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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Furtenbacher schaute ihm scharf ins Gesicht. „Du brauchst Geld?“

Der Richter zuckte erschrocken zusammen. „Lieber Anton, nicht so laut! Du weißt, in Hohenwart –“

„Heute hat’s keine Noth,“ sagte der andere trocken, „heute können wir eine Revolution verabreden, es hört uns niemand. Also Du willst vor den Riß treten, Dich opfern? Meinen Glückwunsch!“

Da der Stein einmal rollte, gewann Vitus Müller seine Würde wieder und den knappen sachlichen Vortrag eines Rechtskundigen. Als Onkel Anton vernahm, daß es sich nicht um das Ganze, sondern nur um einen Theil, einen verhältnißmäßig geringen Zuschuß, um ein Darlehen mit sicherer Anlage handle, milderte sich sein Grimm. „Wir wollen morgen darüber weiter reden,“ lenkte er ein.

„Gieb mir eine ruhige Nacht!“

„Nun – warum nicht? … Du bist ein zuverlässiger Mann. Aber ich thu’ Dir den Gefallen nicht etwa, weil eine Excellenz und zweierlei Tuch in die Familie kommt, ich thu’s Verena und Deiner Frau zulieb.“ Damit ging er.

Der Richter nahm seinen Hut ab. O, wie dufteten ihm jetzt die Rosen! Und mit dem Wohlgeruch verband sich der ebenso liebliche Gedanke, daß er seiner Frau eine gute Nachricht bringen könne.

*  *  *

Auch das Gespräch Idas und ihres Begleiters drehte sich um die Heirathsangelegenheit. Der Präsident erzählte, daß er in einem unmittelbar an den Erbprinzen gerichteten Schreiben eine rasche Erledigung des Heirathsgesuchs erbeten und nicht nur die Braut, sondern auch deren Eltern der Aufmerksamkeit und Huld Seiner Hoheit empfohlen habe.

„Mir ist’s heute abend zur Gewißheit geworden,“ fuhr er fort, nachdem er sich versichert hatte, daß das letzte Paar außer Hörweite war, „mein Freund Müller, namentlich aber Sie, liebe Baronin, sind in Hohenwart nicht an der rechten Stelle. Wie müssen Sie in dieser Enge leiden! Sie gehören in die Residenz. Zwar finden Sie auch dort keine Weltstadt, aber eine Stadt von Welt und in dieser Welt ohne Schwierigkeit den Platz. der Ihnen gebührt.“

Sie hatten die äußersten Häuser hinter sich gelassen, vor ihnen in freier Ebene stand das Bahnhofsgebäude, hell erleuchtet.

Ida drehte sich nach dem Schloßberg um; vom Mondlicht übergossen lag die Burg, hinter jenen fünf niedrigen Fenstern hoch dort oben ihr Heim, so eng, so fern dem großen Leben!

„Ein Orts- und Wohnungswechsel würde allerdings manches für sich haben,“ erwiderte sie. „Sommers ist unsere Wohnung recht luftig und kühl und die Aussicht in die weite grüne Ebene und auf das Gebirge herrlich. Aber im Winter! Die Stadt schrumpft zu einem rauchigen, rußigen Eisenhammer zusammen; Nebel verhängen die Berge; rings dehnt sich das große Bahrtuch aus. Am schlimmsten ist’s in einer Sturmnacht. Sie glauben nicht, was der alte Bau dann für unheimliche Töne hat! Und dazu dieses ewige Gleichmaß der guten Hohenwarter. Wenn Vitus nicht durch seine Stelle gebunden wäre, würde ich sagen: ‚Fort!‘ Aber so – doch alles in allem sind wir ja glücklich.“

„Das ist die Gefahr der kleinen Städte,“ rief der Präsident. „Man verliert die Spannkraft, hält sich für sicher, weil man in einem Käfig wohnt, und für zufrieden, weil man nichts Wünschenswerthes vor Augen hat. Ich sehe schon, Freund Müller muß zum Glück gezwungen werden, man muß Sie beide entführen.“

„Versetzen,“ verbesserte Ida gelassen. – –

Helmuth hatte fürs erste eine Strafpredigt Verenas wegen seines Betragens gegen den Onkel, namentlich aber wegen seiner Grausamkeit gegen Azor über sich ergehen lassen. Er nahm die Sache leicht und bewunderte lieber das Gesicht seiner Braut, das im Mondlicht einem schönen Marmorgebilde glich.

