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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

zu machen, nur so mitlaufe; leitend für ihn sei vielmehr der Gedanke, sich einmal für längere Zeit in die ländliche Einsamkeit zurückzuziehen, um sich ganz seinen dichterischen Plänen hingeben zu können. Nun müsse sich’s zeigen, was er zu leisten vermöge.

Es zeigte sich nicht. In jedem Briefe beschwerte er sich, daß das gesellschaftliche Leben in dem reichbegüterten gräflichen Hause ihn abziehe und zerstreue, daß er’s mit lauter Menschen zu thun habe, die ihn nicht fördern. Es gelang ihm endlich doch, eines seiner älteren Dramen auf einer Provinzialbühne zur Aufführung zu bringen. Er selbst wohnte der Darstellung bei und berichtete mir noch in der Nacht sehr glücklich, das Spiel sei vorzüglich gewesen, das Publikum habe andächtig gelauscht und auch Beifall gespendet. Ein Rückschlag der Stimmung erfolgte nur zu bald bei ihm, als die Zeitungen von dem Achtungserfolg eines unbekannten, nicht talentlosen, aber offenbar ganz bühnenunkundigen Dichters sprachen, dessen rhetorisches Pathos zwar im Augenblick hinreiße, dem es jedoch noch nicht gelinge, eine packende Fabel zu erfinden und seine Figuren ausreichend zu individualisieren. Die Besprechungen schlossen mit einer freundlichen Ermunterung, auf dem beschrittenen Wege vorwärts zu gehen und bald ein neues Werk zu bringen, das bessere Aussicht habe, sich einen dauernden Platz auf der Bühne zu erringen. Der Direktor hatte nur eine Wiederholung gewagt.

Mich schmerzte diese Abfertigung tief, und das um so mehr, als ich den kritischen Richtern nicht Unrecht geben konnte. Niemals hätte ich dazu gerathen, gerade dieses Drama der Gefahr eines halben Erfolges, das hieß in diesem Falle eines Mißerfolges, auszusetzen. Sehr merkwürdig war mir aber die Erfahrung, daß Eduard, sonst so empfindlich gegen die zartesten Einwendungen, sich jetzt den Anschein zu geben suchte, gar nichts anderes als ein bedingtes Lob erwartet zu haben. Man habe ja nur zu sehr recht: er sei bühnenunkundig und überdies besser in den alten Schmökern als in der wirklichen Welt zu Hause. Man spreche ihm ja keineswegs die Begabung ab und ermuntere ihn zu glücklicheren Versuchen. Ach! wie mich diese Selbsttäuschungen des geliebten Mannes peinigten! Und ich durfte ihm nicht einmal zurufen, sich vorzusehen, er hätte das von mir nicht verstanden. Ich schwieg, wo ich ihm nicht beitreten konnte, und sprach nur die Hoffnung aus, dieses neue Werk, das entscheidend sein solle, werde nicht lange auf sich warten lassen.

Dann kamen seine Briefe seltener und unregelmäßiger, aber sie waren voll von Betheuerungen seiner Liebe, voll von Dankbarkeitsbezeigungen, daß ich so großmüthig Geduld mit ihm habe. Endlich blieben sie einen Monat lang ganz aus, und dann eines Tages …“

Frau Cilli sprach plötzlich mit schluchzender Stimme und deckte die Hand über die feuchtglänzenden Augen.

„Eines Tages –?“ fragte ich gespannt.

„Es muß doch gesagt sein,“ begann sie wieder, die schmerzliche Bewegung überwindend. „Eines Tages überraschte mich Eduard durch seinen Besuch. Er umarmte und küßte mich mit stürmischer Leidenschaft; und dann warf er sich mir zu Füßen und rief: ‚Ich liebe Dich, Cäcilie, ich liebe Dich noch immer so innig, wie ich Dich je geliebt habe. Ich werde unglücklich sein, wenn ich Dich verliere – aber nur so kann ich meinen Lebensberuf erfüllen, ein Dichter werden, Du hast ein großes Herz, eine edelmüthige Seele – gieb mich frei! Was ich mir bisher erarbeitet habe, hatte nur den Zweck, mir eine Lebensstellung zu gewinnen, die ich mit Dir theilen könnte. Ich muß diese Hoffnung abwerfen, wenn ich dem Genius folgen will, der mich zu sich hinaufruft. Nochmals muß ich neu beginnen und ich werde Jahre lang zu hungern und zu darben haben. Dir darf ich nicht anbieten, ein solches Los mit mir zu theilen; ich liebe Dich zu sehr, um mit leichtem Gemüth über die tägliche Sorge hinwegsehen zu können, die ich Dir bereiten muß. Nein, Liebste, nein! Lieber jetzt den tödlichsten Trennungsschmerz als später ein langsames erbärmliches Sichverlieren. Ich weiß jetzt, daß ich nur in voller Freiheit dichterisch schaffen kann. Sei edelmüthig – gieb mich frei! Du hast mein Wort und ich werde als ehrlicher Mann daran festhalten, so lange Du selbst es forderst – das kam ich Dir zu sagen. Aber zu Deinem eigenen Heil flehe ich Dich an: fordere es nicht! Es wäre unser beider Elend. Gieb mich frei, Cäcilie!‘

