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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

viele von denen, die mir, wenn ich heute sterbe, einen Kranz von Frühlingsblumen stiften und mir in ehrlicher Trauer das Geleit zur Pyramide des Cestius geben, werden nach einem Jahr noch mehr von mir wissen als den Namen? Ein lustiger Gesell, ein flotter Kumpan, kein Spielverderber – das ersetzt sich leicht! Ja, wenn ich wenigstens in meinen Werken fortleben würde! – Ich hab’ mich noch nie überwinden können,“ fuhr er nach einer kurzen Pause fort, „Dich zu fragen, weil ich Deine Antwort scheute, indessen heute – – Glaubst Du, Andree, daß ich jemals ein bedeutender Bildhauer sein, mir einen Namen machen werde?“

Andree rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. „Wie kannst Du nur so fragen? Du weißt doch, wie sehr ich Deine Begabung schätze. Aber laß jetzt solche Gespräche, Du brauchst vor allem Ruhe.“

„Nein, lieber Freund, ich bitte Dich, daß Du meine Frage ernsthaft, gründlich beantwortest, ich werde keine Ruhe haben, bevor Du das gethan hast, und ich verlange von Dir, wenn Du mich wirklich liebst, daß Du mir die Wahrheit sagst, die volle, rückhaltlose Wahrheit – hörst Du?“

Andree blickte mit ernster Sorge auf den jungen Freund, dessen Augen verlangend auf ihn gerichtet waren.

„Du bist sehr gut beanlagt, lieber Troost,“ sagte er endlich, „Du hast ein blühendes Talent! Dir keimen die reizvollen Ideen leicht auf, und Dir fehlt nicht die glückliche Hand, sie zu verwirklichen. Was Deinen Werken – in meinen Augen wenigstens – noch abgeht, das ist eine gewisse Strenge, welche die Kunst, Deine Kunst zumal, nicht entbehren darf. Es ist mir zu viel zierliche Anmuth in Deinen Arbeiten, zu viel leichtes Spiel! Ich will mir das gewiß nicht hinwegwünschen, denn es gehört zu Deinem ganzen Wesen, ist ein Theil Deiner Eigenart, und das, was Du jetzt schaffst, wird immer willige Käufer finden, immer den Beifall des Publikums haben.“

„Du weißt, daß es das nicht ist, was ich will,“ unterbrach ihn Werner mit fieberischer Lebhaftigkeit. „Vor allem will ich ein echter Künstler sein. Du hast recht in jedem Wort, das Du mir sagtest, ich fühl’ es ja selbst. Bis jetzt hab’ ich mir erst in einem einzigen Werk Genüge gethan – da hat es aber die Sache gewollt! – in einem Werk, das bis heute niemand zu sehen bekommen hat. Du sollst es jetzt sehen und urtheilen! Was etwa daran noch zu vollenden ist, das sind unbedeutende Nebendinge, nicht der Rede werth, im großen und ganzen ist’s fertig.“

„Das verschleierte Bild zu Sais, an dem Du immer bei verschlossenen Thüren gearbeitet hast? Das Du stets sorgsam in Deine Geräthkammer trugst, ehe Du irgend einen Besuch zu Dir hereinließest?“

„Ja, das! Hast Du eine Ahnung davon, was es vorstellen könnte?“

Andree lächelte.

„Nun, mein Sohn, das ist nicht so schwer. Wer täglich mit Dir zusammenkam, wie ich, wer nicht ganz auf den Kopf gefallen war und Dein ganzes Wesen, Deine oft sehr durchsichtigen Anspielungen beachtete, den raschen Wechsel von weicher Träumerei und glühender Thatkraft, das glückselige Augenspiel heute und den schwärmerischen Sehnsuchtsblick morgen – der konnte keine Minute lang im Zweifel sein, daß eine große Liebe Deinem ganzen Wesen die Richtung giebt.“

„Hol’ es jetzt, hol’ es, ich bitte Dich!“ Troost ließ seinen Freund nicht ausreden, seine dunkeln Augen schwammen in feuchtem Glanz, eine fliegende Röthe tauchte sein ganzes Gesicht in plötzliche Gluth. „Du hättest es ohnehin bald erfahren, ich hätte Deinen Rath, vielleicht Deinen Beistand erbeten; jetzt möchte ich noch mehr als das! Man kann nie wissen – – Also in der Geräthkammer rechts steht es; eine Büste! So verdeckt wie sie da ist, bring’ sie herein!“

Andree gehorchte; in die halbdunkle Geräthkammer, wo allerlei altes Gerümpel übereinander gehäuft lag, fielen durch ein paar hoch angebrachte Fensterklappen lustige Sonnenlichter auf die graue Hülle, die in weichen Falten über eine Büste hinfloß und auch deren Sockel noch zur Hälfte verdeckte. Eine schräge Säule von Sonnenstäubchen flimmerte in der schweren abgesperrten Luft, und aus der Ferne war der eintönige Klang einer Kirchenglocke deutlich vernehmbar.

Behutsam hob er die Büste sammt der Hülle herunter; fast schien es, als sei der Kopf lebendig, denn die Decke bewegte sich und wollte herabfallen.

