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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Böllerschüsse krachten und Sänger und Musiker stimmten das Festlied ihres Landes an:

„Heil unserm Landesherrn,
Der Treuen hellem Stern!“

Der kleine Sonderzug rollte in die Halle. Prinz Rüdiger stand auf dem Trittbrett seines Salonwagens und grüßte, den Hut in der Hand, die aufjubelnde Menge. Dann stieg er herab, um dem Landrath die Hände zu schütteln.

„Werden meine Wünsche so erfüllt, lieber Graf?“ fragte er lächelnd.

„Hoheit, die Liebe, Treue, Begeisterung von Hochdero künftigen Unterthanen –“

„Ihr Aussehen ist vortrefflich, mein lieber Graf,“ fiel Rüdiger ein, zog abermals den Hut und grüßte nach allen Seiten. Während er sich nach dem Befinden der gräflichen Familie erkundigte, musterte er die bunte Gesellschaft. „Ah, Excellenz von Imhof!“ rief er dem Präsidenten zu, der in der ersten Reihe stand. „Gut, daß ich Sie treffe –“

Ida behauptete am anderen Tage, der Erbprinz habe dem Vater ihres zukünftigen Schwiegersohnes den ersten Schritt entgegengethan. Wie dem auch sei, im nächsten Augenblick wanderte das Paar, der Prinz und sein Günstling, Arm in Arm den freigehaltenen Theil des Bahnsteigs hinauf und hinab. Der Prinz führte das Wort, für die Wißbegierigen leider nicht laut genug. Jedenfalls waren die Mittheilungen für den Präsidenten sehr erfreulich, denn dieser verneigte sich dankend ein Mal über das andere. Wieder bei seinem Wagen, wandte sich Rüdiger an den Landrath. „Lieber Graf,“ sagte er, „danken Sie in meinem Namen allen, allen für den überaus freundlichen Empfang. Leider bin ich nicht Herr der Lage, der Schnellzug ist uns sozusagen auf den Fersen; sonst würde ich Sie bitten, mir die einzelnen Herren vorzustellen … Excellenz, Helmuth habe ich schon zugewunken. Er sieht sehr gut aus. Ist die junge Dame neben ihm die Braut? Sie ist mehr als eine Schönheit, sie ist reizend. Die andere Dame ist doch unmöglich die Mutter? Wirklich? Das ist ja eine ebenso gebietende wie entzückende Erscheinung! Wie bedaure ich – aber die Bahn muß frei sein“ – er sprach die letzten Worte sehr laut. „In unserer lieben Hauptstadt denn, Excellenz! Und nochmals meinen Glückwunsch – Ihnen und dem Brautpaar und – der schönen Mutter der Braut!“

Sobald der Prinz im Wagen war, ertönte die Dampfpfeife. Der Bürgermeister von Hohenwart aber, Fleischer Zappel, schwenkte seinen Hut und brachte auf den Abfahrenden ein donnerndes Hoch aus. – „Hoch! hoch! hoch!“ Unter brausenden Zurufen und den Klängen der Musik fuhr der Zug aus der Halle.

„Haben Sie die Damen bemerkt, die neben dem jungen Imhof standen?“ fragte der Prinz, als er vom Fenster zurücktrat, seinen Adjutanten Falkenberg. „Imhofs Braut und seine künftige Schwiegermutter.“

„Zu dienen, Hoheit.“

„Wer gefällt Ihnen nun besser, die Tochter oder die Mutter?“

„Jedenfalls die Tochter, Hoheit.“

„Ich weiß nicht –“ sagte der Prinz. „Dann sah er auf die Uhr. Wir haben zwei Minuten Verspätung.“ –

Mit klingender Musik kehrte die Menge ins Städtchen zurück.

Sobald das Grüßen und Abschiednehmen auf dem Platz vor dem Bahngebäude vorüber war, machte der Präsident seiner Begleiterin hochwichtige Mittheilungen: Prinz Rüdiger übernimmt unmittelbar nach der Rückkehr von seinem Ausfluge die Regierung, sein Vater tritt zurück, weil er nach seinem eigenen Ausdruck „die Zeit nicht mehr versteht“. Das Regiment „Erbprinz“ kommt in die Hauptstadt. Die Heirathsbewilligung ist dem Lieutenant Helmuth von Imhof ertheilt.

„Somit ist alles in Ordnung,“ schloß die Excellenz, „nichts fehlt als das Tipfelchen auf dem i, die Einsendung des Haftgeldes – worum ich Sie gehorsamst bitte, liebe Baronin. Wie mir Hoheit versicherte, ist das amtliche Schriftstück schon unterwegs, wird also morgen hier eintreten. Wenn Sie damit einverstanden sind, erledigen wir das Geschäftliche gleich in den allernächsten Tagen. Da man an höchster Stelle uns so rasch zur Hand war, wollen auch wir nicht säumig sein.“

„Natürlich,“ versetzte Ida, allein dies „natürlich“ klang gepreßt.

