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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

trugen vorsichtig eine schwarze Tafel vorbei, auf dunklem Grunde war in ölgetränkten bunten Buchstaben zu lesen:

„Fünfzehn Jahre treu im Amte,
Stets ein Ehrenmann warst Du,
Darum ruft Dir die gesammte
Bürgerschaft beim Abschied zu:
 ‚Glück und Segen
 Allerwegen,
 Vitus Müller!

Lebe wohl und lebe hoch!‘“

„Ein Ehrenmann, das ist wahr,“ bestätigte die Frau Inspektor.

„Sicherlich. nur würde ich ihn in seiner Familie strammer wünschen. Je nun, welcher Mann hat keine Fehler! Ihren Eduard natürlich ausgenommen.“

Der Bahninspektor war als unleidlicher Haustyrann stadtbekannt, seine Frau ging daher über die letztere Bemerkung hinweg und erzählte, daß alle Welt heute abend erscheinen werde. „Herr Landrath von Zorn nebst Gemahlin kommt auch. Was sagen Sie, der Unzugängliche! Und Excellenz übernimmt den Vorsitz!“

„Du mein Gott, wenn der gute Müller nicht zufällig der Stiefvater der zukünftigen Schwiegertochter Seiner Excellenz wäre! Uebrigens, im Vertrauen gesagt, er scheint sehr in Geldverlegenheit zu sein. Wie ich aus sicherer Quelle vernehme, wird all sein Hab und Gut versteigert.“

„Ich möchte nur wissen, wo die Kaution hergekommen ist. Der alte Imhof soll ja nichts besitzen als sein Amt, und der Stadtrichter hat sicherlich nicht viel mehr. – Ah, der Herr Bürgermeister!“

Die Majorin folgte den Augen ihrer Freundin, welche auf ein Haus gegenüber sah. „In Hemdärmeln, wie gebildet! Was thut er denn auf dem Balkon?“

„Er gähnt.“

„Wahrscheinlich hat ihm der Notar sein Festgedicht vorgelesen. Ich kann mir schon denken, wie langweilig die ganze Sache werden wird. Ich gehe auch nicht hin, denn erstens bin ich nicht für diese erzwungenen Festlichkeiten, und dann ist der Major wieder so leidend. Ich und Minna lesen ihm Abend für Abend vor, englische Bücher. Zwar versteht er nicht gut Englisch, aber es zerstreut ihn doch … Das Gedränge auf dem Markt wird nachgerade unausstehlich; haben denn diese Leute nichts zu thun? Was sehen meine Augen! Die Apothekerin mit der Steuereinnehmerin! Das ist ja ganz was Neues!“

„Ja, die Dinge ändern sich und die Menschen auch, die Frau Apotheker als die ewige Erbin —“

„Hierher, meine Damen, rasch hierher! Ohne Umstände! Und woher kommen denn die lieben Freundinnen, wenn man fragen darf?“

„Vom Kurhaus,“ antwortete die Apothekerin. „Das giebt ein Mahl! In der Küche hantieren zehn Hilfsköchinnen, sogar Herrn Furtenbachers Exköchin läßt sich herab. Und im Schloßkeller ist der gleiche Wirrwarr! Alle Bäume haben Papierlaternen.“

„Ich sag’s ja, was zuviel ist, ist zuviel!“

„O, Richters sind liebe Leute,“ vertheidigte die Apothekerin, „und besonders die Frau Baronin ist gar nicht stolz.“

„Um stolz zu sein, ist sie zu wenig Dame,“ erwiderte die Majorin und senkte vornehm die Wimpern. „Es wird immer unleidlicher, da – wahrhaftig ein Puff! Herr, sehen Sie sich doch gefälligst vor, wen Sie hinter sich haben! – Man hat doch wahrhaftig nirgends seine Ruhe!“ …

Währenddem stand Gerichtsdiener Strobel drüben bei der alten Obstverkäuferin. Er hatte unterm Arm ein Bündel Schriften, die er vom kranken Amtsrichter in der Rabengasse geholt hatte, und blickte schwermüthig drein.

„Die Akten sind bereits unterwegs nach der Residenz. Der Schreiber Franz wird wieder ein paar Monate sitzen, den Schaden trägt der Staat, ich kriege eine Nase und die Geschichte ist aus!“

„Und wie macht sich der neue Herr?“

„Liebe Frau, man redet über Vorgesetzte nicht oder, wenn sie in der Nähe sind, nur Gutes. Aber wenn ich mir vom Erbprinzen unsern alten Amtsrichter zurückerbitten könnte, auf den Knieen wollt’ ich von hier nach der Hauptstadt rutschen!“

„Ja, ein Besserer als der steht nimmer auf, Wissen Sie nicht, wird das Klavier auch versteigert? Ich möchte meiner Tochter schon lange eins kaufen.“

Strobel antwortete zurückhaltend. „Darüber kann ich Ihnen nichts Genaues sagen. Natürlich handelt es sich um keinen Zwangsfall. Die Frau Baronin hat Geld wie Heu. Sie erkundigte sich vorläufig nur unter der Hand –“

