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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

auch nach der neuerdings eingeführten Beschleunigung nur 114 Schritte in der Minute machen, und es ist daher ein flotter Anblick, wenn so eine Truppe unter den melodiösen Weisen ihrer „Banda“ den Prado heruntermarschiert.

Das vornehmste Corps in der spanischen Armee ist die „Guardia civil“ zu Fuß und zu Pferde. Sie versieht im ganzen Lande den Gendarmeriedienst, und die Pflichttreue und der persönliche Muth, welchen sie stets beweist, haben ihr eine hohe Achtung und das Wohlwollen aller ordnungsliebenden Bürger in Spanien gesichert. Sie ist der Schrecken der Banditen und gilt als die zuverlässigste Stütze der Regierung. Als einmal wiederholt Eisenbahnzüge in den einsamen Gebirgsstrecken des Landes nächtlicherweile überfallen wurden, da ließ man in jeden Nachtzug mehrere dieser Guardias civil einsteigen, und ihre Anwesenheit genügte, um die Passagiere über die Sicherheit ihrer Person und ihrer Habseligkeiten zu beruhigen. Als alte gediente Männer machen sie schon durch ihr Aeußeres einen gebietenden Eindruck; sind es doch meist stattliche Gestalten, deren verwetterte Gesichter mit dem starken schwarzen Schnurrbart sich im Zusammenwirken mit der Uniform äußerst martialisch ausnehmen.

Diese Uniform, von der unser Anfangsbildchen eine Vorstellung zu geben vermag, besteht aus einem dunklen Leibrock mit rothem Brusteinsatz und silberbordierten Aufschlägen, aus weißledernen Kniehosen, schwarzen wollenen Gamaschen und einem Dreispitz als Kopfbedeckung. So erinnern die Leute lebhaft an die Grenadiere Friedrichs des Großen, und ihre malerische Tracht gewinnt noch bei denjenigen, welche beritten erscheinen.

In der Zuneigung des Publikums steht der Guardia civil am nächsten die Gebirgsartillerie; die nebenstehende Abbildung zeigt uns eine Abtheilung derselben auf schmaler Bergstraße. Die Geschütze sind zerlegt in ihre Bestandteile, Rohr, Räder, Protzkasten etc., und sichergehende Maulthiere tragen auf eigens zugerichteten Sätteln die einzelnen Lasten. Handelt sich’s aber um eine Parade, dann bewähren sich dieselben Mulos gleich vortrefflich als leistungsfähige Zugthiere, und im Galopp geht’s mit den kleinen gedrungenen Geschützen und den Protzkasten voll Kanonieren den Prado hinunter.

Gebirgsartillerie.

Manöver in unserem Sinne, wo große Verbände, Divisionen, Armeecorps, gegeneinander operieren, giebt es in Spanien nicht, jeder Truppentheil führt irgend eine Aufgabe für sich aus. Der Grund liegt in der heißblütigen Leidenschaftlichkeit der spanischen Natur, und es hat sich gezeigt, daß eine Felddienstübung mit Partei und Gegenpartei nicht ohne Gefahr ist. Die gegenseitige Eifersucht von Waffengattung gegen Waffengattung, von Regiment gegen Regiment artet dabei leicht in ernsthafte Händel aus, bei denen alle Disciplin in die Brüche geht. Vor etwa fünfzehn Jahren wurde einmal zu Ehren des Kaisers von Marocco ein richtiges Manöver spanischer Truppen veranstaltet. Eine fingierte Feste auf einem Berg sollte genommen werden. Als man aber zum Sturm vorging, da wollte die Besatzung um keinen Preis dem Plan zuliebe weichen, sie mißachtete alle Signale und Befehle, es kam zu scharfen Schüssen und zu Verwundungen hüben und drüben – die Besatzung der Festung behauptete ihre Stellung, unbekümmert darum, daß der Generalstab es anders vorgeschrieben hatte.

Es kennzeichnet diese Geschichte die Eigenwilligkeit der spanischen Regimenter, die sie so oft schon zu schweren Verletzungen der Disciplin geführt hat und insbesondere auch in ihrer Betheiligung an der Politik zu Tage tritt. Die Soldaten in Spanien bilden in der That die Menschenklasse, welche am meisten Politik treibt, und alle Ueberwachung der Kasernen konnte nicht verhindern, daß darin oft genug Verschwörungen geplant und angezettelt wurden. Die Sergeanten waren gern die Häupter dabei, weil sie Offiziere werden wollten, und die Offiziere liebten ihrerseits das Revolutionspielen, weil sie sonst nie oder doch nicht schnell genug ihren Traum von den Generalsschnüren erfüllt sahen.

Doch kehren wir zurück zu Madrid und seinen Festen. Die militärischen Schauspiele, so wichtig und so zahlreich im Leben des Berliners und Parisers, nehmen nur einen bescheidenen Raum ein in dem des Madriders. Hier beansprucht eine Gattung den Vorrang vor allen andern, das sind die Stierkämpfe in der Arena, die „Corridas de Toros“.

Als seinerzeit im November 1883 der deutsche Kronprinz und nachmalige Kaiser Friedrich III. zum Besuche des Königs Alfons XII. nach Madrid kam, war die Herbstsaison der Stiergefechte eben zu Ende gegangen. Aber selbstverständlich wurde für den hohen Gast eine außerordentliche Vorstellung veranstaltet. Der Spanier meint ja niemand eine höhere Ehre erweisen zu können, als wenn er eigens für ihn ein Stiergefecht ansetzt. Das von ihm selbst so leidenschaftlich geliebte Nationalvergnügen, welches an den Sonntagnachmittagen die zehn-, zwölf-, ja fünfzehntausend, nebenbei bemerkt, gar nicht billigen Plätze der städtischen Arenen füllt, es ist das Höchste, was er bieten kann. Eine Mißachtung dieser alten blutigen Spiele, eine Verurtheilung derselben als eines widerwärtigen Auswuchses menschlicher Grausamkeit würde den Spanier aufs tiefste verletzten, und allerdings kann er von dieser überlieferten Gewohnheit öffentlicher Volksbelustigung nicht denselben Eindruck haben wie der Fremde, welcher zum ersten Mal mit ihr Bekanntschaft macht.

Man muß die Stiergefechte eigentlich mit Theateraufführungen vergleichen, die im Frühjahr und Herbst in den offenen Arenen (plazas de toros) stattfinden, von denen jede größere Stadt in Spanien eine besitzt. Wie einem Schauspieldirektor, so wird einem Unternehmer diese Arena für einen bestimmten Preis gegen die Verpflichtung zu einer bestimmten Anzahl von Stierkämpfen verpachtet. Einer der Alcalden (Stadträthe) ist jedoch immer so etwas wie Generalintendant dafür, er ist als Präsident der Torospiele bei einem jeden derselben in seiner besonderen Loge zugegen, um für eine gute Vorstellung den Dank der Zuschauer, für eine schlechte ihren sehr kräftig sich ausdrückenden Unwillen davonzutragen. Selbstverständlich sichert sich deshalb auch dieser Alcalde den nöthigen Einfluß auf den Gang der Handlung. Der Unternehmer seinerseits hat dagegen in erster Linie die Sorge für die Anwerbung des auftretenden Personals.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 436. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_436.jpg&oldid=- (Version vom 31.8.2023)