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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

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Baronin Müller.

Roman von Karl v. Heigel.
1.

Das Städtchen Hohenwart liegt auf dem linken Flußufer in der Ebene, aber nahe dem Hochgebirge. Als dort sich zutrug, was wir erzählen wollen, war die Regelung des Strombettes noch nicht vollendet; zu Zeiten ergoß sich das Gewässer über das weidenbestandene Ufergeröll in die angrenzenden Auen und überfluthete die Stege, welche durch das Ueberschwemmungsgebiet zum Fährhaus führten; eine Fähre nämlich vermittelte damals allein den Verkehr mit den jenseits gelegenen Dörfern. Abgesehen von diesen unwirthlichen Gestaden machten Stadt und Gelände einen freundlichen Eindruck, einen malerischen – im üblichen Sinne – allerdings nicht. Das offene Land bot dem Auge einige wenige Forsten, zahlreiche Dörfer, da und dort ein Herrenhaus auf einem Hügel, Wiesen, Aecker, Bruch. Wenn ein abendrother Himmel über der Ebene lag und die Gebirgswand mit glühendem Schein überkleidete, war das Bild wirkungsvoller.

Hohenwart hat eine ehrwürdige Vergangenheit, allein die Ringmauer ist längst gefallen. Dafür umgeben wohlgepflegte Baumanlagen das Städtchen, das durch einen immer friedlichen bräunlichen Bach in zwei Bezirke getheilt wird. Die Häuser sind den Bedürfnissen der Gegenwart angepaßt, nüchtern, säuberlich gehalten, sonnig, beinahe jedes hat einen Vorgarten. Hohe Giebelhäuser mit Erkern, unregelmäßigen Lichtöffnungen und wunderlich geformten Wasserspeiern giebt es nur noch auf dem Marktplatz, über dem der Stadtberg mit der alten Burg Derer von Hohenwart sich erhebt. Der Marktplatz liegt am südlichen Abhang; im Osten führt eine breite Straße sachte bergan, man läßt die Baumgruppen des „Schloßkellers“ und das „Kurhaus“ tief unter sich. Oben angelangt, wird man alsbald gewahr, daß die Burg zum Theil Ruine ist. Durch den gewölbten Thorweg tritt man in einen grobgepflasterten Hof, wo eintönig ein Brunnen plätschert. Die Seitenflügel des gewaltigen Baues mit ihren offenen Bogengängen nach dem Hofe sind gut erhalten, dagegen ist das westliche Quergebäude nur noch hohläugiges Getrümmer. Eine schmale steinerne Treppe, mit bemoosten Schindeln überdacht, führt vom Hof zu den Bogengängen im ersten Stock, zur Kanzlei des Amtsgerichts im nördlichen Flügel, zu den Wohnungen des Richters und des Amtsdieners im südlichen. Die Räumlichkeiten über dem Thorweg, sowie diejenigen im Erdgeschoß und im zweiten Stock sind unbewohnt, die meisten davon auch unbewohnbar.

In dieser hohen Warte hatte der Amtsrichter Vitus Müller viele Jahre lang als Junggeselle gehaust, einsam, freudlos und schnell alternd. Doch nachdem er die Oberstenwitwe Ida Freiin von Gatterburg geheirathet hatte, war’s mit der Verlassenheit und Düsterkeit droben vorbei. Denn die „Frau Baronin“, wie die Frau Amtsrichter Müller mit freigebiger Höflichkeit nach wie vor genannt wurde, brachte außer einer hübschen Einrichtung ihre Tochter Verena mit. Das liebliche Mädchen hatte Sinn für Häuslichkeit – nicht eben von der Mutter –, Geschmack und eine geschickte Hand. Die hohen Zimmer mit ihren Erkern und Alkoven, ungleichen Fenstern und schwarzgewordenen Deckenbalken wurden nach und nach ein Heim, das jeden Gast entzückte und in dem sogar die anspruchsvolle Oberstin sich zeitweilig behaglich fühlte. Um die Gitterstäbe vor den Fenstern rankte sich Grün, und der Bogengang vor der Wohnung des Richters war sommers ein Blumengarten. Zuweilen wandelte Verena dort auf und ab, wenn die Herren vom Gericht zur Arbeit gingen. Dann blieb Assessor Tannhauser, der an „rheumatischem“ Zahnschmerz litt und die Halle sonst zugig fand, so lange vor der Thür, bis drüben die Liebliche ihn erblickte und seinen Gruß erwiderte; und der kühnere Referendar Haspinger mit dem großen Schnurrbart that im ähnlichen Fall seine Anwesenheit und seine Sehnsucht durch Räuspern kund.

Vitus Müller machte noch immer verwunderte Augen, wenn er sich an seine Häuslichkeit in den Junggesellenjahren erinnerte.

