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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Weib ihm so strahlend schön erschienen wie in dieser Stunde. Machte ihn die Schuld jünger und zum Schwärmer? Eine Blutwelle schoß ihm in die Schläfen und feurig rief er:

„Verzeih’ das schlimme Wort. Du hast die Allgewalt der Liebe mich kennen gelehrt, und ich liebe Dich. O, verlange nie, nie wieder ein Unrecht von mir, ich müßte es um Deinetwillen abermals begehen!“

Was Ida vorhin gedacht hatte, sprach sie jetzt aus: „Liebe für Liebe!“ Und innig küßte sie ihren Gatten. –

Wahr! wahr! Ohne ruhiges Gewissen kein ruhiger Schlaf. So sagte sich Vitus, als er in der folgenden Nacht nach einem kurzen Schlummer, der mehr eine Betäubung als ein Ausruhen war, um zwei Uhr erwachte. Zwei Uhr! Wie lang noch bis zum Tag, bis es Zeit ist, zu Onkel Anton zu gehen! Durch das offene Fenster strömte die Nachtluft herein. Der Amtsrichter stützte sich im Bette auf. Was er nie aus dieser Ferne gehört hatte, das Rauschen des Flusses, es war deutlich vernehmbar. Hochwasser! Wenn die Fluth, wie es vor Jahren einmal geschehen war, den Bahndamm unterwühlte und den regelmäßigen Verkehr störte! Onkel Anton, dem Bequemlichkeit über alles ging, der furchtsam war, würde sicherlich in den Bergen bleiben. Vitus strich sich über die Stirn, sie war feucht; auch die Nacht hatte keine Kühle gebracht. Leise kleidete er sich an und begab sich in den Bogengang. Da konnte er auf und nieder gehen und seufzen aus tiefster Brust. Doch die Sorge lastete auf ihm und das Hin und Her ermüdete ihn bald. Er nahm zwischen den Blumen Verenas Platz, und so, den Kopf in die Hand gestützt, saß er dumpf brütend, bis der Hof in bleichem Lichte lag.

Es ist Tag! Die Hähne krähen, die Sperlinge begrüßen sich laut und im Gang gegenüber kann er jetzt deutlich das Wort „Amtsgericht“ über der Thür lesen.

So viele Jahre ist er dort aus und ein gegangen, ohne an diese Aufschrift zu denken. Jetzt blickt er mit einem ähnlichen ängstlichen Ausdruck auf die Tafel wie ein schuldbewußtes oder einfältiges Bäuerlein, bevor es anklopft.

Fort!

Er hoffte, unter freiem Himmel, angesichts des erwachenden Lebens, der beginnenden Arbeit ringsum seiner Beängstigungen Herr zu werden.

Er schritt durch das Gärtchen rasch zum Lugaus, allein die Ruhebank war schon besetzt: mit dem Gesicht auf dem Arm lag dort ein Schläfer in abgetragenen Kleidern und schmutzigen Stiefeln. Auf Müllers Anruf richtete er sich auf – der Schreiber Franz! Beide erschraken, doch faßte sich der Gauner schneller als der Richter. Er raffte seinen Hut von der Erde auf, machte einen Kratzfuß und wünschte „Seiner Gnaden“ unterthänigst guten Morgen.

„Ja, sehen Sie, Herr Amtsrichter,“ fuhr er fort, ohne dessen Frage abzuwarten, „ich bin seit gestern ohne Schlafstelle. Der Steig vom Schloßkeller hier herauf ist halsbrecherisch, aber meines Wissens kein verbotener Weg. Das Lager da wird mir niemand mißgönnen. Blumen sind vor uns sicher, und den alten Steinhaufen, die Burg, werd’ ich auch nicht forttragen.“

Der freche Ton brachte Vitus in Zorn. „Für Unterkunftlose ist die Polizeiwache,“ sagte er barsch. „Kommt es noch einmal vor –“

„Der Herr Amtsrichter würden an meiner Stelle ebenfalls der hölzernen Pritsche in der Wachtstube den härtesten Stein bei Mutter Grün vorziehen. Sie machen einem dort das Scheiden schwer, aus einer Nacht werden Wochen –“

„Still!“ unterbrach ihn Müller. „Merke Dir: der Weg hier herauf und hinab ist für jedermann verboten. Am Fluß sind jetzt Hände nöthig, das Hochwasser hat Schaden gethan. Sollte man Dich zurückweisen, so melde Dich bei mir – mittags in meiner Wohnung – Unglücksmensch, um Deiner ehrlichen Eltern willen, um –“ Vitus konnte vor Bewegung nicht weitersprechen; er winkte dem Burschen, ihm zu folgen, ging mit ihm über den Hof und schloß ihm selber das Burgthor auf.

Zum Lugaus kehrte der Richter nicht mehr zurück.

Kurz nach acht Uhr läutete er bei Onkel Anton an. Kathi öffnete, erröthete, knickste, bat ihn aber nicht, einzutreten, sondern theilte ihm zwischen Thür und Angel mit, daß ihr Herr mit dem Frühzug nicht angelangt sei.

