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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Sie hatten ihn ja bald, Strobel!“ hob er an.

„Ja, sofort; er war im ‚Raben‘.“

„Ist das der Ort, ist dort die Gesellschaft für einen Reuigen?“ herrschte Vitus den Landstreicher an.

„Ich trat nur zum Verschnaufen unten ein,“ vertheidigte sich der andere mürrisch. „Ich wollte zwei Treppen höher, wollte Herrn Assessor Tannhauser um Arbeit bitten.“

Er log, kein Spitzbube ging dem Wärwolf Tannhauser freiwillig unter die Augen. Der Amtsdiener lachte höhnisch; auch Vitus wußte, daß der Bursche die Unwahrheit sagte, doch er, der Richter, konnte dem Lügner nicht fest ins Auge sehen.

„Zum Assessor wolltest Du?“ murmelte er, erfaßte die Papierschere und legte sie wieder hin. „So? so? … ich glaube nicht, daß er – indeß, vielleicht –“

Vitus hatte dem Schreiber kräftig seine Meinung sagen, ihm mit Polizei und Gesetz drohen wollen – das war ihm nicht mehr möglich. Er brachte nur Redensarten vor, die nicht den geringsten Eindruck auf den Sünder machten. Nach einem letzten Versuch, sich zu beherrschen und seinen Worten die nöthige Festigkeit zu geben, entließ er den Franz, der ihm noch einen bösen Blick zuwarf.

Wieder allein, bedeckte Vitus Müller in tiefster Erschütterung sein Gesicht mit den Händen. „Gott! Gott!“ stöhnte er, „was habe ich gethan!“


5.

Die Unterredung zwischen Ida und dem Präsidenten fand im Speisezimmer statt, denn die Majorin Langbein wich nicht. Excellenz empfing die Gesammtsumme der Kaution und ging mit Amtsmiene die Werthpapiere durch.

„Alles in schönster Ordnung,“ meinte er. „Ich danke Ihnen.“ Damit überreichte er der Baronin den schon ausgefertigten Empfangsschein.

„Aber warum wollen Sie sich selbst bemühen, Excellenz?“

„Der kleinste Dienst, den ich Ihnen, verehrte Frau, erweisen kann, macht mir Vergnügen. Auch wissen Sie nicht, wie schwerfällig man heute noch in solchen Dingen seitens unserer Behörden ist; ich mache das morgen im Handumdrehen ab. In drei Tagen bin ich wieder zurück.“

„Gut denn, so begleiten wir Sie zum Zug.“

„Ich bitte, nein. Das würde einem Abschied ähnlich sehen und ich mache nur einen Ausflug.“ Er horchte nach der Thür. „Trotzdem die Majorin keine kräftige Stimme hat, hört man sie durch zwei Zimmer. Ich werde ihrer Neugier durch jenen Ausgang entfliehen. Entschuldigen Sie mich bei Ihren Gästen und grüßen Sie Ihre Lieben!“ Er bot ihr die Rechte und fuhr mit einem Blick auf das Paket in seiner Linken fort: „Alles Geschäftliche ist hiermit erledigt, es fehlt nur noch die Weihe des Bundes; ich wünsche mit Ihnen, daß sie bald erfolgt.“

Er sah in die blinkenden Augen Idas und küßte die Hand, die er immer noch hielt, mit etwas altfränkischer Artigkeit. „Auf Wiedersehen! – Bitte, keinen Schritt! Auf frohes Wiedersehen!“

Ida blieb im Zimmer stehen. Das wäre abgethan. Jetzt konnte man aufathmen. Und doch – warum wollte denn dieser dumpfe Druck nicht weichen? Warum nur wurde sie den Blick nicht los, mit dem Vitus ihr die Geldsumme vorhin übergeben hatte? Ach was, Vitus nimmt die Sache zu ernst. Es handelt sich um einen kleinen Betrag und einige Tage – freilich die Nummern! Nun, statt der alten trägt man einfach die neuen ein.

Schon hatte sie die Thür geöffnet, um zur Gesellschaft zurückzukehren, allein die schnarrende Stimme der Majorin aus dem dritten Zimmer machte sie stillstehen. „Ja, ja, meine liebe Verena, die Residenz ist ein gefährlicher Boden für junge Ehemänner. Die Offiziere des Regiments ‚Erbprinz‘ werden dort die erste Rolle spielen. Beiläufig: der neue Oberst ist der Vater der geistreichsten, schönsten, überall gefeierten Dame unseres Adels. Gräfin Winegg soll freilich gefallsüchtig sein, doch mir scheint das Wort nicht richtig für eine Dame, die eben des Sieges sicher ist, sobald sie will. Klopft Ihnen da das Herz nicht ein wenig, meine Süße?“

Verena war offenbar um eine Antwort verlegen, denn ein paar Sekunden lang blieb alles still. Aber da fiel Helmuth mit frischem Tone ein: „Meine Gnädige, warum soll meine Braut Herzklopfen haben? Entweder hat man in der Hauptstadt meinen Geschmack: dann wird Verena ‚die geistreichste, schönste, überall gefeierte Dame‘ sein. Oder man hat ihn nicht: um so besser für mich!“

Er sprach das mit so ruhiger Heiterkeit, mit solcher Bravheit und Wärme – man mußte ihm glauben!

