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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Und fürs kommende Jahr ein reiches, echtes Glück!“ Wär’s nicht, als habe das eine sanfte Frauenstimme in seine Einsamkeit hereingerufen?. „Ich werde Dich finden, auch wenn ich Dir nicht mehr schreiben darf!“ sagte Ernst Claudius in tiefem Sinnen. Da schob sich der schöne Amadeus, dessen bescheidenes Anklopfen der Fabrikherr offenbar überhört hatte, lautlos wie ein Schatten zur Thür herein, scharfen Auges die Lage überschauend. Seltsam! Da stand sein Herr, selbstbewußt und hochaufgerichtet wie einer, der vor einer wichtigen Unternehmung steht, und ein siegesgewisses Lächeln schwebte um seine Lippen.

„Was giebt es, Amadeus?“

„Herr Gerlach ist im Begriff, nach Kronfurth zu fahren, Herr Doktor. Er möchte sich verabschieden.“

„Schon recht. Bringen Sie ihm das hier!“

Es war ein Blättchen, worauf der Fabrikherr geschrieben hatte: „Warten Sie zehn Minuten! Ich fahre mit.“

Albert Gerlach war angenehm überrascht, als Claudius bald darauf zu ihm in den Wagen stieg. Der Fabrikherr schien trefflicher Laune zu sein.

„Lassen Sie mich Ihre Rechtfertigung bei Edith übernehmen, lieber Freund!“ äußerte er. „Ich denke, wir werden nachher alle miteinander einen recht fröhlichen Weihnachtsabend haben.“

Gerlach ahnte wohl, was den Fabrikherrn so plötzlich äußerlich und innerlich verwandelt hatte, aber er sprach sein Verständniß nicht in Worten, sondern nur durch einen kräftigen Händedruck aus. Dann fuhren sie in zufriedenem Schweigen nach Kronfurth.




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Unschuldig verurtheilt!

Beiträge zur Geschichte des menschlichen Irrthums. 0Neue Folge. IV.
Das Zeugniß des Irrsinnigen. – Angeblich verleitet. – Ein Komplott falscher Zeugen. – Der Müller von Kroppenstedt. – Das Wirken der Menschenliebe. – Was ist Wahrheit?

Wie es sich in dem zuletzt erzählten Falle des Schuhmacherlehrling B. gezeigt hat, kann die Täuschung über die geistige Zurechnungsfähigkeit eines Angeklagten zur Verurtheilung eines wenn auch nicht der Thatsache, so doch der rechtlichen Haftbarkeit nach Unschuldigen führen. Dieselbe Täuschung wirkt aber leicht auch dann verhängnißvoll, wenn sie nicht die geistige Gesundheit des muthmaßlichen Thäters selbst, sondern die eines Zeugen betrifft. Das beweist ein neuerer Fall aus der österreichischen Justiz.

Peter Pabst, Hausbesitzer und Heger bei der gräflich Weißenwolf’schen Forstverwaltung in Steyregg, wurde im September 1888 vom Schwurgerichte zu Linz hauptsächlich auf Grund der Aussage des Forstpraktikanten Karl Breitwieser wegen Diebstahls und Brandstiftung zu zwölf Jahren schweren Kerkers verurtheilt. Nachdem er bereits einunddreiviertel Jahre von dieser Strafe verbüßt hatte, brachte jener Breitwieser bei Gericht zur Anzeige, daß an ihm ein Raubmordversuch verübt worden sei. Die eingeleitete Untersuchung ließ indeß Zweifel an der Wahrheit dieser Anzeige und mit ihnen weitere Zweifel an der geistigen Zurechnungsfähigkeit Breitwiesers aufkommen; die nach dieser Richtung vorgenommenen Erhebungen ergaben, daß derselbe schon seit Jahren an der Fallsucht (Epilepsie) litt. Dabei entlockte ihm der prüfende Gerichtsarzt zugleich das Geständniß, daß er jenen Brand, dessen er den verurtheilten Pabst bezichtigt, selbst angelegt habe. Als er das verhängnißvolle Zeugniß ablegte, war er mit „transitorischer Manie“ d. h. mit vorübergehenden Wahnvorstellungen behaftet und von krankhaftem Hasse gegen Pabst erfüllt, Fabulant und Verleumder. Das spätere Geständniß war nur die Frucht eines lichten Augenblicks, in welchem das schlafende Gewissen zu seinem Rechte kam. Pabst wurde darauf aus der Strafhaft entlassen, aber sein Vermögen war verloren und ein anhaltendes Blutbrechen hatte seine Gesundheit untergraben. Es ist indeß zu hoffen, daß ihm infolge seiner an das österreichische Abgeordnetenhaus gerichteten Eingabe wenigstens der Schaden an Geld und Gut wieder ersetzt werde.

Manche Uebelthäter suchen das Gewicht ihrer Verschuldung dadurch zu verringern, daß sie angeben, sie seien von andern Personen zu der verbrecherischen That verleitet worden; in heimtückischer Bosheit ziehen sie auf diese Weise oft Unschuldige mit in das Verderben.