„Bring’ auch den Sockel hierher!“ kommandierte Werner Troost und machte eine Bewegung, wie wenn er sich im Bett aufrichten wollte, um sofort mit einem unmuthigen Kopfschütteln zurückzusinken. „Hier rechts von mir stelle beides hin, daß ich auch gut sehen kann – noch weiter rechts – halt – jetzt halt! Nun rasch die Decke herunter, und komm’ her zu mir.“

Andree gehorchte; mit einem raschen Griff warf er die Hülle beiseite und trat ein paar Schritte rückwärts. So schauten sie beide empor, Werner Troost mit dem glücklichen Blick des Liebenden, sein Freund sprachlos, erstaunt.

Das, was er hier sah, war ein leicht aufwärts gewendetes Mädchenköpfchen, von einer Feinheit der Form, einer Anmuth der Bewegung, einer Leichtigkeit der Wiedergabe, daß man das spröde Material ganz vergaß. War’s nicht, als rege sich leise der entzückende kleine Kopf auf dem feinen Nacken, als öffneten sich die süß geschwellten Lippen, als senkten sich die Lider über die schönen Augen? Welch edle, schlichte Linien, welch unaussprechlich zarte Frauenblüthe – mit einem Wort: welch ein Meisterwerk der Natur und der Kunst!

Andree stand da wie in den Boden gewurzelt, schaute und schaute. In ihm wurde der Maler wach und belebte den weißen Marmor, hauchte zartes Roth auf die Wangen, vergoldete das üppig gewellte Haar, ließ die Augen in tiefem Blau erstrahlen, setzte an die zart abfallenden Schultern die Arme an, baute die ganze schlanke weiße Gestalt auf, daß sie sich leuchtend emporhob, das Haupt der Sonne zugewendet – dem Licht!

Dem Licht! Er drückt die Augen zu, es keimt ein Gedanke in ihm auf, gewinnt Leben – ein glücklicher Gedanke, sein bestes Bild! Das Herz wird ihm groß in der Brust, es klopft in wilden Schlägen, sein Blut strömt rascher, zu seiner ganzen Höhe richtet er sich empor und sein Athem geht beschleunigt aus und ein – Licht!!

„Andree! Ich hab’ Dich lange schweigen lassen, jetzt rede! Du hast Dich hineingesehen – ich will Deine Kritik haben!“

„Kritik!“ Der Maler faßte die schmale Linke, die auf der Bettbecke lag, und preßte sie selbstvergessen in seiner starken Hand, daß es schmerzen mußte. „Die kannst Du mir erlassen! Man kann nicht kritisieren, wenn man bewundern muß.“

Ein strahlendes Lächeln ging über Werners Züge hin, aus denen die vorige Röthe rasch gewichen war – sein Gesicht war ganz entfärbt.

„Du machst mich glücklich – Du machst mich stolz!“ murmelte er abgebrochen. „Ich sagte Dir’s ja – mein bestes Werk, das einzige, in dem ich mir Genüge that bis jetzt!“

Werner Troosts Augen, die unnatürlich klar waren, hafteten auf Andree, aber dieser merkte nichts davon. Seine Blicke hingen wie festgezaubert an der Büste.

„Und das lebt, das athmet wirklich?“ fragte er nach einer Weile halblaut. „Das ist nicht nur Deiner Einbildung entsprungen?“

Der junge Künstler lächelte halb schmerzlich, halb spöttisch.

Du thust mir viel Ehre an, wenn Du meinst, ich sei genial genug, ein solches Gesicht aus meiner Einbildung heraus zu erfinden. Wie oft hab’ ich meinen Meißel verwünscht, daß er mir nicht gehorchen, das nicht schaffen wollte, was die Natur doch schuf, was ich mit dem Auge des Geistes zum Verzweifeln und zum Entzücken deutlich vor mir sah! Sie lebt und ich liebe sie mehr als mein Leben, und sie ist eines reichen Hamburger Senators und Börsenkönigs Tochter – und ich bin nichts als ein kleiner unbekannter Bildhauer und darf nicht eher öffentlich um sie werben, als bis ich ein berühmter Mann geworden bin und ein reicher dazu! Hörst Du, Andree? Auch ein reicher! Denn sie ist das Kronjuwel, das Kleinod der ganzen Familie, sie schwimmt in märchenhaftem Glanz und Luxus, und ihr Vater träumt von einer Fürstenkrone für sie. Die Lorbeeren allein thun es nicht bei den praktischen Hamburger Kaufherren, der Lorbeer ist ja nur grün, und für sie muß er massiv golden sein, sonst lachen sie darüber! Von ihrer Familie ahnt keine Seele (sehr seelenvoll ist sie übrigens nicht, diese Familie!) etwas von unsern Beziehungen. Denn vor einem Jahr und drei Monaten, eh’ ich hierher nach Rom kam, hab’ ich mich mit dem bestrickenden siebzehnjährigen Kinde verlobt, und seither schreiben wir einander auch – das heißt, sie antwortet mir auf meine langen, langen, tollen Episteln, in denen mein ganzes Herz liegt, mein grenzenloses Sehnen,

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