Ida hätte hineineilen und dem wackeren Schwiegersohn recht wenig würdevoll und schwiegermütterlich um den Hals fallen mögen, allein plötzlich schoß ihr ein Gedanke durch den Kopf und hielt sie fest. Wenn Helmuth so treu zu seiner Braut stand, war dann diese hastige Abwicklung der Geldangelegenheit überhaupt nöthig gewesen, hatte sie dann nicht übereilt gehandelt? Für Vitus schien der kleine Schritt heraus aus der breitgetretenen Straße des Gesetzmäßigen doch ein ungeheures Opfer gewesen zu sein. Alle Vorgänge in der Amtsstube traten ihr vor die Seele; sie erblickte sein gutes Gesicht Zug für Zug, die Verlegenheit, das Entsetzen, den Kampf und dann die tödliche Blässe. Hatte sie recht gethan?

Mit einem entschlossenen Ruck warf sie das Haupt zurück. Das fehlte noch, daß auch sie diesen kleinlichen Bedenken Raum gab. Ein Keil treibt den andern, jetzt wird Vitus den Onkel Anton drängen, und die Sache kommt noch einmal so rasch in Ordnung. Und, sagte sie sich mit einem Erröthen, das sie um viele Jahre verjüngte, jetzt weiß ich wenigstens, wie sehr er mich liebt – und Liebe für Liebe!

Heiter trat sie ins Zimmer, wo eben die Majorin und ihre Tochter Abschied nahmen. Vitus, der müde herübergekommen war, begrüßte seine Frau mit einem gedrückten Lächeln. Als der unliebsame Besuch sich entfernt hatte, hing sich Ida vertraulich an den Arm ihres Gatten.

„Warum,“ fragte dieser, „warum hast Du die Majorin nicht zum Thee gebeten? Wie mir schien, wartete sie darauf.“

„Freilich hat sie drauf gewartet! Eben darum nicht.“

Aber da Helmuth vor dem Abgang des Zuges zu seinem Vater muß, wirst Du mit mir allein sein!"

„Und wenn ich nun am liebsten mit Dir allein bin?“

Vitus sah sie staunend an, konnte jedoch nichts erwidern, denn in diesem Augenblick näherte sich Helmuth, um von ihnen Abschied zu nehmen.

Hinter dem verfallenen Gemäuer der Burg lag ein Gärtchen mit einem gemauerten Vorsprung und einem steinernen Sitz. Dorthin begab sich das Ehepaar. Nicht wegen der Aussicht auf die Ebene und das mächtige Gebirge, obwohl die Ferne gerade heute unter der glühenden Pracht des Abendhimmels wie ein schöner Traum herüberwinkte, heute suchten sie das Lugaus einzig wegen seiner einsamen Lage auf.

Als sie auf der Steinbank nebeneinander saßen, ergriff Ida die Hand ihres Mannes und fragte: „Bist Du jetzt beruhigt?“

„Nicht beruhigt,“ antwortete er, „aber gefaßt. Ich habe über mein Leben nachgedacht, von der Knabenzeit an bis jetzt. Nach Juristenrecht ist meine Vergangenheit makellos. Nun trübt ein Augenblick die Besonnenheit, macht mich alle Grundsätze vergessen, vernichtet den Gewinn dieses ganzen Lebens – den Ruf eines ehrlichen Mannes.“

„Du übertreibst.“

„Ich übertreibe nicht. Mein Vorgesetzter ist Dir bekannt, Du warst von ihm entzückt, hast Dir sein baldiges Wiederkommen nicht aus leerer Höflichkeit, sondern in herzlichem Gefühl gewünscht. Wenn er aber jetzt durch jene Thür treten würde, müßte er Dir nicht furchtbarer sein als ein Gespenst?“

Es überlief sie kalt, doch gewann ihr nüchterner Sinn alsbald die Oberhand. Sie tröstete Vitus, daß morgen alles wieder gut gemacht sei.

„Was ich begangen, wird nie wieder gut gemacht,“ sprach er traurig. „Und trotzdem würde ich ohne diese Schuld mein Unrecht gegen Dich niemals erkannt haben. Es war ein Verrrath an Deinen dankbaren, gütigen Empfindungen für mich, ein Verrath an der Freundschaft, Dich an mein Los zu binden. Ich armer Mann, arm in jedem Sinne, durfte nicht um Dich freien.“

„Vitus, ich bin Dir böse …“

Es wühlte in ihm tiefer und tiefer. „So sind denn Abgründe in jedem Gemüthe! Ich war ruhig, fühlte mich sicher. Da borgt sich der Versucher Deine Stimme, und ich erliege –“

Sie drückte sanft seine Hand, er schaute auf. Nie war sein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_502.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2023)