Am 20. September 1888 stand der Dienstknecht Franz Wallner vor dem Schwurgericht zu Graz, angeklagt der absichtlichen Brandlegung an den Wirthschaftsgebäuden des Gutsbesitzers Blasius Karner in Emporsdorf bei Wildon. Er hatte zugleich seinen Dienstherrn, den Gutsbesitzer Franz Fedl und dessen Frau, sowie die Magd Marie Wagner der Verleitung zu diesem Verbrechen bezichtigt und mit sich auf die Anklagebank gebracht. Der Brand bei Karner hatte furchtbare Folgen gehabt. Die Hausfrau hatte bei der Rettung des Viehs so schwere Brandwunden erlitten, daß sie daran starb. Die Pflegetochter war infolge des ausgestandenen Schreckens irrsinnig geworden und ebenfalls nach kurzer Zeit gestorben.

Was den Verdacht der Urheberschaft an dieser folgenschweren That auf die Bewohner des dem Gutsbesitzer Franz Fedl gehörigen Nachbargehöfts lenkte, war zunächst der auffallende Umstand, daß sie die einzigen Nachbarn im Dorfe waren, welche nicht auf der Brandstätte erschienen, ja daß sie sogar zu Hause während des Feuers nach den Klängen einer Ziehharmonika lustig und munter tanzten. Kurze Zeit vor diesem Ereigniß waren ferner Franz Fedl und sein Knecht Wallner von Karner, der zugleich Jagdaufseher war, wegen Wilddiebstahls angezeigt und vom Bezirksgericht Wildon bestraft worden. Damit war auch ein Beweggrund gefunden: die Bestraften hatten sich offenbar an Karner rächen wollen.

Franz Wallner war auch der That geständig, er behauptete aber, sein auf Karner erboster Dienstherr habe ihn wiederholt dazu aufgefordert. Um ihm Muth zu machen, habe er ihm an dem Tage viel zu trinken gegeben, auch ein Päckchen Zündhölzer zugesteckt mit dem Bemerken, er solle warten, bis alles schlafe, und dann das Gehöft des verhaßten Jagdaufsehers anzünden. Marie Wagner, die Dienstmagd, welche für ihre Person jede Betheiligung bestritt, wollte doch dabei gewesen sein, wie Franz Fedl dem Wallner für das Anzünden des Karnerschen Gehöfts fünf Gulden und die Frau Fedl noch einen weitern Gulden versprochen habe. Zwei junge Burschen, welche sich an dem Tanze im Fedlschen Hause betheiligt hatten, konnten bezeugen, daß sie von den Fedlschen Eheleuten abgehalten worden seien, dem bedrohten Nachbar beizuspringen. Das Ergebniß war, daß die Frau und die Magd freigesprochen, bei Wallner die Schuldfrage einstimmig und bei Franz Fedl die Frage der Verleitung mit zehn von den zwölf Stimmen bejaht wurde. Das Urtheil lautete demgemäß bei jenem auf zehn Jahre schweren Kerkers, bei diesem auf lebenslänglichen schweren und geschärften Kerker.

Beide traten ihre Strafe an. Franz Fedl stellte jedoch jegliche Verleitung, jegliche Einwirkung auf seinen Knecht in Abrede. Er machte wiederholt Anstrengungen, die Wiederaufnahme des Verfahrens herbeizuführen, allein sie blieben ohne Erfolg, bis endlich den Wallner eine schwere, voraussichtlich tödliche Krankheit befiel. Da schlug ihm das Gewissen und seinem Munde entrang sich das Bekenntniß, daß er, um seine Schuld abzuschwächen, seinen Dienstherrn mit Unrecht als seinen Verführer beschuldigt habe. Er nahm alle hierauf gerichteten Angaben zurück.

Das Verfahren wurde nun wieder aufgenommen und auf Grund der neuen Erhebungen das alte Urtheil für nichtig erklärt. Fedl verließ den Kerker, in dem er zwei Jahre lang die durch das Bewußtsein seiner Unschuld verschärften Qualen eines Verurtheilten erduldet hatte. Man kann den Gedanken nur mit Entsetzen ausdenken, daß dieser Mann ohne das Bekenntniß eines Sterbenden sein ganzes Leben in schwerer Kerkerhaft hätte verbringen müssen. Und doch lag nach menschlichem Ermessen die Sache so, daß die Verurtheilung Fedls gar nicht Wunder nehmen konnte. Denn gegen jene Bosheit und Niedertracht, wie sie in dem Verfahren des Knechts Wallner lag, ist der Richter waffenlos. Er muß eben vor allem glauben, daß es die Wahrheit ist, was er aus dem Munde eines des Lügens nicht verdächtigen Zeugen vernimmt, muß es um so mehr glauben, wenn dieser Zeuge seine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_544.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2023)