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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Zu meinem Bedauern nein, Hoheit.“

„Der Dichter, von dem Mädchen hingerissen, erfährt, daß sie Braut sei. Wie kommt er nun darüber hinweg? Hören Sie!“ Er las:

„‚… indem ich sie als Braut, als künftige Gattin ansah, erhob sie sich vor meinen Augen aus dem trivialen Mädchenzustande, und indem ich ihr nun eben dieselbe Neigung, aber in einem höhern, uneigennützigen Begriff zuwendete, so war ich, als einer, der ohnehin nicht mehr einem leichtsinnigen Jüngling glich, gar bald gegen sie in dem freundlichsten Behagen.‘ Wie finden Sie das?“

„Wenn man dem Dichter glauben darf –“

„Sie unverbesserlicher, ‚leichtsinniger Jüngling‘ –“ Die Standuhr schlug acht. Der Prinz klappte das Buch zu und legte es auf den Tisch zurück. „Schon acht,“ rief er. „Auf unsere Posten, lieber Falkenberg! Ja, ja, ‚die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende!‘“ – –

Der Vortrag Seiner Excellenz hatte lange gedauert. Als der Minister seine Schriftstücke langsam und zögernd in die Mappe schob, fuhr sich Rüdiger über die gefurchte Stirn.

„Sie haben noch etwas auf dem Herzen?“ fragte er den Zaudernden.

„Eine persönliche Bitte, Hoheit.“

„Einem vorsichtigen Staatsmanne, einem redlichen Beamten wie Ihnen kann man sie im voraus gewähren.“

„Die Gemahlin des Stadtrichters Vitus Müller bittet heute um gnädiges Gehör.“

„Müller? Stadtrichter Müller? Mir unbekannt.“

„Bisher Amtsrichter in Hohenwart.“ Der Prinz horchte auf. „Seine Gemahlin ist die Mutter meiner zukünftigen Schwiegertochter, der Baronesse Gatterburg.“

„Ah, jetzt weiß ich – will sie nicht in die Residenz?“

„Sie kommt, um für ihren Mann die Nachsicht und Gnade Eurer Hoheit zu erbitten. Es handelt sich um die Unterschlagung amtlicher Gelder.“

Der Prinz fuhr empor. „Unterschlagung amtlicher Gelder? Ich bin für die Dame nicht zu sprechen, Herr von Imhof!“

„Hoheit, ich drückte mich nicht glücklich, nicht einmal genau aus. Allerdings hat sich Richter Müller eines Amtsvergehens schuldig gemacht, doch wie das Schicksal ihm zugleich widrig und hold gewesen, und wie er selbst dann die entscheidende Wendung herbeigeführt, um seine Schuld zu sühnen, das verdient die Theilnahme Eurer Hoheit.“

Der Prinz sah Imhof ungläubig an.

„Nicht weil auch das Glück meines Sohnes von dem Entschlusse Eurer Hoheit abhängt, spreche ich für den Richter,“ fuhr der Minister mit Wärme fort, „sondern weil ich den Unglücklichen trotz seines Vergehens für einen redlichen Mann halte!“

„Ein unredlicher Redlicher! Sie spannen meine Neugier. Ich kann den Fall ja auch von Ihnen hören!“

Imhof bewies sich brav in dieser schwierigen Lage.

„Hoheit!“ entgegnete er, „die Dame hat mich gebeten, ihre Sache selbst führen zu dürfen.“

„Ich bin nicht bestechlich. Wenn der Richter geurtheilt hat, darf der Fürst begnadigen. Frau Müller wendet sich zu früh an mich.“

„Auch ich habe das erwogen und glaube als Eurer Hoheit getreuster Rath den Eingriff in den gewohnten Rechtsgang verantworten zu können. Wird Müller bestraft, so ist er als Beamter unmöglich. Eure Hoheit, der Richter ist vielleicht kein glänzender Verstand, aber eine große sittliche Kraft. Geistreiche Arbeiter haben wir die Fülle, allein in einer Zeit wie die unsrige thun ganze und feste Männer noth. Vitus Müller war vor einer Entdeckung seiner Schuld, vor einer Verurtheilung sicher, er hat sich als sein eigener Ankläger bei mir gestellt aus freiem Antrieb, aus lebendigem Rechtsgefühl! Hoheit, dieser Mann muß dem Staate erhalten bleiben!“

Nach einer Pause sagte der Prinz: „Sei’s denn, ich werde Ihren Schützling empfangen, aber ich verspreche nichts. Sie haben mich nicht überzeugt. – Ist Frau Müller schon in der Residenz?“

„Vorläufig hält sie sich bei meiner Schwägerin auf. In begreiflicher Angst erwartet sie dero gnädigste Entscheidung.“

„Nun, den Eindruck einer furchtsamen, überfein empfindenden Natur hat sie nicht auf mich gemacht.“