„Es war die alte Heimath noch,
Und alles war ein andres doch.“

Auch an sich selbst erfuhr er die Künste Verenas. Sie bürstete ihm den Rock, und wenn es den höchsten Glanz galt, auch das Haar; sie schlang seine Halsbinde in einen gefälligeren Knoten und drängte ihm zu Besuchen mit sanftem Zwang Handschuhe und Cylinderhut auf. Ein Elegant wurde er allerdings nicht mehr, schon die Brille und die Art, wie er sie trug, gaben ihm etwas Altmodisches und Steifes; und obgleich er gut gewachsen, groß und breitschulterig war, ging er, der Vierziger, doch gebückt wie ein Alter. Frau Ida, die nur um wenige Jahre jünger war als ihr Mann, hielt sich noch stramm wie ein Lieutenant. Sie war eine schöne Frau, dunkelhaarig, dunkeläugig, die Gesichtsfarbe nicht gerade lebhaft, aber ohne krankhafte Blässe.

Hohenwart hat als Sommerfrische für Sparsame einen guten Ruf. Wer seiner Sparsamkeit ein ärztliches Mäntelchen umhängen will, geht wegen der „Moorbäder“ hin. Frau Oberst von Gatterburg hatte die Moorbäder gebraucht und war dem Amtsrichter im Kurgarten aufgefallen, wo er bei schönem Wetter seinen Nachmittagskaffee zu trinken pflegte. Die trauernde Witwe that es ihm an, so – wenigstens ungefähr so hatte er sich das Weib gedacht, das er zur Frau wünschte.

Ida war in Wahrheit eine trauernde Witwe. Aus guter Familie, doch mittellos, hatte sie sehr jung einen österreichischen Offizier geheirathet. Die Stellung der üblichen „Kaution“ war ihnen erlassen worden. Ihr Mann rückte vor, wurde Oberst, wurde geadelt. Aber sein plötzlicher Tod versetzte Mutter und Kind in eine schwierige Lage. Vermögen war nicht da, dagegen eine unglaubliche Fülle unbezahlter Rechnungen. Eine Zeitlang lebte die Witwe auf dem alten großen Fuße weiter. Dann kam für das verwöhnte Glückskind die Wende. Sie sah sich bedrängt, hilflos, vor einer düsteren Zukunft. Gegen solche Leiden halfen auch die Moorbäder nicht.

Die Bekanntschaft der Frau in Schwarz hatte der Richter rasch gemacht, beinahe ebenso schnell gewann er ihr Vertrauen. Er war ernst, doch ohne Strenge, ein guter Mann. Sie bat ihn um Rath, und Vitus Müller übernahm es, ihre verworrenen Angelegenheiten zu ordnen. Zum ersten Mal wurde er feurig, in einem endlosen Schriftwechsel beredt, findig, sogar listig. Ida hätte keinen geschickteren Anwalt bekommen können – jedenfalls keinen so billigen. Sie blieb bis Mitte Dezember in Hohenwart. Als sie dann den Tag der Abreise „unwiderruflich“ festsetzte, gewann Vitus den Muth, um ihre Hand anzuhalten.

Die Frage traf sie nicht unvorbereitet, sie hatte diese Wendung vorausgesehen und langher bedacht.

Amtsrichter Müller! Gegen den Namen hatte sie nichts einzuwenden, sie kannte die Schwächen der Kleinstädter hinlänglich, um beruhigt zu sein, daß sie „die Frau Baronin“ bleiben werde. Gegen den Mann ließ sich nur bezüglich des äußeren Menschen etwas sagen. Man wird diesen äußeren Menschen erziehen. Ida war dem Richter Hochachtung wie Dankbarkeit schuldig; sie fühlte für ihn so warm, als sie überhaupt empfinden konnte. Die Aussicht, jahrelang, vielleicht für immer in Hohenwart zu leben, hatte nichts Schreckliches für sie. Eine Oberstin ohne Regiment ist in einer großen Stadt eine Flagge auf Halbmast. In Hohenwart dagegen war Frau von Gatterburg die vornehmste, die eleganteste, die erste Dame. Allerdings bleibt eine schöne Frau auch in einer Großstadt schön, und wenn sie ihren Witwensitz nach Wien oder München verlegte, würde vielleicht – doch da fiel ihr Blick auf das Kind, das sich erstaunlich rasch zum Fräulein entwickelte. In der Nähe dieses Frühlings überkam sie ein herbstliches Frösteln. Nein, sie wollte nicht mehr in die Ferne schweifen! … Das alles war von ihr überlegt und geprüft worden, dennoch verlangte sie vom Freier vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit.

Der Amtsrichter war ein stiller Mann. Im Kasino blieb er nur so lange, bis er die Zeitungen gelesen hatte; wenn er am Stammtisch im „Schloßbräu“ erschien, spielte er mit dem Notar Schach; zu allen Gesprächen, die sich nicht um Rechtsfragen drehten, schwieg er. Trotzdem wußte ganz Hohenwart, wie es ihm ums Herz war; sie nimmt ihn nicht, sagte jedermann.

Aber sie nahm ihn.

Nun prophezeite man eine unglückliche Ehe, allein auch diese Weissagung wollte sich nicht erfüllen. Vielleicht würde die Häuslichkeit ohne Verena weniger angenehm geworden sein. So schwärmte er nach fünfjähriger Ehe für seine Frau nicht weniger als vor der Heirath, nach seiner Weise: seine Liebe war ein Lied

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_450.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2023)