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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Und als ihm erwidert wurde, daß der Inhaber jener Wohnung überhaupt keinen Hund besitze, gab er unbedenklich zurück: dann müsse er sich eben in der Hausnummer geirrt haben.

Das Sistierzimmer

Natürlich sind all diese Ausreden gänzlich nutzlos, können aber das Verhör unnöthig ausdehnen und das darüber geführte Protokoll, welches der Vernommene zu unterschreiben hat, sehr in die Länge ziehen. So redet denn häufig der Kriminalkommissar dem Verhafteten „in Güte“ zu: „Na, Schulze, gesteht es doch ein, daß Ihr auch an dem Einbruch betheiligt waret – wir haben doch die Sachen beim Hehler gefunden, und der hat Euch angegeben, also warum denn die Lügenmätzchen?“

„Herr Kommissar, ich habe mit der ganzen Sache nichts zu thun!“

„Na, da woll’n wir ’mal den Hehler kommen lassen, der ist ja hier und wird’s Euch ins Gesicht sagen.“

Der Verbrecher scheint auf einen Augenblick unruhig zu werden, blickt dann aber sofort wieder gefaßt zu Boden und bewahrt seine Gleichgültigkeit auch, als der Hehler, ein kleines zusammengeschrumpftes Männchen mit stechenden Zügen, von einem Schutzmanne hereingeführt wird.

„Kommen Sie einmal her, Zimmermann!“ ruft der Kommissar dem Hehler zu, „Sie haben doch gesagt, daß der Schulze hier Ihnen die silbernen Leuchter gebracht hat, wie steht’s damit?“

Der Hehler wirft einen ängstlichen Blick auf den Einbrecher, welcher den Eingetretenen gar nicht beachtet, dann antwortet er zögernd:

„Nein, Herr Kommissar, der Mann ist’s doch nicht; der Mann, der die Leuchter gebracht hat, war größer, er hatte auch einen anderen Bart.“

„So,“ räuspert sich der Kommissar, „von Euch beiden schwindelt ja einer immer netter als der andere, namentlich der Schulze, der sollte doch von früher her wissen, daß er bei uns damit nicht durchdringt. Schulze, seht einmal, was ist denn das hier?“

Der Verbrecher blickt auf, und eine leichte Röthe bedeckt sein Gesicht – eine kleine goldene Damenuhr leuchtet ihm entgegen, die aus demselben Einbruch stammt und die er seiner Geliebten geschenkt hat; das hat er nicht für möglich gehalten, daß die Polizei von letzterer bereits etwas wisse, da die beiderseitigen Beziehungen erst seit kurzer Frist angeknüpft sind. Allein schnell setzt er ein neues Lügensystem zusammen: „Ja, die Uhr –“ er faßt sie näher ins Auge – „was soll ich denn mit der Uhr?“

„So, diese Uhr kennt Ihr also nicht, alter Junge? Da will ich Eurem Gedächtniß aufhelfen. Ihr habt sie in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag in dem Brandtschen Schanklokal der Klara Elsner geschenkt.“

„Ach, jetzt besinne ich mich, ja, ja, das stimmt,“ meint der Verbrecher, „die Uhr hatte ich von einem Freunde für eine Schuld erhalten.“

„Von einem Freunde also?“ lacht der Beamte. „Auch gut, übrigens hat’s mit der Uhr nicht viel auf sich, es handelt sich zunächst um die Leuchter – und nun, Schulze, habe ich hier ein Blättchen Papier, das ist bei der Elsner gefunden worden, und da steht drauf, notabene, von Eurer Hand geschrieben: ‚Die Leuchter bin ich glücklich bei Z. losgeworden, jetzt ist von dem ganzen Kitt nichts mehr übrig; zugleich hier die erbetenen dreißig Mk.‘ – Und, Schulze, damit Ihr nicht nochmals lügt, hier ist Euer Notizbuch und hier habt Ihr jene Seite herausgerissen, seht her, wie hübsch die Stücke zusammenpassen. Ich habe die Elsner noch nicht verhaften lassen, mir scheint aber, daß sie mit Euch unter einer Decke steckt und –“

„Nein, nein, Herr Kommissar, das ist nicht der Fall, die Klara hat damit gar nichts zu thun, sie ist wahrhaftig unschuldig.“

„Gut, so gesteht doch endlich selbst –“

„Na, Herr Kommissar, ja, ich habe die Sachen gestohlen! Aber die Klara –“

„Laßt doch die Klara jetzt sein, sie soll in die Geschichte nicht verwickelt werden; hier, unterschreibt! Und das nächste Mal – es wird wohl ein paar Jährchen dauern, bis wir uns wiedersehen – da seid mit Eurem Zettelschreiben vorsichtiger!“

„Adjes, Herr Kommissar!“

„Adieu, Schulze!“ und zu dem Hehler: „Zimmermann, jetzt tretet einmal näher, nun wollen wir noch ein Hühnchen zusammen rupfen!“ Und ein neues Verhör beginnt, dem sich sofort weitere anschließen, da die Sache jedes Verhafteten binnen vierundzwanzig Stunden nach seiner Einlieferung so weit gefördert sein muß, daß sie dem Untersuchungsrichter übergeben werden kann – eine Bestimmung, die trotz ihrer guten Seiten manchen Nachtheil in sich schließt.

Nicht immer geht es mit den Verhören so glatt ab, wie wir es eben zu schildern versucht haben. Ist das Verdachtsmaterial kein zwingendes und trifft es nicht genau zu, so müssen oft Hunderte seiner Maschen geknüpft werden, um den Verbrecher im Netz zu fangen. Häufig weigern sich auch die als verdächtig eingezogenen Personen aufs hartnäckigste, ihren richtigen Namen zu nennen, verstellen sich mit Körperschäden – wie Hinken, Schielen, nervösem Gesichtszucken – um die Polizei auf falsche Fährten zu leiten, zumal wenn sie auswärts schon bestraft sind und nicht wünschen, daß dies die Berliner Polizei erfährt, oder wenn sie noch anderweitig über sie verhängte Strafen verbüßen müssen. Vor allem aber muß man erst den Verbrecher haben, um ihn der That überführen und bestrafen zu können. „Geübte“ Verbrecher verstehen es häufig so gut, ihre Spuren zu verwischen, daß selbst der gewiegteste Kriminalist an einer Ergreifung verzweifelt, bis meist eine ganz geringfügige Kleinigkeit ihn auf die Fährte bringt und nun die Jagd auf den Thäter ihren Anfang nehmen kann.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_459.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2023)