„Ihres Mannes Ehre, ihres Kindes Lebensglück stehen auf dem Spiel, das erschüttert auch ein starkes Herz. Ich will nicht sagen, daß sie fein empfindet, wie denn überhaupt an Bildung, Schliff und vornehmer Haltung unendlich viele Frauen sie übertreffen werden. Aber wo es sich um Großes handelt, hat sie ein starkes Empfinden und Thatkraft. Damit werden Wunder verrichtet.“

Die Miene des Prinzen heiterte sich auf. „Gestehen Sie, mein Freund: als Sie sich ein Urtheil über die Frau bildeten, sprachen doch auch Ihre Augen mit?“

In das vertrocknete Gesicht Imhofs kam Gluth und Ausdruck. „Hoheit, die Dame ist Mutter einer Braut, zum zweiten Male Frau, trotzdem gilt sie unbestritten noch für eine Schönheit. Solche Lebenskraft verleihen nur die Götter! – Um mich angemessener auszudrücken,“ setzte er hinzu, über seinen Schwung noch tiefer erröthend, „dieser glückliche Widerstand gegen die Wirkungen der Jahre setzt Herzensgüte und edle Heiterkeit voraus.“

„Oder ein ziemliches Maß Selbstsucht,“ fiel der andere ein. „Wie Sie wissen, ist gerade heute meine Zeit beschränkt. Jetzt erwarte ich meinen Hofstab, mittags bezieht mein Regiment zum ersten Male die Hauptwache und auf Befehl meines Vaters marschiert die Compagnie hier vorüber, dann –“ Er trat an den Schreibtisch, schob den Band Goethe beiseite und überflog ein Blatt mit Aufzeichnungen. „Die Geschäftsträger – die Behörden – anderseits haben Sie recht: Ungewißheit, wenn es sich um Glück und Ehre handelt, ist auch für ein starkes Herz eine Folter. Grausam bin ich nicht. Sei’s denn! Ich erwarte Sie mit Ihrem Schützling um zwölf Uhr.“

Der Minister verneigte sich dankend; der Fürst sah ihn spöttisch an. „Sie haben mich nicht zu Gunsten der Betheiligten gestimmt. Sie verriethen zu viel und zu wenig. Anstatt mich zu überraschen, ließen Sie mir Zeit, zu überlegen.“

„Hoheit, bin ich deshalb zu schelten oder zu loben?“

„Je nachdem. Jedenfalls bitte ich Sie, der Dame schlichtweg Auskunft zu geben, keinen Trost!“

*  *  *

Aus der Mittelthür des fürstlichen Arbeitszimmers trat man in den sogenannten schwarzen Saal. Die Fliesen waren von dunklem Marmor, die Wände mit buntgewebten Teppichen und mit Schnitzwerk bekleidet; die Decke bildete ein Meisterwerk eingelegter Arbeit. Das Holz war dunkel geworden, Färbung und Vergoldung verblaßt, doch wenn Hunderte von Kerzen in den Kronleuchtern brannten, machte der Saal noch immer einen festlichen, warmen Eindruck. Drei Pfeilerbogen führten nach vorn in den heiter gehaltenen Vorraum, sie entsprachen den hochgewölbten Fenstern des letzteren, die nach Osten, auf den Schloßplatz gingen. Am Tage erhielt der schwarze Saal einzig von dorther sein Licht; dann lag er im Halbdunkel, in düsterer Pracht und verdiente seinen Namen.

Die Thürflügel des Arbeitszimmers standen offen. Wenn der Prinz, der dort auf und ab schritt, an diesem Rahmen vorüberkam, konnte er jenseit des schwarzen Saals im Mittelfenster die silbern zerstäubende Wassersäule des Springbrunnens sehen. – Das unerwartete Nachspiel, das sich heute früh an den ersten Vortrag des Ministers geknüpft hatte, beunruhigte den Prinzen nachhaltig. Er war kein weiches Gemüth, dennoch hatte die Vorstellung, das fürstliche Amt mit dem schönsten Vorrechte des Herrschees zu beginnen, auch für ihn ihren Reiz.

Aber muß nicht ein Fürst mit seinem Vorrechte sparsam sein? Und beginnt man klugerweise mit dem, was man sparen soll? Ist es fürstlich, den Unterthan gegen den Ausspruch des Gesetzes in Schutz zu nehmen?

Er hielt inmitten des Zimmers inne und verschränkte die Arme, in Nachsinnen verloren. „Nein,“ sprach er dann plötzlich leise vor sich hin, „Recht geht vor Gnade.“

Ein gedämpfter Tritt im schwarzen Saal ließ den Prinzen aufschauen. Sein Kammerdiener näherte sich. Zwischen beiden bestand Fühlung ohne Worte. Ebenso sachte, wie er gekommen war, begab sich der Diener an seinen Standort zurück, und alsbald erschienen im Eingangssaal, für den Prinzen wie auf einer beleuchteten Bühne, Excellenz Imhof, der Adjutant und eine Dame. Alle drei hielten sekundenlang in der mittleren Pfeilerweite, dann begaben sie sich in den Schatten des schwarzen Saals. Dort

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