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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Aber Helmuth, sehen Sie doch das Gewand, das Antlitz! Es ist Karl der Große, wie er Gericht hält auf freiem Feld, im Glanz der Sonne, den Schild zu Häupten. Sehen Sie die Hand, die sich zum Schwur erhebt?“

„Achtdreiviertel,“ sagte der Unverbesserliche im Ton eines Handschuhverkäufers.

„Damit ist sinnbildlich angedeutet, daß Karl hier als Richter sitzt. So lange kenne ich nun dies Gemälde, doch immer noch macht es Eindruck auf mich. Der Richter, wenn er Recht spricht, hat etwas Königliches, der König aber, der richtet, wird göttlich, bei ihm ist das Recht und die Gnade“

„Alle Wetter,“ dachte Helmuth, „mein künftiger Schwiegervater hat sich ja ein gut Stück Begeisterung aus dem Weinglase verzapft!“ Denn gehobene Stimmung und schwungvolle Rede konnte er mit dem Vitus Müller von sonst nicht in Einklang bringen.

„Ja, ja, mein Guter,“ fuhr dieser fort, „und wenn ich mein Leben noch einmal in der Hand hätte und im voraus wüßte, daß ich wieder in Hohenwart absterben würde - denn das wird mein Schicksal sein - ich würde dennoch nichts anderes sein wollen als Richter.“

„Und ich in alle Ewigkeit nichts anderes als Soldat. Doch so oder so - wir alle dienen. Uebrigens meine ich, wir könnten jetzt den alten Schweden in Ruhe lassen; ich danke Ihnen für die Bekanntheit des Edlen und entbiete den Damen nochmals meinen Gutenachtgruß.“

Dafür, daß er die Sache mit dem Onkel so gutt erledigt hatte, erhielt Vitus Müller vorm Schlafengehen noch eine Belobung von seiten seiner Frau, und dieses seltene Glück ließ ihn bis in den Morgen hinein fest und traumlos schlafen. Als er im Schlafrock zum Kaffee erschien, fand er Ida im Begriff, auf den Markt zu gehen und die Einkäufe für den Mittag zu besorgen. Wenn es sich um eine Einladung handelte, war sie so rührig und fürsorglich, nur freilich nicht so sparsam wie die beste Hausfrau. Denn ihre Vorbereitungen waren ebenso großartig, ob sie einen Gast oder ein Dutzend erwartete.

„Alterchen,“ sagte sie zu ihrem Mann, nachdem er sie begrüßt hatte, „wann gehst Du zum Onkel?“

Vitus strich über sein Haar. Ach ja, heute steht ihm der Gang bevor, der schwere Gang. Allerdings hat der Onkel seine Hilfe so gut wie versprochen, doch liebenswürdig ist Onkel Anton nicht, wenn er gefällig ist. „Nach Tisch,“ antwortete er. „Denn wie Du weißt, ist der Alte ein Langschläfer; ich aber habe um zehn eine langwierige Verhandlung in Mündelsachen.“

„Also heute nachmittag! Soll ich´s ihm mitteilen lassen?“

„Nein, liebe Ida,“ versetzte er nach kurzem Besinnen. „Er wird nicht vergessen, daß ich komme, und ich kenne seine Tagesordnung. Nach dem Mittagessen macht er einen zweiten Schlaf, doch Punkt drei Uhr trägt ihm Kathi den Kaffee in die Laube im Garten. Dort such´ ich ihn auf.“


4.

Auf dem Stadtplatz, wo morgens Gemüse und Geflügel feilgehalten wurde, begegnete Ida, die von ihrer Köchin begleitet war, der Majorin Langbein. Anch dieser folgte eine korbtragende Dienerin.

„Darf ich meinen Augen trauen?“ rief die Majorin. „Die Frau Baronin auf dem Markt!“

„Ich bin erstaunt, Sie zu sehen,“ entgegnete die Angeredete. „Seit meine Tochter morgens ihren Brunnen trinkt, Tag für Tag. Gott, wie heiß es schon ist! Und dieses Gedränge! Und dabei jammern die Hohenwarter immer über schlechte Zeiten!“

Jetzt traten alle Vier aus dem Gewühl in den nächsten Bogengang. Den Herrinnen glänzten die Augen vor Kampflust; die Mägde machten ernste Gesichter, heimlich zwinkerten und lächelten sie einander listig zu. Heute begann die Majorin den Angriff.