„Unter der Hand in Hohenwart? O, die Einfalt! – Aber gestern waren die Hohenwarter beim Zeug. Einen solchen Fackelzug hat Excellenz in der Haupt- und Residenzstadt gewiß noch nicht erlebt!“

„Da ich Zugordner war, verbietet mir die Bescheidenheit, darüber zu reden.“

„Und wie glauben Sie, wird’s heut abend werden?“

„Großartig!“

„Recht, recht, unser Herr Richter verdient’s.“ – –

Nicht nur in diesen Gesprächen auf dem Markplatz, überall in Hohenwart stand Vitus Müller im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Er war, trotzdem er immer ein stiller Mann gewesen, zum Liebling der Stadt geworden. Eine zugleich würdige und herzliche Abschiedsfeier wurde vorbereitet, ein Abendtrunk und Imbiß im Kurgarten. Drahtnachrichten wurden an die Standespersonen im weiten Umkreise gesandt. In der Stadt selbst wurde nachmittags gefeiert, im Kurgarten um so fleißiger gearbeitet. Kein Lufthauch ging, doch der Himmel war bewölkt, und die Landschaft hatte für Feinfühlige eine herbstliche Stimmung wie zum Abschied.

Als es dunkel geworden war, fuhren an der Burg zwei Wagen vor, und die Richterfamilie wurde von denselben vier Herren, welche sie vormittags in feierlicher Weise eingeladen hatten, mit derselben Feierlichkeit abgeholt. Alle vier erschienen im Frack, einer sogar mit weißer Binde und Klapphut – der Notar, der für einen Schöngeist galt und auch als Familienvater noch Werth auf sein Aeußeres legte. Vitus war blaß, stotterte und stolperte, mit einem Wort, er hatte das Lampenfieber. Die Damen empfingen ihre kostbare Blumenspende; Ida, in rothem Atlas unter schwarzen Spitzen, sah nach einer Aeußerung des Notars „schön wie eine infernalische Fürstin“ und die hellgekleidete Verena „wie eine Maienlilie“ aus. Die Straße von der Burg bis zum Kurgarten war mit brennenden Pechpfannen besetzt und bildete auf dunklem Grunde ein flammendes Meer.

Ein dichtes Gedränge umgab die Wagen. Da war die Jugend und was zu ihr gehört, Schüler und Lehrer, Kinder und Kindermädchen. Das Geschrei, das der junge Nachwuchs beim Anblick der Gefeierten erhob, war betäubend. Wo die Straße ein Knie machte, mußte man halten. Erste Ueberraschung! Auf den Kuppen und Matten des Vorgeländes und der Berge innerhalb des Gerichtsbezirkes brannten Feuer; auf dem höchsten Gipfel, auf der „Grenzwacht“, an deren Fuß das Gut des Landraths lag, stieg auch die gewaltigste Flamme auf. An den Bäumen im Schloßkeller hingen bis zuhöchst farbige Leuchtkugeln und erhellten malerisch das grüne Gewölbe, eine Welt für sich, ein Stück Morgenland. Aber unter den Bäumen ging es urgermanisch zu.

Als die Gefeierten beim Kurhaus anlangten, drängte alles auf die Straße, und wer nicht mehr hinaus konnte, stieg auf den Tisch, und jedermann ließ sein Taschentuch flattern und schrie: „Hoch, unser Richter hoch!“ Im Garten war ein ähnliches Gedränge und die Begrüßung der Ehrengäste ebenso herzlich, nur stieg man nicht auf die Tische. Die große Wandelhalle mit ihren Gewinden aus Blumen und Tannenreis, ihren Fahnen, Bändern und Teppichen glich einem strahlenden, prachtvollen Lustgarten. Die schön gedeckten Tafeln, die festlich gekleideten Damen und Herren, die Musik – jeder Hohenwarter konnte wie die Obsthändlerin sagen: die Haupt- und Residenzstadt soll uns das nachmachen!

Nach dem ersten Gang erhob sich der Bürgermeister zur ersten Rede. Excellenz Imhof hatte es zur Bedingung seines Erscheinens gemacht, daß er als bescheidener Fremdling nur beim Nachtisch einige Worte sprechen müsse. Herr Zappel also erhob sich und begann:

„Verehrter Herr Stadtrichter! Es sind fünfzehn Jahre, daß die Angesessenen Hohenwarts Sie kennen. In dieser langen Zeit verging sicherlich kein Tag, an dem nicht Hunderte von uns Ihrer gedachten. Entweder man begegnete Ihnen, und Ihr gutes ehrliches Gesicht zu sehen war allein schon eine Freude. Oder es hatte einer einen Rechtshandel, dann sagte er sich: Unrecht kann mir nicht geschehen, denn mein Richter ist ‚unser Richter‘. Oder man sah zur Burg hinauf, und da fiel einem natürlich auch das Amtsgericht ein und Sie als der erste Mann beim Zeug’l. Oder man dachte an den andern Schloßflügel und wiederum an Sie erst als musterhaften Junggesellen und Einsiedler,

im letzten Drittel Ihres hiesigen Aufenthalts als ebenso

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_551.jpg&oldid=- (Version vom 6.8.2023)