„Zumal da die Summe bereit liegt – in Staatspapieren, sagten Sie ja wohl?“

„In Staatspapieren.“

„Vortrefflich! Wenn Sie wegen der Form des Begleitschreibens im Zweifel sind, bitte ich, über mich zu verfügen.“

„Warum soll ich Sie belästigen? Mein Mann wird ja wohl Bescheid wissen. Doch nun zu etwas anderem, Excellenz! Sie haben mich durch Ihre Kritik Hohenwarts um meine Ruhe gebracht.“

„Wirklich? Dann ist meine Absicht erreicht.“

„Als Frau eines Offiziers bin ich früher an ein ewiges Hin und Her gewöhnt worden und aus dem Wandern mach’ ich mir nichts. Aber Versetzungen sind nicht immer Verbesserungen. Da Sie bald allmächtig sein dürften –“

„Noch bin ich nicht im Sattel.“

„Aber schon im Bügel. Werden Sie sich des armen Müller erinnern, den Sie so weit zurückgelassen haben?“

Imhof ergriff mit Wärme ihre Hand. „Mein Wort darauf, ich werde mich als Freund beweisen.“

Er gab das Versprechen mit voller Aufrichtigkeit. Nicht als ob er ein verliebter Geck gewesen wäre! Er war bejahrt und fühlte sich alt. Noch war die Erinnerung an seine Gattin lebendig, an sie, die ungleich vornehmer, gebildeter, taktvoller gewesen war als die Baronin. Doch der Zauber, den Frauen ausüben, muß nicht immer Liebe sein. Die frische, rücksichtslose, nur dem Augenblick lebende, aber auch des Lebens frohe Persönlichkeit Idas bezwang Imhof. Es war ihm, als lehne er sich aus dem Fenster einer dumpfen Gerichtsstube und rieche plötzlich Landluft, den frischen Athem von Wald und Feld und Ackererde.

„Ich darf Müller mit gutem Gewissen empfehlen,“ setzte er nach einer Pause zu seiner Rechtfertigung hinzu. „Sprechen wir offen: Ihr Mann ist kein Genie, aber fleißig, gründlich, rechtschaffen. Den Helden gehört die Welt, doch mit den Durchschnittsmenschen bebaut man sie.“ –

Man trennte sich nach der Rückkehr vom Bahnhof nicht sofort. Die kleine Gesellschaft nahm in einer Laube des Kurgartens Platz, und der Präsident erzählte nunmehr auch den übrigen seine Unterredung mit dem Prinzen. Das waren große Nachrichten. Der junge Imhof braute eine Bowle, und während die Musik vom Schloßkeller herüberklang, hielt man eine kleine Nachfeier der Verlobung.

Der Präsident konnte an diesem Abend seine Bewegung nicht beherrschen; der öffentliche Beweis der fürstlichen Gunst that ihm unendlich wohl. Jedes Wort des Prinzen prüfte er auf seine Feinheit und Bedeutung, bis es ihm wie manchem Litteraturforscher erging: er wußte mehr als der Autor. Das stand nun freilich fest, daß ihm der Thronwechsel Arbeit, Ehren, Macht bringen werde. Macht! Wenn die Blechmusik drüben einen kriegerischen Marsch spielte, hob Imhof den Kopf. Er fühlte sich schon als Minister, sah sich umgeben von Diplomaten, Abgeordneten, Bittstellern, von einem Heer von Beamten; er hörte sich in der Kammer seinen Widersachern entgegnen, die er nicht durch stürmische Beredsamkeit, sondern durch kühlen, sachlichen, folgerichtigen Vortrag vernichtet, er stand mit dem Portefeuille vor dem Landesherrn, ein getreuer Diener, gleichwohl furchtlos, zielbewußt, schöpferisch … Wenn aber die Musik sanfte Weisen anhob, dachte er an sein Vaterglück. Sein prächtiger Junge wird nun für immer bei ihm sein! Sein zärtlicher Blick suchte die Augen Helmuths, allein dieser hatte sie nur für die Braut. Zum ersten Mal empfand der Präsident eine gewisse Eifersucht gegen Verena; wenn es nicht so gekommen wäre, wie es kam, würde es nicht besser sein!? So oft seine Gedanken dahinaus wollten, schielte er nach der Baronin und bemerkte jedesmal, daß ihre Blicke forschend auf ihn gerichtet waren. Und er fühlte sich unbehaglich und schuldbewußt. Las Ida in seiner Seele? Wenn auch nicht ganz, so doch annähernd deutlich.

Sie war überzeugt, daß ihm auf dem Heimweg ihre Verlegenheit nicht entgangen war. Sie hatte früher in der Geldfrage so zuversichtlich gesprochen. Wenn Imhof wüßte, wie Vitus sein bißchen alles hingegeben hatte und wieviel trotzdem noch fehlte: würde seine Freundschaft auch dann fortbestehen? Ida hatte nach dem Tode des Obersten einschlägige Erfahrungen gemacht … Das Geld! das Geld! An ihm scheitert ihre Lebensklugheit. Es genügt nicht, für reich gehalten zu werden, man muß es auch sein. Dieser fürchterliche und doch so nothwendige Onkel! Wird Vitus in dem Maße feurig und klug, kräftig und verbindlich

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