„Ist es wahr, Frau Baronin,“ fragte sie „- mein Gott, man hört so viel in diesem Krähwinkel, leider nur selten die Wahrheit - geht Lieutenant Imhofs Urlaub wirklich schon nächste Woche zu Ende?“

„Warum wundert Sie das, liebe Majorin? Sie dürfen ruhig sein, es geht bloß der Urlaub zu Ende.“

„Aber die Hochzeit?“

„Da Exzellenz der Freund des Regimentsinhabers ist, wird Helmuth zur Hochzeit wohl einen neuen Urlaub erhalten. Andernfalls dauert eine Trauung keine Ewigkeit.“

„Ah, das freut mich zu hören - ich sagte ja gleich - aber die Welt ist so böse …“

„Was sagte die Welt und was sagten Sie, meine liebe Majorin?“

„Ich natürlich nur Gutes. Wenn wir Offiziersfrauen nicht zusammenhielten! Verzeihung! Für mich sind Sie die Oberstin. Zwar nach den Jahren könnte ich Ihre Mutter sein.“

„Wirklich?“ fragte Ida frostig.

„Nein, nein, der Unterschied im Alter ist nicht so groß, nur bin ich ernster veranlagt als Sie, kühler. Vielleicht fühle ich mich gerade deshalb so zu Ihnen hingezogen. Lassen wir also die Welt reden! Die Welt ist eben schadenfroh.“

„Warum schadenfroh?“

„Es heißt, die Hochzeit sei auf unbestimmte Zeit verschoben worden, weil - weil - nun, es ist ja ein öffentliches Geheimniß, daß Excellenz keine Reichthümer gesammelt hat. Sein Vater, wenn ich mich nicht irre, war Gerichtsschreiber, seine Frau eine Geborene von Muggenthal. Die Muggenthals, du lieber Gott! Allerdings bezog Excellenz ein ziemlich hohes Gehalt und entsprechend ist jetzt seine Pension, aber was Söhne beim Militär kosten, wissen wir beide. Und -“

„Und Vitus Müller, meinen Sie, hat auch nicht viel. Beschwichtigen Sie Ihre Theilnahme und Sorge! Das Haftgeld wurde von mir gestellt.“

„O!“

„Und die Hochzeit findet, wie von Anfang an beschlossen war, am Geburtstage des Erbprinzen statt. Hoffentlich wird Ihre Minna uns die Ehre schenken, Brautjungfer zu sein - wenn sie nicht selbst früher Hochzeit feiert, denn daß zwischen Fräulein Minna und Herrn Haspinger ein - na, sagen wir die Einleitung zu einer Verlobung spielt, ist auch ein öffentliches Geheimniß.“

Ida sprach’s und raschelte davon, denn sie trug nicht Seide, sondern ein frischgesteiftes Linnenkleid. „Haben Sie gehört?“ fragte sie die Köchin.

„Gehört hab’ ich nichts,“ antwortete diese, „aber gesehen genug. Majors Peppi hat jetzt auch schon Spitzenfalbeln wie die Frau Baronin.“

Der Bäcker Unterberger stand vor seinem Laden im Gespräch mit dem Bürgermeister Zappel. Beide grüßten die Richterin schon von weitem. Sie hatten mächtige Baßstimmen. „Ihr Diener, Frau Baronin!“ und „Frau Baronin, meine Hochachtung“ dröhnte es wie ein Gewitter durch den gewölbten Gang. Ida blieb stehen und schüttelte den Bürgern herzhafter als sonst die Hand, da sie die Majorin noch in der Nähe und auf der Lauer wußte.

„O, Frau Baronin,“ sagte der Bürgermeister, „was muß ich hören! Freund Unterberger erzählt mir soeben, daß das junge Brautpaar in der Residenz Hochzeit macht! Unsere Baronesse an ihrem Freudentag nicht bei uns? Wär’ nicht übel! Nein, nein, die Hochzeit muß bei uns sein. Ganz Hohenwart wird Spalier bilden, dafür lassen Sie die Bürgerschaft sorgen.“

„Die Bürger,“ raffte sich jetzt der Bäckermeister auf, der duselig aussah, weil er noch nicht geschlafen hatte, „die Bürger - das muß man uns lassen.“

„Ja, die Bürger sind meine Freund,“ fiel Ida ein. „Und wenn es nach mir geht - und hoffentlich geht es nach mir -“

„Nach wem sonst?“ fagte Zappel.

„Wird die Hochzeit nirgend anders als hier gefeiert. Und nach altem Brauch mit Kranzeljungfern und Kirchgang.“

„Und Hochzeitsmahl,“ meinte Unterberger.

Es hatte ganz den Anschein, als ob Ida die Hohenwarter am kleinen Finger halte. Grauköpfe drehten sich nach ihr um, böse Buben heuchelten unter ihren Blicken Wohlerzogenheit und Harmlosigkeit. Die schöne Apothekerin, die hochmühtigste Frau im Städtchen, kam mit Blumen aus ihrem Garten und lief der „Frau Baronin“ nach, um ihr den Strauß zu überreichen. Alle diese Beweise ihrer Beliebtheit waren für Ida Balsam und Sporn zugleich. „Und wenn ich einen Kniefall vor Onkel Anton thun sollte,“ sagte sie sich, „die Würde muß gewahrt, das Geld muß heute beschafft werden!“ –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_486.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)