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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

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Das Los des Schönen.

Erzählung aus dem achtzehnten Jahrhundert.0 Von Stefanie Keyser.0 Mit Abbildungen von René Reinicke.

Die Dämmerstunde ist gekommen. Feierabend gebieten das Glöckchen und die eintretende Dunkelheit. Allmählich hüllt sich der ehrwürdige Hausrath, unter dem kein Stück ist, das nicht von einer Familienerinnerung umrankt würde, in graue Schleier. Nur zuweilen schimmert noch einmal ein Bronzebeschlag mit seiner verschobenen Rokokomuschel auf. Kein Laut ist zu vernehmen als das einförmige Ticken der alten Uhr, die mir die Zeit ebenso gelassen zumißt wie einst meinen Urgroßeltern.

Nun steigt der Mond gemachsam über den Dächern empor. Er lugt zwischen den Fensterbehängen durch; ein blauer Strahl fällt bis in die Tiefe des Zimmers und haftet dort, als deute ein lichter Geisterfinger auf den kleinen Krimskrams, der im verschnörkelten Glasschränkchen aufbewahrt wird.

Ueber abgeblaßten Nadelkissen, deren aufgesticktes „Pensez à moi!“ vergeblich an längst Vergessenes mahnt, über Bonbonnièren mit schnäbelnden Täubchen breitet sich ein Fächer aus von der zierlichen Form, wie sie die Damen des achtzehnten Jahrhunderts liebten. Aber kein gepudertes Schäferpaar, auf Seide gemalt, schmückt ihn. Die feinen braunen Holzstäbchen überzieht schlichtes grünes Papier, und vergilbte Schriftzüge bedecken dasselbe. Der Fächer ist eine Art Stammbuch aus der guten alten Zeit.

Und wie der Mondstrahl ihn erhellt, ist es, als würden die verblichenen Buchstaben wieder frisch und lebendig. Ich vermag die Worte zu lesen. Ach, nun verstehe ich den alten Schäker; er zeigt mir das Lied, das ihn feiert wie kein anderes unter den unzähligen, die auf ihn gedichtet worden sind: „Guter Mond, du gehst so stille.“

Aber nein! Die Strophe, auf welcher der Geisterfinger am leuchtendsten ruht, ist mir unbekannt.

„Schaust in meiner Lida Kammer,
Wo ihr Liebe, Furcht und Jammer
Am gepreßten Herzen nagt.
Send’ ihr mit der Morgenröthe,
Vor dem frommen Frühgebete,
Ein erquickend Traumgesicht.
Sag’ ihr, daß ihr Heinrich lebet
Und vergißt sein Mädchen nicht.“

Jetzt weiß ich, was er mir sagen will, der Allerweltsliebesbote. Alte Erzählungen wachen in meiner Erinnerung auf, längst zur Ruhe Eingegangene erheben sich verklungene Stimmen reden wieder.

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Der Fächer hat die Tage seines Glanzes an einer Stätte verlebt, die nach den Begriffen jener Zeit weit von dem Ort gelegen ist, wo er nach länger als einem Jahrhundert zur Ruhe kam.

Seine Glanzzeit spielte in einem ehemaligen herzoglichen Schloß, das um seiner schlichten Bauart und Einrichtung willen zum Amtshaus herabgesetzt worden war. Ein Justizamtmann hauste darin mit seinem ganzen Anhang: dem studierten Sekretarius, dem Schreiber, Gefangenenmeister und dem „Steckenknecht“.

In einem früheren Bankettsaal saß der Herr Justizamtmann auf erhöhtem Stuhl mit schicklich gekreuzten Beinen, den rothen Mantel, das Zeichen seiner Würde, umgeschlagen, und hielt Gericht über Missethäter, sprach das Urthel zwischen streitigen Parteien und ließ unnützen Herumstreichern auf der Bank im Hof wohlverdiente Plätzer aufzählen. Ihm war der herzogliche Landestheil untergeben, soweit sein Blick nach drei Seiten von dem alten grauen, noch mit tiefen Wassergräben umzogenen Steinhause schauen konnte.

Nur gen Abend sah er in fremdes Gebiet hinein. Die Mauern und Thürme einer kleinen Grenzfestung des benachbarten Landgrafenthums schlossen am Horizont die Aussicht ab.

Aber so respektvoll seine Bauern mit den Füßen ausscharrten, wenn sie ihm begegneten, so demüthig die Bürger des kleinen Amtsstädtchens Kappen und Hüte vor ihm zogen – es trug doch kein armer Teufel Bedenken, über die hohe Schwelle des Gerichtssaales zu schreiten, um sich eines Rathes zu erholen.

„Wie der Herr, so das Gescherr“ sagt ein Sprichwort dort zu Land. Und der Herr war eine Herrin, die als Vormünderin ihres Sohnes mild, wenn auch fest die Zügel des Herzogthums führte.

Wer nun vollends einen Blick in die Amtswohnung gethan hatte, der dachte nicht daran, daß es Galgen und Rad in der Welt gebe. Da regierte die stattliche Frau Amtmännin, eine Superintendententochter, übte gegen die Honoratioren des Städtchens und der Umgegend freigebige Gastfreundschaft und ließ denen, die auf der Gerichtsbank im Hof etwas „Warmes“ bekommen hatten, ebenfalls etwas Warmes in einer Schüssel verabreichen, auf daß in ihrem Haus die Barmherzigkeit so wenig wie die Gerechtigkeit zu kurz käme.

Und wem das Herz bei der feinen und doch wirthlichen Hausfrau ungerührt blieb, dem that es sich gewiß auf, wenn er die beiden Töchter sah, wie sie jung, blühend, lächelnd dem Leben entgegengingen, immer so harmlos fröhlich, so innig Arm in Arm, wie sie jetzt an einem schönen Frühlingstage in den ehemaligen Schloßgarten hinauswandelten. Sie freuten sich über alles: über die goldene Sonne, über die in den Stachelbeerbüschen summenden Bienen und die grünen Blattspitzen der Narzissen und Maiblumen, welche wie neugierige Ohren aus der feuchten dunklen Erde der schnurgeraden Rabatten aufstiegen.

Heute war es jedoch kein müßiger Spaziergang, den sie auf den von Buchsbaum eingefaßten Kieswegen unternahmen; sie wollten häuslich thätig sein. Lotte, die Aelteste, hatte einen Korb am Arm und ein blankes Messer in der hübschen runden Hand, sie gedachte Spargel zu stechen. Die Jüngere trug einen Glaskrug mit fest schließendem Deckel. Sie hatte sich vorgenommen, einen „Potpourri“ anzulegen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 605. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_605.jpg&oldid=- (Version vom 20.9.2023)