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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Auch das gefällt mir, weil daraus hervorgeht, daß es die Briefschreiberin nicht auf eine kokette Plänkelei abgesehen hat, sondern es mit ihrer Empörung ehrlich meint.“ Damit ergriff Claudius den Umschlag des Briefes und begann den Poststempel zu entziffern. „Hirschberg in Schlesien. Nun, das ist wenigstens etwas. Ich hätte nicht übel Lust, diesen Nasenstüber, den mir Nummer fünf versetzt hat, anmuthig heimzugeben.“

„Damit wäre ich ganz einverstanden. Aber wie? Wir haben ja keine Adresse!“

Eilig warf Claudius einige Bleistiftzeilen auf den vor ihm liegenden Briefumschlag und schob ihn Gerlach zu. „Wenn dieses sofort an die ‚Norddeutsche Allgemeine‘ abginge? ‚Kamerunerin wird zum Zweck nothwendiger Mittheilungen dringend um Adressenangabe postlagernd G … burg ersucht.   Freimuth.‘“

„Sie wird nicht antworten,“ meinte Gerlach, „indessen, der Versuch könnte ja gemacht werden, zumal da ich zur Zeit hier bin, um einen etwaigen Postlagernden von Grützburg abzuholen.“


In der Sommerfrische.
Nach einer Zeichnung von Ed. Ravel.

So geschah es. Ein ahnungsvolles Vorgefühl sagte dem Fabrikherrn, daß sein Inserat nicht ohne Erwiderung bleiben werde, keineswegs aber hatte er diese so rasch erhofft, als sie in der That eintraf. Auch Gerlach war überrascht. „Ich fürchte, unsere ‚Kamerunerin‘ entpuppt sich jetzt, nachdem ihre Schlauheit den Fisch zum Anbeißen gebracht hat, doch noch als ‚europäische Durchschnittsjungfrau‘,“ sagte er lachend.

Inzwischen hatte Claudius den Brief geöffnet und begann halblaut zu lesen:

 „Mein Herr!
Es erscheint mir unbillig, nachdem ich das Recht einer rückhaltslosen Meinungsäußerung für mich in Anspruch genommen habe, Ihnen nicht die gleiche Freiheit zugestehen zu wollen. So senden Sie mir denn die ‚nothwendigen Mittheilungen‘ unter: ‚Kamerunerin, postlagernd Hirschberg‘, aber bedenken Sie es wohl: ich gestatte Ihnen nur einmal, an mich zu schreiben, ich würde auf einen weiteren Briefwechsel unter keinen Umständen eingehen und niemals wieder auf der Hirschberger Post nach postlagernden Briefen fragen, selbst wenn sich dieses Gebäude bis unter das Dach mit ‚nothwendigen Mittheilungen‘ des Herrn Freimuth aus Grützburg anfüllen sollte.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_541.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2023)