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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

aus den Händen gleiten ließ und sich weit vorneigte. Jemand hatte zum Fenster heraufgegrüßt, die Mädchen dankten holdselig.

„Der Hermannsthaler!“ rief Dora. „Er sieht ja gar nicht anders aus als sonst!“

„Nun, wenn die Schwarze echt ist, so wird sie nicht abfärben,“ meinte Flora. „Sei versichert, das Geschöpf sitzt bereits in Hermannsthal, auf dem neuen weinrothen Sofa, von dessen Ueberzug der Meter zwanzig Mark kostet. Das mag ein recht harmonisches Bild sein, Schwarz und Roth gehen ausgezeichnet zusammen.“

Bis hierher hatte Sophie schweigend ihre Kreidestriche gezogen, ihre festen, sichern Schnitte mit der großen Schneiderschere gethan. Jetzt fuhr sie von der Arbeit empor und erklärte mit bestimmtem Tone: „Laßt nun endlich einmal den Doktor in Ruhe mit Euren thörichten Vermuthungen. Ich freue mich über seine Rückkehr, denn nun wird es sich bald genug zeigen, daß an der ganzen albernen Klatschgeschichte kein wahres Wort ist.“

Damit räumte sie ruhig ihre Arbeit zusammen und verließ das Zimmer. Sie war fest entschlossen, Claudius bei nächster Gelegenheit über den Stadtklatsch aufs genaueste zu unterrichten. Er sollte Feind und Freund kennenlernen, sollte der Verleumdung offen entgegentreten können! – –

Indessen schlenderte Claudius ruhig weiter, nicht ahnend, daß sein Erscheinen die Kriegsfackel in dem polizeiräthlichen Hause entzündet hatte. Seit zwei Tagen war er wieder daheim. Vor ihm hatte der Frühling seinen Einzug in Hermannsthal gehalten, ein Frühling, welcher dem Fabrikherrn farbloser erschien als irgend ein früherer, den er aber – das gestand er sich selbst – schöner als alle vorangegangenen gefunden haben würde, wenn seine Reise nach dem Glück von Erfolg gekrönt gewesen wäre, wenn sie, die Erträumte, als frühlingsfrische Wirklichkeit neben ihm auf den umgrünten Pfaden hingeschritten wäre.

Gerlach hatte das Schlußkapitel des Romans vernommen und gar nicht übel gefunden. „Es ist ungewöhnlicher als das beliebte Ende mit Hochzeitsglockenklang,“ sagte er. „Hoffentlich verdrießt es Sie nicht gar zu sehr, nun bis auf weiteres so nach alter, unromantischer Art mit mir auf der Drachenburg fortwirthschaften zu müssen?“

„Sicherlich nicht, liebster Gerlach. Sie sind ein Lebensgefährte, mit dem sich’s trefflich hausen läßt. Und ich denke auch:

‚Alles kommt
Wie’s uns frommt!‘“

So lagen die Dinge, als eines Morgens in Hermannsthal ein dicker Brief aus der Hauptstadt eintraf, der auf der Rückseite ein breit aufgedrücktes freiherrliches Wappen zeigte. Clandius öffnete ihn nicht ohne innere Antheilnahme, denn er vermuthete sofort, daß der Brief von Lieutenant Grollmann herrühre; es mußten wohl nähere Nachrichten über das Glück des jungen Paares darin enthalten sein, und doch wollte sich im Hintergrund seiner Seele etwas wie Gleichgültigkeit regen. Was konnte man ihm von Berlin, was von irgend einem Orte auf der ganzen weiten Welt für sein eigenes Herz zu sagen haben?

Herr Walter schrieb erstaunlich viel und recht freundschaftlich.

 „Lieber Herr Kamerad!
Was Sie denken werden, wenn Sie diesen Brief empfangen, ist nicht! Die Schwiegermama in spe ließ sich noch nicht breitschlagen, obschon ich’s gleich nach Ihrer Abreise versuchte. Sie will ihre Jüngste und Letzte nicht so schnell hergeben; sie hat eben keinen Schimmer davon, wie kolossal mich das Junggesellenleben anödet und wie riesig ich Else liebe. Sie meint, ich möge im Herbst ’mal wieder nachfragen. Aus dieser Rücksichtslosigkeit ersehe ich aber, daß sie doch noch ’mal meine Schwiegermutter wird und alles andere nur äußerlich ist. Darauf hin wird die Festung ununterbrochen weiterbombardiert, bis sie sich ergiebt oder – fällt. So, das wären meine Angelegenheiten; nun kommen die Ihrigen. Sie meinen, die gingen mich nichts an? Nur langsam, Herr Kamerad! Es handelt sich nämlich um die Geschichte der Kamerunerin. Ich erfuhr die Sache auch erst an jenem letzten Abend in Wiesbaden. Else vertraute sie mir an, da sie sich Ihnen gegenüber einigermaßen schuldig fühlte und meine Ansicht darüber hören wollte. Else hat Ihnen nämlich nicht die ganze Wahrheit gesagt, lieber Doktor, sie hat – ja, ich merke, ich muß Ihnen die Geschichte hübsch von Anfang an erzählen. Also: meine Else hat in Berlin einen Onkel, einen Gelehrten. Dieser Onkel hat einen Freund, so ein Stück Ahasver, der die ganze Welt bereist und in den letzten Jahren mehrere Bücher darüber geschrieben hat, welche in Berlin gedruckt werden. ‚Ahasver‘ besuchte die Hauptstadt schon früher mit möglichster Regelmäßigkeit; gegenwärtig thut er es, um sich mit seinen Verlegern bequemer zanken zu können. Allemal brachte er sein mutterloses Töchterlein mit, und so kam es, daß die kleine Martina mit meiner Else, welche sich einige Jahre hindurch in einer hauptstädtischen Erziehungsanstalt befand und natürlich häufiger Gast beim ‚Onkel Professor‘ war, schon in früher Jugend Freundschaft schloß. Die innigen Beziehungen zwischen den Mädchen lockerten sich auch in späteren Jahren und während längerer Trennungen nicht. Seit Else erwachsen und nach Hirschberg in ihr Elternhaus zurückgekehrt ist, sucht sie es immer einzurichten, daß ihre Anwesenheit in Berlin mit derjenigen Ahasvers zusammenfällt.

