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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Sie sah ihn an, mit einem offenen und doch schmerzlichen Blick, und er glaubte zu verstehen, was ihre Augen sprachen: „Jetzt lernst Du, meiner Seele wohlzuthun, jetzt, wo es zu spät ist.“

„Kommen Sie,“ klang es indessen ganz ruhig von ihren Lippen, „lassen Sie mich erfahren, was Vater und Mutter schreiben!“

Als er ihr kameradschaftlich die Schnur von dem Kistchen gelöst und die Nägel herausgezogen hatte, wobei sie sich ein wenig stritten, weil jedes eine andere Seite für die am besten loszumachende hielt, hätte Lüdinghausen sie mit den Briefen und dem Kistchen allein lassen müssen. Er fühlte es und blieb doch.

Er schaute zu, wie sie auskramte. Das Kistchen stand auf einem der in einer langen Reihe an der Wand aufgestellten Stühle. Rahel saß links, er rechts daneben.

„Hier ist es beinahe wie in einem Wartesaal,“ scherzte er.

„Ja, wenn die schönen Blumen nicht wären.“

Aus den Papierschnitzeln holte Rahel zunächst eine Bonbonnière hervor. Dann ein Armband, auf dessen Umhüllung stand: „Alide ihrer lieben Freundin.“ Also für Fräulein Malchen. Dann noch ein sorgfältig eingepackter Gegenstand. Eine prachtvolle Brosche für Rahel, in der Form eines Sternes von Perlen und Diamanten. Rahel war ein wenig bleich. Man merkte es diesem Geschenk allzu sehr an, daß seine Kostbarkeit für die Wahl bestimmend gewesen war. Das viele Geld sollte beweisen, daß man auch für die jüngere Tochter keine Ausgabe scheue und mit Liebe ihrer gedenke.

Und eben das betrübte Rahel; dieser Liebesbeweis, erbracht durch einen kurzen Gang zum Juwelier, schien ihr so kalt. Der tadellos künstlerische Geschmack des Schmuckstückes erfreute kaum ihr Auge.

Das alterthümliche Seidenkleid, das da drüben für sie lag und in welchem sie sich wahrscheinlich wie eine Urgroßmutter ausnehmen würde, dünkte sie ein köstliches Geschenk und unbeschreiblich schön.

„Wie gut und liebevoll von Papa!“ sagte sie leise.

Erasmus Lüdinghausen las in ihrer Seele. Er erkannte, daß ein Blümchen, sinnig gewählt, bedeutsam gegeben, ein zartes Frauenherz mehr beglücken kann als alle Perlen und Diamanten. Und die Freude, welche sie vorhin an den gewiß unverständig gewählten Gaben gezeigt hatte, warf einen erneuten Nachglanz in sein Herz. Da hatte sie empfunden, daß Liebe für sie gedacht und gesorgt habe – das Ergebniß galt ihr gleich.

„Rahel,“ begann er und wußte nicht, was er sagen wollte und was die nächste Sekunde bringen würde. Eine unendliche Liebe, die Sehnsucht, dieses herrliche Wesen an seine Brust zu ziehen, erfüllte ihn ganz.

Aber sie streckte abwehrend ihre zitternde Hand aus, und er neigte ergeben das Haupt.

Nein, sie hatte recht, es konnte niemals sein. Für immer stand Lea zwischen ihnen. Es war undenkbar, daß er als Rahels Verlobter ein Haus betreten würde, wo er unausgesetzt jener begegnete, die mit ihm gespielt hatte und deren Anblick Rahel täglich neu daran mahnen mußte, daß er sie um der andern willen so lange nicht bemerkt! Sie nicht bemerkt, die er zum Inhalt seines ganzen Lebens machen mußte, wenn dies Leben nicht werthlos werden sollte!

