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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

thaten schweigend unsere Arbeit – dann forderte das Leben seine Rechte, die altgewohnte Heiterkeit kehrte wieder bei uns ein.

Nach Süden – nach Süden!

Zwei Wochen waren seit dem Begräbniß von Mertens verflossen und aus der Aequatorialströmung kamen wir in den Guineastrom, der uns durchaus nach Osten führen wollte. Da gab es denn tüchtige Segel- und Steuerarbeit. Der Wind frischte auf und acht Tage kämpfte die „Elisabeth“ mit schiefstehenden Masten gewaltig – dann erreichten wir südatlantische Strömung und das Ferienleben begann wieder, hier und da unterbrochen von einem tropischen Regenguß, der binnen weniger Sekunden das Verdeck zollhoch mit Wasser übergoß und unseren Trinkwasservorrath ganz anständig vermehrte. „Solch ein Regen schlägt durch Blech und Schmiedeeisen“ – meinte Spia Tjaden, der Schiffskoch; in der That, Gummimantel und Theerdecken helfen nichts dagegen, davon habe ich mich manchmal überzeugt!

Tapfer durchschnitt die „Elisabeth“ weitere zwölf Tage die blauen südlichen Wasser – dann näherten wir uns dem Aequator. Die Fahrt über die „Linie“, welche die Erdkugel in zwei Hälften theilt, läßt kein Schiff ohne die Feierlichkeiten vorübergehen, die ein Hauptspaß für die älteren Seeleute, weit weniger ergötzlich und angenehm aber für die Neulinge sind, die bisher die Linie noch nicht passiert haben; denn diese müssen in jeder Hinsicht die Kosten des Vergnügens tragen.

Eines Morgens, nachdem der Kapitän eifrig Messungen angestellt hatte, konnte man denn auch ein geheimnißvolles Treiben auf und unter Deck wahrnehmen.

Unter der „Linie“.

Am Bugspriet ward ein Kübel Seewasser aufgestellt, der Theereimer fand daneben Platz, und über dem Wasserkübel ward ein hübscher Sitz auf einem Brett errichtet. Der Schiffszimmermann, prächtig als Neptun verkleidet, mit einem riesigen Holzdreizack und einem fußlangen Flachsbart, und Spia Tjaden in Admiralskleidung, der in dieser Uniform einem Jahrmarktsaffen wunderbar ähnlich sah, waren unter den Klüverbaum gestiegen; der Rest der Mannschaft hatte sich am Ankerspill aufgestellt. Langsam kam Neptun auf die Back und fragte in feierlichem Tone die Versammelten: „Könnt’ wi an Bord kamen?“ Lautes Hurrahrufen war die Antwort. Und nun umwandelte Neptun mit Gefolge unter der Melodie „Mädele ruck, ruck, ruck an meine grüne Seite“ dreimal den Kübel, dann nahm er Platz auf der Back, sein Admiral hinter ihm – ein Leichtmatrose und ein Schiffsjunge waren die Täuflinge.

Zuerst begann das Examen: ob der Schiffsjunge wüßte, was ein Schiff wäre – wie dem Teufel seine Großmutter mit ihrem Mädchennamen geheißen habe – was daraus entstünde, wenn man Pflaumen mit Theer gekocht äße, und andere dergleichen schöne Fragen mehr. Nachdem diese gebührend beantwortet waren, zeigte man den beiden den Aequator; sie mußten durch ein Fernrohr sehen, über dessen letztes Glas ein Haar gezogen war. Das war der Aequator!

Jetzt erhielten die Täuflinge die Erlaubniß zum Gehen – aber plötzlich eilte ihnen jemand nach. Sie hätten sich ja den Bart nicht abnehmen lassen, sie seien heut’ an ihrem hohen Feiertag nicht rasiert! Das dürfe nicht ungestraft bleiben – und bevor die Unglücklichen sich dessen versahen, waren sie auf die Bank über dem Kübel gesetzt, mit Theer wie beim Barbieren „eingeseift“ und gründlich mit einem Holzmesser rasiert. Mitten in dieser Prozedur ein Ruck, man hat das Brett unter ihnen weggezogen und sie fallen in den Wasserkübel. Mühsam arbeiten sie sich unter dem Jubel der Kameraden heraus, da werden noch ein paar Eimer Wasser über ihre Köpfe gegossen und vervollständigen die Taufe. Den Schluß bildet die Erlegung der Taufgebühr in Form einer tüchtigen Grogbewirthung, deren Kosten die Frau Kapitän großmüthig aus ihrer niedlichen grünseidenen Börse für die armen Teufel bestritt.

Den ganzen Tag über herrschte Karnevalstimmung auf der „Elisabeth“, Mittags gab’s Backpflaumen und Kartoffelklöße und am Abend ein Tänzchen auf dem Deck. Erst tanzten die Männer miteinander, daß das Schiff in seinen tiefsten Planken erzitterte, und dann gewährte als besondere Ehre die Frau Kapitän jedem Schiffsmann einen Tanz, bei dem die alten Seebären die Dame so zart anfaßten, daß oft Herr und Dame allein tanzten, bis sie sich endlich wieder fanden.

So wechseln Ernst und Scherz, Heiteres und Trauriges auf dem Schiff. Für den Seemann ist eben sein Fahrzeug die ganze Welt. Auf den schwankenden Planken lebt und webt er. Am Lande giebt er nur Gastrollen und macht Dummheiten. –

Der Aequator war hinter uns und wir suchten die Brasilianische Strömung zu gewinnen, um Pernambuco anzulaufen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_418.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2023)