„Aber, gute Verena,“ wandte er ein, „wie konnte ich wissen, daß der Fremdling Deines Vaters Oheim sei! Er war so drollig in seinem Zorn.“

„Onkel oder nicht, man bringt alte Leute nicht in Zorn.“

„Und der Hund ist so häßlich.“

„Mir gefällt er.“

„Ah dann!“ Helmuth warf einen Blick in die Bogengänge des Marktplatzes, wo nur noch eine Tabakshandlung Licht hatte. „Schade, daß der Wurstladen schon geschlossen ist, sonst würde ich mich heute noch Deinem Liebling angenehm machen – doch wie wär’s mit einer Freundschaftscigarre für den Onkel?“

„Schäme Dich, Helmuth! Papa hält große Stücke auf ihn. Schon das müßte Dir den Spöttermund verschließen, wenn Du Papa wirklich liebst.“

„Von Herzen thu’ ich das.“

„Er verdient es auch,“ versetzte Verena ernsthaft. „Als wir nach Hohenwart kamen, waren Mama und ich trostlos. Mit seinem ersten Besuch wurde es gleichsam Tag bei uns, wir fühlten uns nicht mehr verwaist und verlassen. Wenn er so sanft und ruhig und vernünftig zur Mutter sprach, erschien mir der Prunk und die Unrast, worin wir bisher gelebt hatten, wie ein verworrener Traum, und ich empfand nicht die geringste Sehnsucht danach. Ich habe meinen verstorbenen Vater von ganzem Herzen geliebt, ich werde ihn nie vergessen, dennoch konnte ich der Mutter nicht zürnen, als sie mir ihre Verlobung mit unserem Freunde mittheilte. Und seitdem ist er mir Tag für Tag der gleich Gütige geblieben, und wenn es möglich ist, immer theurer geworden. Das Wort Stiefvater will nicht über meine Lippen; nur eins quält mich, Helmuth, Dir kann ich es anvertrauen: manchmal dünkt mich, Mama schätze ihn nicht genug … Wenn Du mich lieb hast,“ fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, „so sag’ und thu’ nichts, was diese stille Seele kränken kann. Liebe und verehre ihn wie ich!“

Sie waren auf der Brücke angelangt, die über das Flüßchen in die Neustadt führte. Da sie die andern erwarten wollten, setzte sich Verena auf die niedrige gemauerte Brüstung. Sie blickte nachdenklich in die Wellen hinab, die geräuschlos dahinglitten; nur da und dort glitzerte ein winziger Strudel im Mondschein. Verena hatte den Strohhut abgenommen und hielt ihn auf dem Schoß. Ihr Verlobter zog die Hand, die niederhing, sanft an seine Brust. „Dein Vater soll uns recht oft besuchen – oder, würde es nicht schöner sein, wenn wir alle und für immer bei einander blieben?“

„Ach, wenn das sein könnte!“

Helmuth lächelte geheimnißvoll. „Ich bin kein Prophet, allein mir schwant, mir schwant –! Komm, liebes Herz, bleiben wir an der Spitze, und wenn Du mir Schweigen versprichst – kannst Du schweigen? Gut, es gilt die Probe. Ich weiß etwas … Aber vorher einen Kuß!“

„Helmuth! Unter freiem Himmel!“

„Nein, unter jener Kastanie.“

*  *  *

Das Bahngebäude war groß und die Plattform davor langgedehnt und breit, denn Hohenwart war der Knotenpunkt zweier vielbefahrener Schienenwege, eines nordöstlichen und eines nordwestlichen. In jener Nacht war der Steig im Nu von der Masse überfluthet, und noch auf dem angrenzenden Gebiet standen Hunderte von Neugierigen. Der Thronerbe war beim Volke beliebt. Freilich, die Freunde der gegenwärtigen Zustände erwarteten seinen Regierungsantritt mit Bangen, die Mehrheit dagegen, namentlich die Jungen, mit um so größerer Ungeduld.

Zahlreiche Geschichtchen waren über Prinz Rüdiger im Schwange, gute und böse, alle ein Zeugniß, daß er eine Persönlichkeit war, eine geistige Kraft. Nach einem längeren Aufenthalt im Auslande, wo er staatsmännische und volkswirthschaftliche Erfahrungen gesammelt hatte, berührte er zum ersten Male wieder Hohenwart auf der Reise zu einer Verwandten, die sich im Gebirge zur Sommerfrische befand. Neugier wie Anhänglichkeit mochten an dem Gedränge der Hohenwarter zum Bahnhof gleichen Antheil haben.

Alles war da, voran der Landrath Graf Zorn, ein verdrießlicher alter Herr mit einem Nußknackerkinn, in der Tracht der fürstlichen Kämmerer, die Geistlichkeit, die höheren Bahn-, Steuer- und Zollbeamten, der Gemeinderath, Major Langbein mit Frau und Tochter, die Kurgäste. Die beiden Imhof und die Familie des Richters waren die letzten, die in den freigehaltenen Raum unter die „Würdenträger“ traten. In der großen Versammlung herrschte feierliche Stille, so daß man deutlich die elektrischen Klingeln am Gebäude und das Rollen und Schnaufen eines herannahenden Zuges vernahm, und schon zuckten aus dem Nebel, der vom Bruch über den Bahndamm kroch, die bekannten feurigen Augen auf –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_471.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)