Dich, dürfen uns diese Fragen nur nichtig sein. Können wir nicht im Glanz freien, so freien wir eben in Bescheidenheit. Die Liebe sei uns Glanz und Glück genug.“

Und dann, wenn sie trotzdem in ihrer Eitelkeit verstrickt blieb, hätte er sagen müssen: „Leb’ wohl!“

Stark und streng hätte er ihr entgegen halten müssen: „Entweder Du wirst meine Braut oder wir trennen uns auf immer.“

Aber das kochende Blut seiner Jugend hatte nicht von ihr lassen wollen. Ihre Augen hatten ihn verlockt, und heimlich war er ihr fort und fort so begegnet, als seien sie Brautleute.

Und er hatte ihre spielenden leichtsinnigen Redensarten über die Heirath mit einem andern angehört, hatte ihr nicht zornig verwehrt, dergleichen auch nur zu denken. Er hatte alles hingehen lassen und heimlich, heimlich geglaubt, das könne sie doch niemals thun.

Sie aber gab ihre Hand dennoch förmlich und feierlich einem andern! Und wenn diese ehrliche brave Rahel nicht gewesen wäre, hätte er dabei sitzen müssen und anhören, wie man Lea als künftige Frau Lüdinghausen beglückwünschte.

Maßloser Zorn wallte in ihm auf. Er hätte sie erwürgen können. Er liebte sie und hätte sie zugleich tödten mögen.

Dann kam wieder sein Verstand mit allerlei Scheingründen.

Rahel hatte ihn selbst als Verlobten Leas genannt vor mehreren Zeugen. Diese hatten schon davon gesprochen und Lea war schwer beschimpft, wenn er sich zurückzog. Rahel war die Verantwortliche, sie hatte seine Kavaliersehre herangezogen, flüsterte eine feige Regung ihm zu, eigentlich handelte er in einem Zwang und sein Gewissen brauchte nicht dreinzureden.

Er ging in seinem Zimmer mit großen Schritten hin und her. Sein Herz klopfte, daß er in den Schläfen das Hämmern des Blutes hörte.

Wenn wirklich für ihn als Mann der Zwang vorliegen würde, das Mädchen zu heirathen? Diese Frage, die seinem geheimsten Sehnen entgegenkam, machte ihn schwindeln.

Das Entsagen ist so schwer, so übermenschlich schwer! Und besonders dann, wenn es aus freigeborener Entschließung geschehen soll. – –

Er versuchte darüber nachzudenken, was er sagen würde, wenn er diesen Fall für einen Dritten zu entscheiden hätte.

Sekundenlang huschte der Einfall durch sein Hirn, daß er rathen würde: fordere diesen Lüdinghausen und tödte ihn, damit der Mann nicht mehr athmet, dem sie sich geben wollte und der sich von ihr geliebt glaubte.

Doch sofort erkannte er, daß das unreif und sehr knabenhaft gehandelt sein würde. Lüdinghausen hatte ausdrücklich erklärt, von dieser Nebenbuhlerschaft keine Ahnung gehabt zu haben. Und Lüdinghausen, das fühlte Clairon wohl, wäre nicht der Mann gewesen, um Lea zu werben, wenn er die Wahrheit geahnt hätte. Sie waren beide gleich schwer gekränkt, ja, wenn er unerbittlich wahr sein wollte – Lüdinghausen noch schwerer.

Und ihn, der um seinetwillen in solche Lage gekommen war, wollte er noch fordern?

Das war jedenfalls Thorheit.

Er dachte mit einem Gefühl der Achtung und Theilnahme an Lüdinghausen, dessen Haltung gestern abend sehr männlich gewesen war.

Und diesen Mann, der seinem ganzen Auftreten und seiner ganzen Persönlichkeit nach nicht sehr einlud, ein Spiel mit ihm zu wagen, diesen hatte Lea so getäuscht, daß er an ihre Neigung für ihn glaubte! Welche fluchwürdige Komödie!

Robert Clairon trat ans Fenster und sah auf die nächtige Straße der kleinen Stadt hinaus.

Der Regen hatte heute nachgelassen, aber zwischen den unregelmäßigen Pflastersteinen standen vereinzelt blanke kleine Lachen. Die Laterne, welche auf einem eisernen, aus der Hausmauer gegenüber vorspringenden Arm brannte, beleuchtete dort den Bürgersteig. Ganz selten ging in ihrem Schein jemand an den Häusern entlang. Die Schritte verhallten allmählich und fern hörte man manchmal eine Thürglocke bimmeln.

Die Augen des Mannes am Fenster trübten sich.

Wie eng das Leben! Wie einförmig der Dienst! Wie vorgezeichnet das ganze lange Dasein!

Und die eine heiße Sonne darin untergegangen für immer! Die Liebe verloren, die Hoffnung verdorrt!

Es war dunkel und niemand da, der sehen konnte, wie sich die Lippen unter dem blonden Bart fest, fest zusammenpreßten, wie das Haupt sich stolz wieder erhob und die Stirn sich furchte.

Wenn der Tag aufdämmern wird, findet er eine Falte auf dieser Stirn, die vorher nicht dastand, die aber nie mehr verschwinden wird.

Das kam daher, weil diese Stirn sich auf ein Grab geneigt hatte, ehe sie dem Leben wieder Trotz bot. –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_410.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2023)