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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

die berittenen Herolde in altspanischer Tracht, dann die drei Espadas, dahinter fünf bis acht Banderilleros und ebensoviel Picadores zu Pferde, mit breitkrämpigem Hute, und endlich in losen Reihen die Mantelschwenker. Angethan mit ihren Galagewändern, schreiten sie quer über den glattgestampften feinen gelben Sand des Kampfplatzes bis vor die Loge des Hofes oder des Präsidenten, bringen ihren Gruß dar und ziehen sich dann alsbald hinter die Einzäunung in den leeren Gang zurück, welcher die eigentliche Arena von den amphitheatralisch aufsteigenden Sitzreihen trennt.

Nun öffnen sich auf ein Trompetensignal die Flügel des Eingangs auf der Stallseite, und in den leeren Raum trabt der Stier herein. Geschrei und Gepfeife empfängt ihn; er stutzt, sieht sich um und schreitet dann ahnungslos nach Belieben über den Sand. Jeder Schritt setzt ihn der lärmenden Kritik des Publikums aus; bei jeder seiner Bewegungen wird er mit hoffnungsvollem Zuruf beehrt oder schon ausgelacht und gehöhnt.

Jetzt erscheinen die Capeadores, die Mantelschwenker, mit ihren grellen rothen und gelben Tüchern und beginnen den Stier zu reizen. In erwachendem Unmuth läßt er sich auf die Neckerei ein, geht mit gesenkten Hörnern in noch schwerfälligem Stoß drauf los und geräth in steigende Wuth, wenn er merkt, daß er immer ins Leere trifft. Nun kommt es aber vor, daß er bei seinen Ansätzen auf dem glatten Sande ausgleitet; daß er die Lust verliert, sich durch die vorgehaltenen Tücher oder Mäntel weiter äffen zu lassen; daß er selbst den Picadores auf ihren Pferden, die sich an der Cirkuswandung aufgestellt haben, seine völlige Mißachtung bezeigt. Dann reißt die Geduld der Zuschauer. Sie sind empört, daß ein so untauglicher, feiger Toro auf die Scene zu kommen wagt. Ihre Zinnpfeifen schrillen ohrenzerreißend, ihre Stöcke stampfen den hohlen Bretterboden. „Hinaus! hinaus!“ ertönt es von allen Seiten immer wüthender, man ballt die Fäuste oder schwingt die Stöcke gegen die Loge des präsidierenden Alcalden. Diesem bleibt nichts übrig, als dem Willen des souveränen Volks zu gehorchen und den schlechten Stier abführen zu lassen. Auf seinen Wink erscheinen munter trabend vier hellfarbige Ochsen Kopf an Kopf in der Arena, und kaum sehen sie den Geschlechtsverwandten, so nehmen sie ihn in ihre Mitte. Er geht auch hochvergnügt sogleich mit ihnen und verschwindet, ohne die Schmach seines schlechten Debuts zu empfinden und ohne sich durch das ihm nachfolgende Hohngeschrei der Menge irgendwie beleidigt zu fühlen. Es ist eine ebenso heitere wie überraschende Scene für den Fremden, zu sehen, welche Macht die Ochsenfreundschaft auf den Stier ausübt, wobei zu bemerken ist, daß diese Freundschaft auch das beste Mittel bildet, um den Stier ohne Beschwerde von der Weide weg nach der Stadt seiner Triumphe oder Niederlagen zu befördern.

Ist der Sohn der Wildniß bei diesem ersten Auftreten nicht so glücklich, „den Ochsen zu verfallen“, so wird ihm der Sand des Cirkus unfehlbar zum Sterbelager. Die Picadores greifen ihn mit ihren Lanzen an, einer nach dem andern, und seine Haut röthet sich vom herausrieselnden Blut. Ein Pferd um das andere stößt er wüthend nieder, ein Picador um den andern stürzt hilflos in den Sand. Sache der Mantelschwenker ist es, in solchen Augenblicken dem gefährdeten Kameraden zu Hilfe zu eilen und den Stier von ihm ab auf sich zu lenken, bis es jenem gelungen ist, ein frisches Roß zu besteigen. Zugleich greifen aber unter neuem Trompetengeschmetter die kühnen Banderilleros ins Gefecht ein. Sie umspringen und umtanzen das gereizte Thier, stoßen ihm ihre bändergeschmückten Harpunen in das Fell des tief gesenkten Nackens, – immer reichlicher rinnt sein Blut und immer höher steigt seine Wuth.

Abermals ein Signal – und der Espada betritt den Kreis.