„Sicherlich nicht,“ meinte sie, „denn er hat mir geschrieben. Es sind keine zehn Minuten, daß der Postbote den Brief brachte; Sie müssen ihm begegnet sein.“

Bei aller Zungenfertigkeit war sie offenbar verlegen, doch Vitus beachtete es nicht. Auf dem Herwege hatte er sich mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß sein Onkel mit dem Frühzug nicht zurückgefahren sei, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Gleichwohl traf ihn jetzt die Gewißheit mit der vollen Wucht der Enttäuschung.

„Schreibt der Onkel, wann er kommt?“ fragte er rauh.

Kathi wurde dunkelroth. Sie legte die Hand wie besänftigend auf den Arm des Besuchers. „Wissen Sie, Herr Amtsrichter, daß ich heute nacht kein Auge zugethan habe?“

„Ich auch nicht,“ entfuhr es Vitus unwillkürlich.

„Ich hatte nämlich ein schlechtes Gewissen – nein, nein,“ setzte sie, über den wilden Blick Müllers erschrocken, rasch hinzu, „denken Sie nichts Schlimmes! Das heißt, so gar schlimm ist’s nicht, aber freilich, wenn der Herr Amtsrichter sagen, ich hätte gestern gelogen, so ist’s beinahe die Wahrheit. Ich wußte nämlich schon gestern, daß der Herr Onkel heute nicht und morgen nicht, überhaupt so bald nicht wiederkommt.“

Vitus erblaßte bis in die Lippen.

„Wie Sie gehört haben, hatte ich gestern mit dem Herrn einen Zank. Erst wegen des Azor, dann wegen des Gartens und des Bedienten vom Herrn Lieutenant.“

„Aber Kathi, sagen Sie mir nur –“

„Alles, und heute mit voller Aufrichtigkeit. Herr Schütz und ich – Sie verstehen – mein Gott, man will doch auch einmal für den eigenen Hausstand kochen! Allein das paßt natürlich dem alten Herrn nicht. Wie er nun den Kriegerstand überhaupt und Herrn Schütz im besondern gar so heruntermachte, riß auch mir die Geduld, und ich erklärte ihm rund heraus, daß ich und Herr Schütz versprochen seien und daß wir einen Garten pachten wollten und so weiter. Aber so hab’ ich den Herrn noch nie gesehen, ganz zittrig war er vor Wuth. Doch ich blieb fest, und da verlegte er sich aufs Bitten. ‚Kathi,‘ sagt er, ‚ich gehe auf vierzehn Tage ins Gebirge. Kommen Sie zur Vernunft –‘ ‚Ich bin bei Vernunft.‘ ‚Sie finden landaus landein keinen solchen Herrn.‘ ‚Und der Herr keine solche Köchin!‘ Und da – denken Sie, die Beleidigung! – sperrte er außer der Küche und meiner Kammer alle Zimmer ab und machte sich auf und davon. ‚In vierzehn Tagen,‘ das war sein letztes Wort, ‚in vierzehn Tagen reden wir weiter!‘“

„Und das verschwiegen Sie mir gestern?“

Kathi lächelte mehr pfiffig als verschämt.

„Ja, sehen Sie, Herr Amtsrichter, die junge Männerwelt von heute, und nun gar zweierlei Tuch –! Wenn Herr Schütz gehört hätte, daß es Ernst wird – nichts Gewisses weiß man nicht. Vielleicht, dachte ich, will er Dich nicht und Du mußt in vierzehn Tagen doch wieder mit Dir reden lassen. Ich that jedoch meinem Bräutigam unrecht, er war abends bei mir und Feuer und Flamme – und kurzum, im September wird er frei, und unterdessen pachte ich den Schmiedgarten. Der Herr Amtsrichter kennen ja den Schmiedgarten –“

„Aber was soll mir der Schmiedgarten! Sagen Sie mir endlich, was der Onkel schreibt!“

Kathi griff in die Tasche. „Jesus!“ rief sie, „ich ließ den Brief in der Küche liegen. Aber ich weiß ihn auswendig. Der Herr schreibt gestern abend aus dem ‚Rappen‘ in Steinberg – Steinberg, Sie wissen, die dritte Station nach Hohenwart – schreibt, daß er sich besonnen habe und daß ich seinen Dienst sofort verlassen könne. Und ich soll mir vom Herrn Amtsrichter einen Vierteljahrslohn auszahlen lassen und dem Herrn Amtsrichter den Schlüssel zu Haus und Garten übergeben. Nobel ist das nicht, doch mir ist’s recht. Halt, da hab’ ich ja den Brief! Lesen Sie selbst, ich und der Herr haben keine Geheimnisse. Und richtig – da steht noch etwas für Sie.“

Das Schreiben, das der Richter mit einem Blick überflog, war offenbar in Wuth hingekritzelt, kurz, aber grob. In einer Nachschrift war die Bemerkung angefügt: „Sagen Sie dem Herrn Vetter Amtsrichter, über das Bewußte reden wir nach meiner Rückkehr nächste Woche weiter.“

„Es ist gut,“ versetzte Vitus, indem er ihr den Brief wiedergab. „Kommen Sie zwischen zwei und drei Uhr in meine Wohnung – Sie brauchen mich nicht zu begleiten,“ wehrte er ab und sah

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_503.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2023)