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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

reden, als der Fall es verlangt? Warum ist er in dieser Angelegenheit so langsam und schwerfällig? Zwischen Verlobung und Hochzeit kann viel sich ereignen.

Wenn Excellenz mit Vitus spricht, nimmt er heute eine unerrräglich hoffärtige Miene an. Genau so sah der Schauspieler aus, der in „Kabale und Liebe“ – Ida weiß nicht mehr, wo – den Präsidenten gab. Und Schauspieler verstehen sich ja wohl auf Mienen und Gesichter. Wenn die Verbindung Papa Imhof verleidete, würde er vor Listen und Ränken so wenig zurückschrecken wie die Excellenz in Schillers Trauerspiel. Und das Herz Verenas würde brechen wie das Luisens, aber Helmuth – würde auch er sich grämen und vergiften wie Ferdinand? Ach! Die Zeiten, die Begriffe von Treue sind andere geworden.

Idas Gedanken wurden immer düsterer. Wenn nicht der unverwüstliche Lieutenant die Unterhaltung geführt hätte, würde die Gesellschaft in Grabesschweigen versunken sein. Da fand der Amtsrichter Gelegenheit, seiner Frau zuzuflüstern: „Ich habe mit dem Onkel gesprochen, alles gut!“ Im Handumdrehen wechselte ihre Stimmung, und nun entfaltete sie soviel Munterkeit, Mutterwitz und natürliche Laune, daß der Präsident alle lichten und dunklen Punkte der Zukunft über der Bewunderung ihrer Frische vergaß. Vitus war selig über den Frohsinn und die Erfolge Idas. Da er kein Trinker und des Weines nicht gewohnt war, stieg ihm das starke Getränk zu Kopf; er wurde – kurz vor Mitternacht – so beredt, daß er ein Hoch auf die Excellenz, das Brautpaar und seine liebe, liebe Frau ausbrachte. Dieses Ereigniß machte sowohl Ida wie den Präsidenten bedenklich. Man brach auf.

(Fortsetzung folgt.)




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Eine Rheinfahrt mit Joseph Viktor Scheffel.

Von W. H. Riehl.0 Mit einer Zeichnung von Scheffel auf Seite 469.

Ich machte im Sommer 1857 durch das westliche Deutschland von den Alpen zur Nordsee eine längere Reise, die in der Hauptsache wissenschaftlichen Studien gewidmet war. Doch fand ich dazwischen auch Zeit, in freier Wanderlust durchs Land zu schweifen, zu wandern, um zu wandern, wo gerade die Reize der Gegend mich lockten.

So hatte ich mich anfangs Juli im Schwarzwald umhergetrieben und war dann nach Karlsruhe gekommen.

Hier besuchte ich Scheffel, der mir seit seinem Münchener Aufenthalte befreundet war. In München hatte Scheffel glückliche Tage, aber auch Tage schweren Leides durchlebt, als seine hochbegabte Schwester in voller Jugendblüthe plötzlich starb. Ich hatte ihm in guten und bösen Stunden nahe gestanden, und dazu verband uns die gemeinsame Begeisterung für unser Volk in seiner lebendigen Gegenwart und in seiner Geschichte, für unser Land in der Poesie seiner Natur und seiner Alterthümer.

Scheffel war sichtlich erfreut über meinen Besuch, und da er wußte, daß ich mich lieber im Gehen unterhalte als im Sitzen, so schlug er sofort einen Gang durch die Straßen der Stadt vor, die in festlichem Schmucke prangte; Fahnen wehten von den Häusern, und eine fröhliche Menschenmenge wogte auf und ab. Es war der 9. Juli, und um die Mittagsstunde war dem jugendlichen großherzoglichen Ehepaare ein Erbprinz geboren worden. Nachdem wir uns lange durch Straßen und Gassen umhergetrieben hatten, zogen wir uns in die Kühle des stillen Schloßparkes zurück.

Ich begann – nun doch auf einer Bank sitzend – Scheffel von meiner Wanderung durch den Schwarzwald zu erzählen, und er befragte mich genau über die Wege, welche ich eingeschlagen, und was ich gesehen und nicht gesehen hatte. Mein Bericht fand keineswegs seinen Beifall. Er tadelte mich, daß ich ihn nicht vorher benachrichtigt habe von meiner Schwarzwaldfahrt: er würde mir nach Basel entgegengekommen sein, um mich weit schönere Wege zu führen und mir weit Merkwürdigeres zu zeigen. Er betrachtete den Schwarzwald als seine eigenste Domäne. Ich war in der That planlos meiner Nase nachgegangen, und das ist zuweilen auch ein besonderes Vergnügen, ja, um mit Scheffel zu reden, „eine tapfere Kunst“.

