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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

mich ist frische Luft Gift – für mich – Wenn Sie erlauben, nehme ich einen Schluck. Es hilft auch nicht, aber es mildert …“

„Ein harter Mann, dieser Tannhauser,“ dachte der Richter, während er sich die finstere Treppe hinabtastete, „ein harter Mann gegen sich und andere.“

Die Gasse lag in kühlem Schatten, doch war die Luft darin ebenso verdorben wie im „Raben“ selbst. Müller beeilte sich, aus der drückenden Enge herauszukommen, und so entging ihm, daß einer der beiden Strolche, von denen droben die Rede gewesen war, am Fenster der Wirthsstube saß, der „Pfannen-Gide,“ ein gewaltthätiger, gefürchteter Mensch. Er war seines Handwerks ein Schlosser, doch Trunk- und Händelsucht machten ihn in jeder Werkstätte unmöglich; so trieb er denn ein abenteuerliches Leben. Einmal wurde er mit zerschossenem Bein heimgebracht, nach seiner Aussage war er im Wald „aus Versehen“ getroffen worden; die Geschichte blieb unaufgeklärt. Aber auch mit dem lahmen Bein ging er wohl noch die alten Wege des Wilderers und Schmugglers. Er übte auf junge Taugenichtse großen Einfluß aus, nicht zu ihrer Besserung. Dem Zauber dieser Persönlichkeit fielen die Ersparnisse wie die guten Vorsätze des Schreibers Franz zum Opfer. Vor der gemeinsamen Kneiperei hatte der „Pfannen-Gide“ beim wiedergefundenen Freunde eine Anleihe gemacht, davon lebte er heute nach seinem Geschmack abermals äußerst herrlich. Als der Amtsrichter das Haus verließ, lachte der Gauner hinter ihm her. Der Hochmögende da draußen hat seine guten Seiten, sagte er sich, doch im großen und ganzen taugt auch er nicht mehr als der Hauptmucker im zweiten Stock. Er schüttelte die Faust gegen die Decke – Ihr behandelt uns wie wilde Thiere, und trotzdem sind wir gewissermaßen eure Brotherren, denn wenn jedermann nach der Schnur lebte, wo blieben dann die Richter!

Vitus Müller athmete erst auf, als er in den Garten seines Onkels trat, das saftige Grün schien ordentlich Kühle auszuströmen. Er ging geradeswegs in die Laube, wo er den Gesuchten beim Kaffee zu finden hoffte. Allein bloß die Köchin Kathi saß drin, ein nicht mehr junges, aber noch leidlich hübsches Frauenzimmer mit dicken Backen und kleinen, verschmitzten Aeuglein. Sie that einen Schrei und sprang auf.

„Jesus, der Herr Amtsrichter! Bin ich aber erschrocken!“

„Ist der Onkel noch droben?“

„Der Herr Furtenbacher sind vor einer Viertelstunde ins Gebirge abgereist. Er läßt Ihnen sagen, daß er morgen wieder zurück ist.“

Vitus erschrak. Vor einer Viertelstunde! Mein Gott, warum ging er nicht zuerst zum Onkel und dann zu Tannhauser! „Vor einer Viertelstunde –“ wiederholte er laut.

„Ist der Herr abgereist, aber daheim war er schon mittags nicht mehr. Der Herr aß in der Bahnhofwirthschaft.“

„Am ersten Tage nach seiner Heimkehr? Kathi, was haben Sie verbrochen?“

„Ich? ich?“ rief Kathi – und nun erging sie sich in Klagen über die schlimme Laune, die ihr Herr aus Karlsbad mitgebracht habe. Gleich zu Anfang sei er unleidlich gewesen, weil sie nicht auf dem Bahnhof erschienen war. Du gerechter Himmel, sie hatte geglaubt, eine gebratene Gans sei ihm der liebste Empfang. „Und dann der Hund! Hat man je ein garstigeres Thier gesehen? Und dann fand der Herr schlechte Nachrichten über einen Schuldner im Gebirge vor.“

Indessen hatte Vitus die Laube verlassen und schritt, von Kathi begleitet, dem Ausgang zu. „Merken der Herr Amtsrichter keine Veränderung im Garten?“

Müllers Gedanken waren daheim. Wie wird Ida die verdrießliche Nachricht aufnehmen? Er blickte zerstreut umher und meinte, der Garten scheine ihm besser gehalten zu sein als in früheren Jahren.

