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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Feier dieses Tages ist für jeden Eidgenossen klar und selbstverständlich. Sie ist, wie keine andere in unserem Lande, eine allgemeine nationale Feier, an welcher alle Völkerschaften der Schweiz ohne Unterschied der Sprache und Konfession, alle Glieder der Eidgenossenschaft gleich betheiligt sind. Es war den Eidgenossen noch nie vergönnt, diese Gedenkfeier zu begehen. So oft der säkulare Tag in den letzten Jahrhunderten wiederkehrte, waren widrige Zeitverhältnisse da, welche eine solche gemeinsame Feier unmöglich machten. Das Jahr 1891 aber traf die Eidgenossen in einer Lage an, die es ihnen gestattete, in der Erinnerung an das Jahr 1291 dem Besitz der Unabhängigkeit ein würdiges Bundesfest zu weihen.“

Am Vortag der Feier, an welchem die Ehrengäste – die höchsten schweizerischen Behörden sammt den diplomatischen Vertretern des Auslandes in Bern und den Abordnungen aller Kantone – an welchem Hunderte von andern Theilnehmern eintreffen sollten, da lag die Ahnung eines Regentages über der ganzen Landschaft. Auch nicht ein einziger Sonnenblick fiel in die Thalmulde, in welcher Schwyz eingebettet ist. Gedrückt war daher die Stimmung der Einwohner, welche Art und Unart des Wetters kennen und bange waren um das Gelingen des Festes, auf dessen Vorbereitung sie so manchen Monat verwendet hatten. Gegen Mittag stellte sich der Regen ein, und als am Spätnachmittag die Gäste anlangten, goß es in Strömen; der Regen dauerte ungeschwächt fort, als abends acht Uhr in allen Kirchen des Thales Schwyz der kommende Tag feierlich eingeläutet wurde.

Der Festzug auf dem Marktplatz in Schwyz.

In der Frühe des 1. August verkündeten Geschützsalven den Beginn des Festes. Um halb acht Uhr versammelten sich die Abordnungen der eidgenössischen und kantonalen Behörden im altehrwürdigen, geschmückten Rathhaus, und eine Stunde später bewegte sich der lange Zug der Ehrengäste zum Gottesdienst. Nach alter Sitte waren die Mitglieder der vierundzwanzig Kantonsregierungen von ihren Weibeln begleitet, welche bei solch feierlichen Anlässen weite Mäntel in den Farben des Kantons, Bogenhut und Amtsstab tragen und von den Landleuten und der neugierigen Jugend unendlich mehr bewundert werden als die Landesväter in Frack und Zylinderhut. Nach der Kirche ging der Zug auf den Festplatz, eine weitausgedehnte Wiese an sanft ansteigender Halde, mit einer entzückenden Aussicht auf das Thal gen Brunnen, auf ein Stück See und auf den ernsten Rahmen der Berge. Die Festhalle befand sich auf dem höchsten Punkt; am untern Rand des Platzes erhob sich das stolze Proscenium der Bühne für das Festspiel. Selbst in der an Naturschönheiten überreichen Schweiz giebt es in der Nähe von Ortschaften wenige Stellen, wo einer solchen Feier eine solche Stätte hätte bereitet werden können.

In dieser jetzt vom Regen aufgeweichten Wiese stellte sich der Zug rings um die Rednerbühne auf. In den vordersten Reihen standen die Diplomaten, neben ihnen die Bundesträthe, die an ihren weißen Federbüschen weithin erkennbaren eidgenössischen Obersten mit General Herzog, die Vertreter der höchsten Justizbehörden und der akademischen Unterrichtsanstalten; Reihe an Reihe folgten die übrigen Theilnehmer, im weiten Umkreis das Volk. Vor dieser Menge, angesichts des weiten Geländes, entbot als Vertreter von Kanton und Stadt Schwyz Ständerath Reichlin allen seinen gastlichen Gruß, welcher sofort vom Bundespräsidenten Welti erwidert wurde. Mit treffenden Worten zeichnete Welti die Bedeutung des Festes, die Umwandlung der politischen und socialen Verhältnisse seit den Anfängen des Schweizerbundes bis auf den heutigen Tag, die Anforderungen, die im Lauf der Jahrhunderte an die Schweizer gestellt wurden, und diejenigen, welche ihnen die Neuzeit stellt. „Aus der Vergangenheit,“ schloß er „schöpfen wir die Kraft zum Vollbringen, zur gemeinsamen Lösung der Aufgaben der Gegenwart. Legen wir heute alle, Männer und Jünglinge, Frauen und Töchter, die Hände ineinander zur Gelobung des neuen Bundes und treten wir ernsten Sinnes, aber mit Zuversicht in ein neues Jahrhundert des Schweizerbundes!“

Damit war das Fest eröffnet, es folgte ein kurzes Mittagsmahl in der geräumigen Festhalle, welche 6000 bis 7000 Personen fassen konnte. Gegen ein Uhr füllten sich die 10 000 Sitzplätze auf dem gegen die Festspielbühne abfallenden Wiesenplan; dank

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_587.jpg&oldid=- (Version vom 16.9.2023)