Wir stritten darüber, was das Schönste sei: den Weg in unbekanntem Lande ganz allein zu suchen, oder von einem landeskundigen Freunde geführt zu werden, oder umgekehrt auf wohlbekannten Wegen den Freund zu führen. Ich erklärte das letztere für das Allerschönste. War ich doch stets ein leidenschaftlicher Cicerone gewesen! Wenn ich eine schöne Gegend auf einsamem Gang entdeckte, dann dachte ich immer schon im ersten Genießen daran, wie ich sie andern zeigen wollte, und glückte mir’s nachher, einen gleichgestimmten Kameraden zu finden, dem ich meine Entdeckungen vorführte, dann war das ganze weite Land erst voll mein eigen.

So hatte mir mein Vater, als ich ein neunjähriger Knabe war, den Rhein von Mainz bis Koblenz gezeigt, und ich zeigte ihn später wohl ein dutzendmal vielen lieben Wandergenossen; wir stiegen hinauf zu den Burgen, wir drangen in die Seitenthäler, und indem ich nicht nur mit eigenen Augen, sondern auch in anderer Augen sah, wie schön das Rheinthal sei, lernte ich den Vater Rhein erst recht kennen und lieben.

Scheffel war gepackt von der einfachen Wahrheit, die ja Tausende schon an sich erfahren haben, und indem er wiederholt bedauerte, daß er mir den Schwarzwald nicht in seiner Weise habe zeigen können, machte er den Vorschlag, ein paar Tage gemeinsam rheinab zu wandern, damit ich ihm ein Stück Rhein in meiner Weise zeige.

Mein Plan war eigentlich, von Karlsruhe aus den Odenwald zu durchstreifen, den ich noch nicht kannte. Allein der Odenwald lief mir ja nicht davon; ich konnte ihn für diesmal bei Seite liegen lassen, und da mein nächstes städtisches Ziel Kassel war, so beschloß ich, mit Scheffel eine Rheinfahrt bis zur Lahnmündung zu machen und dann mit ihm die Lahn hinauf zu gehen.

Schon am nächsten Tage fuhren wir nach Frankfurt und Mainz, frohgemuth, in frischester Wanderlust, Stab und Tasche unser einziges Gepäck.

Ich will nicht unsere ganze Rheinfahrt schildern; ich greife nur die zwei eigenartigsten Tage heraus.

Wir hatten in St. Goarshausen übernachtet und waren früh aufgestanden, geweckt vom prächtigsten Sonnenschein. Als wir im Vorgärtchen des Gasthauses beim Frühstück saßen, begrüßte mich ein alter Bekannter aus Frankfurt. Ich stellte ihm meinen Freund Scheffel vor. Kaum hatte er den Namen gehört, so fragte er, ob er vielleicht das Vergnügen habe, den Dichter des „Trompeters von Säckingen“ vor sich zu sehen. Und als ich dies bejahte, sprach er seine helle Freude aus über das schöne Gedicht, welches er schon viermal gelesen, und welches ihm so gut gefalle, daß er ganz ungewollt viele Verse auswendig behalten habe. Und er sprach auch gleich ein paar Verse, die ganz vortrefflich in die heitere Morgenstimmung hier im Garten am Rheine paßten. Man fühlte, wie das Lob des Mannes aus dem Herzen kam. Und der Mann war kein Dichter, kein Litteraturmensch, kein schwärmerischer Jüngling, sondern ein fünfzigjähriger Beamter der fürstlich Thurn und Taxisschen Generalpostdirektion. Da mußte doch dieses freiwillige Lob doppelt schwer wiegen. Allein Scheffel hörte ihn schweigend an, sein Gesicht sah ganz feierlich zwischen den Vatermördern hervor, die er unpoetischerweise zu tragen pflegte, und nach einer peinlichen Pause ergriff ich das Wort, um dem begeisterten Oberpostbeamten einige Artigkeiten zu sagen, die ihm eigentlich der Dichter hätte sagen sollen.

Scheffel war damals noch wenig bekannt; sein „Trompeter“, schon seit Jahren erschienen, errang erst später den durchschlagenden Erfolg, und der Dichter klagte oft darüber, daß seine Gedichte so wenig gelesen würden. Nun stand plötzlich ein Leser vor ihm, wie sich ihn der Poet nur wünschen mag; – und der Poet sah darein, als hätten ihm die Hühner das Brot gefressen, und verabschiedete sich ganz steif und kalt von dem Fremden, der ihm doch so nahe getreten war.

Im geselligen Verkehr mußte man zwischen dem eingefrorenen Scheffel und dem aufgethauten Scheffel zu unterscheiden wissen. Diesmal war er vollständig eingefroren.

Als wir jedoch aufgebrochen waren und die Schlucht des Forstbachthals hinanstiegen, durch welches wir den Weg zur Burg Reichenberg suchten, thaute er plötzlich auf und meinte, schöner habe dieser Morgen für ihn nicht beginnen können als durch die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_474.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2023)