Es ist ein feierlicher Augenblick, wenn er, den entblößten Degen und die „Muleta“, das grell rothgelbe Tuch an einem kurzen Stock, in der Linken vor die Loge des Alcalden tritt, seine Mütze abzieht und die Phrase pathetisch hinaufspricht: „Ich sterbe oder ich siege!“ Mit dem Gefolge aller Capeadores wendet er sich sogleich dem Stier zu, um seine Kühnheit und Gewandtheit im kecksten Spiel mit der Muleta bewundern zu lassen. Immer erregter wird das Publikum. Der Espada legt endlich den Stahl aus und stellt den wild die Augen rollenden Stier, der mit gesenkten Hörnern auf ihn zustürmt. Jetzt ein kühner Stoß mit dem Degen, ein gewandter Sprung zur Seite – und wie vom Schlag getroffen bricht das gehetzte Thier mitten im vollsten Anlauf zusammen. Der Espada hat glücklich die einzige Stelle des Nackens getroffen, deren Verletzung den sofortigen Tod des Stiers zur Folge hat. Ein wahres Beifallstoben bricht über den glücklichen Sieger herein: Orangen, Geldstücke, Hüte, Stöcke, Cigarettentaschen, Regenschirme, Fächer und allerlei andere Dinge regnen in die Arena, Geschenke, welche dem Bewunderten von den begeisterten Männern und Frauen gespendet werden und die man ihm entweder läßt oder nachher auslöst.

Inzwischen ist das mächtige Thier verendet, Musik ertönt ihm zur Todesfeier. Knechte erscheinen mit einem Dreigespann von lustig aufgeputzten Maultieren und schleifen erst die todten Pferde, dann den todten Stier hinaus vor die Thore der Arena, wo der letztere sofort ausgeschlachtet und verkauft wird. Drinnen fegt man den Sand über die Lachen von Blut, die letzte Spur des Kampfes wird vertilgt – eine neue Fanfare: und ein neuer Stier betritt den Kreis.

Nicht immer aber ist der Stoß des Espada so glücklich. Es kommt vor, daß der Stier nicht zusammenbricht, daß er weiterrast mit dem Degen im Nacken. In solchem Falle erscheint der „Matador“; er giebt mit seinem kurzen Schlachtmesser dem Thiere den Todesstoß. Der ungeschickte Espada aber mag sich hüten vor der Ungnade des verwöhnten Publikums; so freigebig es mit seinen Gunstbezeigungen ist, so rücksichtslos drückt es seinen Unwillen aus, und es sind nicht die saubersten Dinge und nicht die schmeichelhaftesten Benennungen, die um die Ohren des Unglücklichen sausen.

Unser Blick aber wendet sich trotz aller malerischen Farbenpracht, die sich in einem solchen Stiergefecht darbietet, trotz aller Bewunderung für die hochgesteigerte menschliche Kraft und Gewandtheit, welche in den Leistungen der Toreros sich entfalten, doch mit innerem Grausen ab von einer Schaustellung, die so sehr auf die rohen Leidenschaften der Menge berechnet ist, und wir müssen jener verwandten Erscheinungen unter den Vergnügungen des alten Roms gedenken, jener Thierhetzen im Amphitheater, die nicht den Aufstieg, sondern den Niedergang des Römervolkes begleiteten.



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Eine Beichte.

Novelle von Ernst Wichert.

(Schluß.)


„Immer seltener theilte Eduard mir nun neue Entwürfe mit,“ fuhr Frau Cilli in ihrer Erzählung fort. „Wenn er von seinen dichterischen Bestrebungen redete, so geschah es mit recht unbehaglicher Ironie. Nicht daß er das Bedenken ausgesprochen hätte, sich in seiner Befähigung getäuscht zu haben. Gewiß nicht! Aber er fing an, zu klagen, daß er die Zeit nicht habe, sich in eine Arbeit zu vertiefen, die den ganzen Menschen in Anspruch nehmen müsse, wenn sie gelingen solle; daß ihn sein wissenschaftliches Studium austrockne und ernüchtere; daß er auch da nie die freien Höhen erreichen und befriedigende Ausschau halten, sondern in einem armseligen Schulamt verkümmern werde. Er sei kein Philologe nach dem Herzen gewisser bei ihren Fachgenossen hochberühmter Universitätsprofessoren; das ewige Wiederkäuen der alten Speisen mache ihn stumpf und dumm. Er erkenne, daß er seinen Beruf verfehlt habe; ganz mit Leib und Seele Schriftsteller hätte er werden müssen! Die Muse fordere volle Hingabe oder wende sich erzürnt ab. Ich glaubte darin nur den Unmuth lesen zu dürfen, daß ihm nichts recht nach Wunsch gelingen wollte, und vertröstete ihn auf die Zeit, in der er wieder mehr Freiheit haben werde, sich nach Neigung zu beschäftigen. Er brachte denn auch, was mit jenen Klagen nicht recht stimmen wollte, seine Examina nicht nur glatt, sondern mit Auszeichnung hinter sich. Freilich, der darauf folgende Entschluß, eine Hauslehrerstelle anzunehmen, betrübte mich; doch war ich weit entfernt, ihn durch den Vorwurf zu quälen, daß er unsere Vereinigung in immer weitere Ferne hinausschiebe. Er gab mir zu verstehen, daß die Absicht, Ersparnisse

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_439.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2023)