So, Herr Kamerad, nun sind Sie über die Vorgeschichte unterrichtet und ich komme zu dem Punkte, wo Ihre Person auf den Schauplatz tritt. Das war Ende vorigen Jahres. Schwarz und Blond hatten sich da auch wieder einmal in Berlin zusammengefunden. Der Zufall wollte, daß eine gewisse Zeitung in die Hände der Mädchen gelangte, daß ein gewisses Inserat von ihnen darin entdeckt wurde und – daß Ahasvers Tochter sich leidenschaftlich darüber empörte! Schwarz und Blond beschließen also, dem Einsender des Inserats ihre Meinung zu sagen. Else sieht in der Sache einen Scherz, Martina nimmt sie ernster. Der Brief, welchen sie nun zusammenbraut, ‚gilt nicht nur dem Einen, er ist im Grunde an den Zeitgeist gerichtet, an diesen schrecklichen Gesellen, welcher die Welt so nüchtern gemacht hat und die Männer lehrte, das weibliche Geschlecht durch eine die Wahrheit entstellende, Verstand und Gefühl irreleitende Brille anzuschauen‘ (wörtliche Ueberlieferung, nach Else!).

Nun waren in einem Papierladen gerade allerlei neue Glückwunschkarten ausgestellt, von denen sich Schwarz und Blond einen kleinen Vorrath mitnehmen wollten; beim Auswählen und Beschauen bemerkte Martina das Bildchen mit der Kamerunerin. Das war etwas für Herrn Freimuth aus Grützburg! Sie gedachte ihm den Rath zu geben, behufs Erfüllung seines Ideals bei Damen dieser Art nachzufragen. Das grell kolorierte Bild sollte, um wie ein dem wirklichen Leben entnommenes Porträt zu erscheinen, photographiert und die Photographie sodann dem Schreiben beigefügt werden. So geschah es. Else übernahm die Beförderung von Hirschberg aus. Ueber Hirschberg ging dann auch der weitere Briefverkehr, welcher übrigens nach Elsens Dafürhalten viel zu früh und zu jäh abgebrochen wurde. Martina blieb aber trotz aller Gegenvorstellungen dabei, sie und Herr Freimuth seien fertig miteinander. ‚Ein weiteres Ausspinnen der Angelegenheit würde dieser ihren Witz und mir eine freundliche Erinnerung rauben,‘ schrieb sie der Freundin in ihrer bestimmten Art. ‚Ich rechne also auf Deine unverbrüchliche Verschwiegenheit gegen jedermann – Deinen Walter ausgenommen, wenn ihm gegenüber eine Ausnahme nöthig werden sollte. Und vergiß es nicht: ein Treubruch wäre gleichzeitig ein Freundschaftsbruch zwischen uns.‘ Abermals wörtliche Ueberlieferung, Herr Kamerad! Sie werden nun begreifen, warum meine Else damals im Kurgarten nicht Farbe bekannte; warum sie heute noch sagt: ‚Ich darf mein Wort nicht brechen, darf Martinas Vertrauen nicht mißbrauchen.‘ Bon, liebes Kind, dachte ich, die Sache geht ganz von alleine. Mir hat niemand ein Schloß vor den Mund gelegt. Ich halte es daher für meine Pflicht: ad 1, Ihnen, lieber Doktor, den wir alle so lieb gewonnen haben, dem ich von wegen meiner schauderhaften Rauhbeinigkeit zu Anfang unserer Bekanntschaft noch einige Genugthuung zu schulden glaube, nach Kräften zu dienen; ad 2, meiner kleinen Else von ihren Gewissensbissen zu helfen; ad 3, auch der guten Martina insgeheim einen Gefallen zu thun, da sie mir unter jene Naturen zu gehören scheint, welche zu ihrem Glücke gezwungen werden müssen.

Sie sehen mir nicht aus, als ob Ihre Bekanntschaft einem braven Mädel zum Schaden gereichen könnte, Doktor, deshalb lege ich Martinas Adresse vertrauensvoll in Ihre Hände.

So, Herr Kamerad! Nun gestatten Sie vielleicht, daß ich den Schreibkrampf gekriegt habe. Ein ganzer Sonntagnachmittag ist hin und dies der umfangreichste Brief meines Lebens. Möchte meine Selbstverleugnung Ihnen und Ihrer alten Drachenburg zum Heile gereichen!
  Ihr
aufrichtiger Kamerad  
 Walter Grollmann.“      

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_576.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2023)