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Eine Heimstätte deutscher Bildung in Amerika. Man macht sich bei uns in Deutschland, der Heimath eines hoch entwickelten staatlichen Schulwesens, keinen Begriff von den Schwierigkeiten, mit denen unsere Landsleute in den Vereinigten Staaten von Nordamerika zu kämpfen haben, um ihren heranwachsenden Kindern einen gründlichen und umfassenden Unterricht angedeihen zu lassen. Wohl giebt es auch dort öffentliche Schulen, aber weder Lehrplan noch Lehrmethode entsprechen den Anforderungen, welche der Deutsche nach den Ueberlieferungen seiner alten Heimath an solche Erziehungsanstalten zu stellen sich berechtigt glaubt. So sahen sich die deutschen Ansiedler von jeher auf den Weg der Privatschulen verwiesen, und in der That wurden ihrer viele gegründet, brachten es auch zeitweise zu hoher Blüthe, ja sie verfehlten sogar nicht einer erfreulichen Rückwirkung auf die öffentlichen Schulen. Aber leider war die Blüthe an den meisten Orten von kurzer Dauer. Die verschiedensten Umstände, Geschäftsstockungen, Lehrerwechsel, persönliche Mißhelligkeiten oder Parteiungen, eine gewisse Gleichgültigkeit gegen gemeinsame Angelegenheiten, alle diese Gründe zehrten einzeln oder zusammen an dem Mark mancher eben noch so glücklichen Unternehmung und brachten sie zu Fall.

Eine der wenigen Schulen, die in dem Kampfe ums Dasein siegreich das Feld behauptet haben, ist die „Deutsch-englische Akademie“ von Milwaukee. Sie wurde im Jahre 1851 von einer Anzahl deutscher Männer gegründet und allen Anfechtungen zum Trotz, wenn auch oft mit bedeutenden Opfern, erhalten.

Unter der umsichtigen Leitung Peter Engelmanns, der nahezu 23 Jahre lang an der Spitze der Anstalt stand, brachte sie es einmal – im Jahre 1865 – sogar bis auf 450 Schüler. So glänzend freilich steht sie heute nicht da, die Zahl der Zöglinge bewegte sich in den letzten Jahren zwischen 100 und 200. Aber was der „Deutsch-englischen Akademie“ Halt verlieh und ihr in Zeiten finanzieller Bedrängniß immer wieder Rettung brachte, das war der Zusammenschluß ihrer Freunde zu einem festen Verbande, dem Schulverein von Milwaukee oder, wie die übliche amerikanisch-deutsche Mißform lautet, dem „Milwaukee Schulverein“. Auch die Opferwilligkeit des „Milwaukee Frauenvereins“ hat viel zur Erhaltung und Förderung der Anstalt beigetragen. Eine weitere Festigung ward ihr zu Theil, als im Jahre 1879 der „Deutsch-amerikanische Lehrerbund“ sein Seminar gründete und mit der „Deutsch-englischen Akademie“ als einer Musterschule vereinigte; und neuerdings hat sich als drittes im Bunde das Turnlehrerseminar des Nordamerikanischen Turnerbundes angeschlossen, so daß diese Vereinigung als die bedeutendste Schöpfung der Deutschen in den Vereinigten Staaten auf dem Gebiete des Erziehungswesens gelten darf. Eine würdige Wohnstätte für die drei verschwisterten Anstalten ist in den letzten Monaten vollendet worden. Zwei hochherzige Frauen, Elisabeth Pfister und ihre Tochter Luise Vogel, haben sie gestiftet zum Gedächtniß an ihren verstorbenen Gatten und Vater Guido Pfister aus Hechingen im Fürstenthum Hohenzollern, einen Mann, der sich bei seinen Lebzeiten stets als thatkräftiger Freund der Schule bewährt hatte; und so ist dieses Haus ein Denkmal geworden des wackeren Gemeinsinnes, der überall in der Welt Großes erreicht.