Ich war vom Schreck wie gelähmt. Das völlig Unerwartete war geschehen, Eduard verlangte sein Wort zurück. Nicht weil er mich nicht mehr liebte, nicht weil er an meinem Gefühl für ihn zweifelte, nicht aus irgend einem Grunde, der das Wesen unseres Herzensbundes berührte. Er wollte frei sein, weil er meinte, ohne seinen Lebensnerv zu vernichten, dürfe er das Amt nicht annehmen, auf das er sich so viele Jahre vorbereitet hatte. Ich hob ihn auf, schloß ihn in meine Arme, suchte ihn zu beruhigen. Er war entsetzlich bleich und zitterte am ganzen Leibe. Ich mußte ihn für krank, vielleicht für geistig gestört halten – er war mir im Augenblick ganz unfaßlich; nur daß ich ihn aufs tiefste zu bemitleiden hätte, war mir gewiß. Wir sprachen hin und her, er wiederholte immer dieselben Worte. Ich bat ihn endlich um vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit. ‚Entscheide Dich gleich,‘ rief er, ‚folge Deinem ersten Gefühl! Wie Du bist, kannst Du nicht anders als großmüthig handeln. Warum diese Qual verlängern? Du wirst einsehen, daß ich ein gewissenloser Mensch wäre, wenn ich gezögert hätte, Dir über mich die ganze Wahrheit zu sagen. Was kann ich Dir jetzt noch sein?‘

Allein mit jeder Minute wurde mir’s gewisser, daß ich mich sammeln, zu ruhiger Ueberlegung zwingen müsse. So blieb ich dabei, daß ich ihm erst am andern Tage Antwort zu geben vermöge. Ich forderte ihn auf, noch nicht fortzugehen: wir wollten versuchen, den wunden Punkt nicht zu berühren. ‚Glaubst Du mir Unmenschliches zumuthen zu können?‘ erwiderte er. ‚Ich sehe, daß Du mich schon nicht mehr mit jener Seelengröße liebst, mit der ich Dich liebe!‘ Er stürmte fort.

O diese entsetzlichen vierundzwanzig Stunden! Wie konnte ein Menschenhirn und ein Menschenherz mit ihnen fertig werden! Wenn ich eine gemeine Natur gewesen wäre, wenn ich es fertig gebracht hätte, mit Entrüstung von dem Abtrünnigen mich abzuwenden oder aus selbstsüchtigen Beweggründen ihn beim Wort zu halten, an das er sich ja doch gebunden fühlte! – Verstehen Sie mich recht, bester Freund. Die Frage war erlaubt und gar nicht zu umgehen, ob die gemeine Natur hier nicht guten Grund hatte, entscheiden zu wollen, ob es nicht eine Verirrung war, ihre Regungen gewaltsam niederzudrücken und eine höhere Warte zu erstreben, von der aus doch nur ein allwissender Gott richten konnte. Hatte ich nicht Grund, zu zürnen, mich stolz abzuwenden? Und andererseits – wer hätte mir’s verargen können, wenn ich bedachte, daß ich früh mein Schicksal vertrauensvoll in seine Hand gelegt, ihm die besten Jahre meiner Jugend hingegeben, eine berechtigte Hoffnung genährt hatte, die nicht durch eine Laune zu Schanden gemacht werden durfte? Und etwas Drittes gab es ja gar nicht, als ihn fortzustoßen oder ihn festzuhalten. Wenn ich diese natürlichen Regungen fernhielt und andere Gründe für meine Entscheidung aufsuchte, wer sagte mir, ob jene nicht doch im geheimen mächtig seien, ob ich mich und ihn nicht betrog, wenn ich mir einbildete, sie überwunden oder nie empfunden zu haben?

Wie schwer ist es, in solcher Lage ganz ehrlich zu sein! Und doch – es blieb mir nur dies übrig: mein Herz zu reinigen von Selbstsucht und zorniger Leidenschaft, so weit es ein Mensch vermöchte, und dann abzuwarten, ob mir ein Licht käme, das Dunkel zu erleuchten. Nein! ich zürnte nicht, wahrhaftig! ich zürnte nicht. Und wie sehr ich ihn liebte, wie viel ich mit ihm verlor, zu seinem Verderben wollte ich ihn nicht halten. Aber das gab noch kein Licht, kaum einen Dämmerschein. Sagte mir Eduard nicht, daß er mich liebe, daß er unglücklich sein werde ohne mich? Und das war keine Lüge, nicht einmal eine Selbsttäuschung. Es war gar nicht anders möglich, er liebte mich noch immer und er konnte nie wieder glücklich sein, wenn ich seinen Wunsch erfüllte; er hatte ein so warmes Herz und ein so zartes Gewissen! Und wenn ihn die Hoffnung, einen Ersatz zu finden, betrog? Wenn er nie ein Dichter wurde trotzdem – oder wenn er dennoch ein Dichter war … Das war das Furchtbarste. Wer deutete mir da den rechten Weg? Und gerade hier wurzelten alle meine Zweifel. Ich wühlte aus seinen Briefen die Gedichte heraus, die mir gewidmet waren; ich las die Dramen, von denen ich ihm Abschrift gefertigt hatte, mit peinlichem Eifer vom ersten bis zum letzten Wort, auch das aufgeführte, das er auf seine Kosten hatte drucken lassen – ich las die ganze Nacht hindurch und mit brennenden Augen in den Tag hinein … Wie geschah es nur, daß ich nicht glauben konnte? O mein Gott! wenn er irrte, wenn er sein Herz unselig machte und nichts dafür gewann – wenn eine Zeit kam, in der er seine Verblendung so klar erkannte wie ich jetzt? Dann war sein ganzes Dasein verfehlt – und ich trug mit ihm die Schuld. – –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_442.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2023)