„Das will ich meinen,“ rief sie. „Sehen der Herr Amtsrichter nur den Rasen an, ist er nicht wie Sammet! Und erst das Beet dort mit den blutrothen Nelken, die ein flammendes Herz vorstellen! Und das scheckige Strauchwerk! Das alles ist das Verdienst des Burschen vom Herrn Lieutenant, des Herrn Schütz, der so ab und zu sich des Gartens und meiner Einsamkeit erbarmt hat. Glauben Sie nun, daß unser Herr mit dieser Ueberraschung zufrieden war? Im Gegentheil, wüthend war er und schoß wie ein Kreisel auf den schönen dottergelben Kieswegen umher und schrie, daß er die neumodischen Gärtnersprünge nicht ausstehen könne.“

„Wissen Sie, mit welchem Zug der Onkel morgen zurückkehrt?“

Kathi wußte es nicht. „‚Sagen Sie: morgen komm’ ich wieder heim!‘ schnauzte er mich beim Abschied an, sagte aber nicht, mit welchem Zug er kommen wird! Bin ich dann morgen bei allen Zügen auf dem Bahnhof und laß’ das Kochen, wird’s dem Herrn wieder nicht recht sein. Ach, Herr Amtsrichter, lieber Sklavin bei einem Türken als Köchin bei Herrn Furtenbacher!“

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Im Burghof traf der heimkehrende Richter den talentvollen Gärtner und das Stubenmädchen Idas am Brunnen. Schütz half der Jungfer Wasser tragen, augenblicklich jedoch pflogen beide eine Unterhaltung mit dem alten Strobel, der vom Bogengang heruntersah. Die Stirn in finstern Falten, ging Vitus in das Gerichtszimmer und ertheilte dem Amtsdiener, der ihm gefolgt war, einen strengen Verweis. Wie konnte er die Amtsräume ohne Aufsicht lassen!

„Aber Herr Richter, ich sah ja –“

Vitus unterbrach ihn mit harter Stimme. „Sie sind in Eid und Pflicht wie wir, es giebt für Sie keine Entschuldigung.“ Er war wider seine Gewohnheit mit dem Hut auf dem Kopf eingetreten. Er nahm ihn nicht ab; aus der Wohnung drüben tönte kräftiges Klavierspiel und ließ ihn vermuthen, daß seine Frau dem Brautpaar zum Tanze aufspiele. Sie ist so fröhlich, dachte er, und nun muß ich ihre Freude stören. Schon unterwegs hatte ihm der Wunsch, die nöthige Summe vorläufig anderswo aufzutreiben, eine Reihe trüber Gedanken erweckt. Er wußte niemand, an den er sich offenherzig hätte wenden können. Trotz seines vieljährigen Aufenthalts in Hohenwart war er freundlos. Alle die wohlhabenden Männer, die er sich herzählte, würden sein Gesuch mit Verwunderung hören. Oder sollte er beim Assessor anfragen? Von Tannhauser ging das Gerücht, daß er keineswegs arm sei, wie er vorgab, vielmehr bei irgend einem Hohenwarter Patrizier ein hübsches Stück Geld liegen habe. – Nein, Tannhauser wäre der letzte, den er auch nur um die kleinste Gefälligkeit, geschweige denn um ein Darlehen bitten möchte. Der Mann hat kein Herz oder weiß es so zu verbergen, daß niemand darauf zu rechnen wagt.

Jetzt erst bemerkte er, daß Strobel noch dastand. Er sah den Zerknirschten über die Brille weg forschend an. „Strobel,“ sagte er, „wenn nichts Dringliches für Sie vorliegt – “

„Herr Amtsrichter, auf Ehre nicht! Alles erledigt!“

„Dann schaffen Sie mir den unseligen Schreiber Franz zur Stelle, meinethalben mit Hilfe des Landjägers. Der Mann ist wieder in den Händen des ‚Pfannen-Gide‘, welcher ihn ins Verderben stürzen wird. Ich will ein letztes Mal in Güte mit ihm reden.“

„Zu Befehl, Herr Amtsrichter!“ erwiderte der andere voll Eifer. „Nur wende ich mich nicht an den Landjäger, sondern an die Obstfrau auf dem Stadtplatz. Woher einer kommt und wohin einer geht – sie weiß alles.“

Die Musik hatte aufgehört. Ida wird ihn erwarten, denn es ist schon vier Uhr vorüber; aber solang Helmuth drüben ist – hoffentlich empfiehlt er sich, bevor sein Vater kommt. Dann – da stand von den Verhandlungen des Vormittags her noch die Geldkasse neben den Rechnungsbelegen. Er setzte sich nieder, um Ordnung zu machen.

Bei dieser Beschäftigung traf ihn Ida. Sie hatte seine Rückkehr vom Burschen erfahren und eilte in größter Unruhe herüber.

„Nun?“ rief sie schon unter der Thür.

Vitus blickte auf und sah die Gluth der Aufregung in ihren Zügen, ihm war, als sei er an den Stuhl angewachsen. „Ist Helmuth schon fort?“ fragte er.

„Nein. die Majorin Langbein mit ihrer Tochter ist drüben und hält ihn fest. Aber sprich doch, was ist’s mit dem Onkel?“

Er brachte stockend die böse Nachricht vor.

„Vitus!“ rief sie und legte die Hand aufs Herz, „das darf, das kann nicht sein. Onkel versprach Dir ja –“

„Freilich. Weiß der Himmel, was dazwischen fuhr!“

„Aber was sage ich dem Präsidenten? Er reist heute noch in die Hauptstadt und will dort alles selbst besorgen!“

„Am besten, dünkt mich, die Wahrheit.“

„Unmöglich! O, Du kennst Deinen Schulfreund weniger als ich. Enthülle ihm die Wahrheit, und wie er jetzt für die Heirath

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_490.jpg&oldid=- (Version vom 6.9.2023)