Tausend Meter über München. (Zu dem Bilde S. 465.) Bei dem Anblick unseres Bildes wird sich jedem zuerst die Frage aufdrängen: Wie war es möglich, die Grundlagen für eine solche Darstellung zu gewinnen? Scheint es doch fast nothwendig, anzunehmen, der Künstler habe sich in einem zweiten Ballon befunden, der neben und über dem ersten, von ihm dann gemalten in den Lüften geschwebt habe. Der Maler selbst mag uns die Lösung des Räthsels geben. Er schreibt:

Es waren zunächst ein paar zufällige Anregungen, welche mir den Gedanken nahelegten, einen Luftballon sammt Insassen in seinem Fluge durch das weite Reich der Winde auf einem Gemälde festzuhalten. Ein leuchtender Sommermorgen hatte mich zu einem Spaziergang verlockt, auf einem freien Platz der Altstadt Münchens wurde ich durch eine Menschenmenge aufgehalten, die gespannt in die Höhe starrte. Ein Luftballon, der majestätisch über die bayerische Residenz hinstrich, fesselte ihre und natürlich sofort auch meine Aufmerksamkeit; es war der „Herder“ des Freiherrn von Liegsfeld aus Berlin. Als Liegsfeld kurz nachher einen Vortrag über diese Auffahrt hielt, fand auch ich mich ein, da die Sache anfing, mich näher zu beschäftigen. Die Auseinandersetzungen des Redners erhielten besondere Anschaulichkeit durch eine Reihe von Augenblicksaufnahmen, die man den Zuhörern vorlegte. Sie waren durch den Begleiter des Freiherrn, Premierlieutenant Brug, vom Ballon aus angefertigt worden. Mich zog namentlich eine der Photographien an. Man sah auf ihr tief unten aus den Häusern Münchens das Maximilianeum aufsteigen, umgeben von den üppigen Anlagen, welche von der Isar, die hier mehrere Inseln bildet, malerisch durchschnitten werden; im Anschluß an diesen Vordergrund erblickte man einen Theil der Maximiliansstraße, dahinter, schon in undeutliche Ferne sich verlierend, tauchten schattenhaft die Thürme der Frauenkirche hervor. Beim Betrachten des Bildes kam mir plötzlich der Gedanke, dieselbe landschaftliche Scenerie und zugleich hoch drüber in den Lüften die Gruppe der muthigen Segler in ihrem Fahrzeuge auf einem Gemälde zur Anschauung zu bringen. Kaum war ich zu Hause, so entwarf ich eine Skizze, die ich am andern Tag in Farben ausführte und Herrn von Liegsfeld mit der Frage vorlegte, ob mein Plan überhaupt in befriedigender Weise ausgeführt werden könne. Er zweifelte nicht daran und lud mich zu seiner nächsten Auffahrt ein. Als ich mich zu der von ihm bezeichneten Zeit bei der Gasfabrik Haidhausen einstellte, begrüßte mich ein eigenartiges Schauspiel. Der mit Gas gefüllte Koloß strebte mächtig nach oben, stramme Soldaten hielten die Stricke, während die Theilnehmer an der ungewöhnlichen Reise sich schon in der Gondel einrichteten und kleine Ballons steigen ließen, um die Richtung des Windes genau kennenzulernen, damit nachher ein unangenehmer Zusammenstoß mit den hohen Fabrikkaminen oder einem Dache vermieden werden könnte. Feierliche Stille! Athemlose Spannung der Zuschauer! „Los!“ – und das Luftschiff, das eben noch an seinen Fesseln vom Wind hin- und hergeworfen wurde, schwingt sich mit stolzer Ruhe weiter und weiter in die Höhen hinauf. Die Insassen winken Grüße herunter und einer salutiert mit rother Flagge. Doch bald ist am Himmel nur noch ein kleiner dunkler Fleck sichtbar, der erst zu einem winzigen Punkte zusammenschrumpft und endlich ganz verschwindet. –

Mich versetzte dieser Anblick in die richtige Stimmung, um so gut als möglich meinen Gedanken zur That werden zu lassen. Herr von Liegsfeld, von seiner neuen Luftreise zurückgekehrt, unterstützte mich dabei nach Kräften. Er ließ die Gondel seines Ballons in der Nahe der Gasfabrik auf einem hohen Gerüst frei schwebend aufhängen. Auf meinen Wunsch hin nahm er nebst mehreren Bekannten darin Platz, ich gab jedem die Stellung an. Herr von Liegsfeld sollte abgemalt werden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_467.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2023)