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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Gold bis zum zartesten Lichtgrün übergossen. Fern inblaßgoldenem Duft schwamm Sankt Peters Dom, und hier, dort, überall, wohin das Auge nur blickte, traf es auf die stummen gewaltigen Zeugen einer großen Vergangenheit, die in ernstem Schweigen das Gewimmel der hastigen lärmenden Gegenwart überragte. Wie lenzdurchsonnt war die Luft, wie blau und klar der Himmel! O Rom, einzig schönes, wie schwer für den, der jahrelang in dir gelebt, dich zu verlassen! –

Und doch war Waldemar Andree gern gegangen! All die Leute, mit denen er in Rom verkehrt, hatten es gewußt, daß Werner Troost sein liebster, sein einziger Freund sei. So sah man ihn, wohin er kam, unwillkürlich forschend an, um festzustellen, wie er seinen Kummer trage. Dies machte ihn zornig und ungeduldig. Selbst mit Signora Marchini, die den Verstorbenen auf ihre Weise aufrichtig geliebt hatte, verhandelte er nicht gern. Es blieb in Werners Atelier fürs erste alles so stehen und liegen, wie es war; Andree hatte die Miethe für ein volles Jahr vorausbezahlt und angeordnet, daß nichts angerührt werden solle. Die Witwe hatte ihm geschworen, die Sachen wie ein Heiligthum zu behüten, wenn auch vielleicht nicht immer in eigener Person, da sie möglicherweise zu ihrer verheiratheten Tochter nach Pisa reisen müsse. Nur eine Mappe mit Skizzen und das marmorne Köpfchen von Werner Troosts Braut hatte der Maler mit sich genommen; er wollte in Hamburg den Onkel des Verstorbenen, dessen Namen er nicht einmal kannte, ausfindig zu machen suchen und sich dann mit ihm über den Nachlaß verständigen.

Wie lange er in Hamburg bleiben wollte, wußte er noch nicht. Mit Unbehagen und Bangen dachte er an das, was ihm bevorstand: der Braut seines toten Freundes Mittheilung von ihrem Verlust zu machen. Wahrlich keine leichte Aufgabe! Er konnte einem jungen, glücklich liebenden und ahnungslosen Geschöpf, das vom Leben bisher nur verwöhnt worden war, nicht ohne weiteres in dürren Worten melden, was geschehen war; sie war sicher reizbar und nervös – er mußte sie vorbereiten – aber wie? Ueberdies war es eine heimliche Verlobung gewesen, niemand ahnte etwas davon, er mußte daher suchen, Stella Brühl allein zu sprechen, und das würde sich bei einem ersten und zweiten Begegnen sicher nicht ohne Schwierigkeiten machen lassen!

Andree hatte in Rom gehört, daß einer seiner ehemaligen Münchener Studiengenossen, ein gewisser Hilt, seit ein paar Jahren in Hamburg lebe. Er hatte zwar nie große Zuneigung zu ihm empfunden, wußte auch gar nicht, wie er sich inzwischen entwickelt habe, indessen, da er der einzige Mensch war, dessen sich Andree in der großen, ihm fremden Stadt entsann und den er zur Erreichung seines Ziels in Anspruch nehmen konnte, so hatte er beschlossen, ihn aufzusuchen.

Er sah Hilt im Geist ganz deutlich vor sich, ein schmächtiges Männchen mit dünnem Haar und pfiffigen, unruhigen Aeuglein. Hilt war sehr begabt, arbeitete ungeheuer rasch und verdiente viel Geld, das ihm ebenso schnell, wie es zu ihm kam, wieder unter den Händen zerrann. Als Andree ihn kennenlernte, beschäftigte er sich vorwiegend mit Stillleben, die er mit fabelhafter Naturtreue auf Holz und Leinwand wiedergab. Er dekorierte nach und nach beinah alle Münchener Speisezimmer, sofern sie reichen Leuten angehörten, mit seinen berühmten Frucht- und Thierstücken. Seine Gläubiger, die ihn oft hart bedrängten, pflegte er lachend zu vertrösten: „Nur ruhig! Ich male einen Teller mit Radieschen oder ein paar halbzerbrochene Hummerschalen mit einem umgestürzten Rheinweinglas daneben oder einen Tischtuchzipfel, auf dem ein paar tote Drosseln und eine Hand voll frischer Wachholderbeeren liegen – und aller Jammer hat ein Ende!“ Noch naß, von der Staffelei weg, wanderten diese Sachen zu ihren Käufern, und Hilt steckte sich das Geld, ohne es zu zählen, in die Tasche, dachte nicht daran, seine Gläubiger zu bezahlen, und führte selbst durchaus kein „Stillleben“. Alles in allem war Hilt damals ein unterhaltender, aber grundsatzloser und selbstischer Genußmensch; man nannte ihn wegen seiner großen Zungenfertigkeit „die Klapper“.

Ob „die Klapper“ noch immer den riesenhaften Rembrandthut wie in der Münchener Zeit trug, unter dem seine kleine Gestalt sich ausnahm wie ein wandelnder Pilz?

Indessen trottete die Droschke langsam durch den Regen weiter, und Andree schauerte abermals zusammen und dachte für sich: „Das also wäre Hamburg! Gerade kein vielversprechender Anfang!“

In seinem Innern wunderte er sich, daß er so ruhig war, gar nicht so aus dem Geleise gerissen durch Werner Troosts Tod, wie er es sich gedacht hatte! Andree hatte seine Eltern früh verloren, der Kummer um sie lag weit hinter ihm, so war ihm die Erfahrung fremd, daß nicht die Zeit unmittelbar nach dem Tode eines geliebten Menschen für tiefer empfindende Naturen die schlimmste ist: wir gehen einher wie unter einem schweren Druck, wir sehen uns in der Welt mit einer gewissen Verwunderung um; die Menschen beklagen, bemitleiden uns, und es ist wahr, wir haben einen großen Verlust erlitten, aber wir sind merkwürdig ruhig! Wir warten auf etwas, es ist uns, als müsse nothwendig noch irgend etwas kommen – was es ist, vermögen wir nicht zu sagen, allein wir fühlen es bestimmt, so kann es nicht bleiben! Und es bleibt auch nicht so! Nach dem dumpfen Halbschlaf, in dem unsere Seele gelegen hat, empfinden wir mit einmal eine ungeheure Oede, die Seele ist erwacht und sieht sich allein, und im Sturm und Drang des Lebens hat keiner Zeit, sich um sie zu bekümmern und sich ihren Jammer sagen zu lassen. „Der erste Schmerz ist ja vorüber!“ Und jetzt beginnt das Sehnen, das Zurückblicken auf die Vergangenheit, das leidvolle Erinnern, und der Schmerz schlägt seinen schweren Trauermantel um uns und hält uns darin gefangen! –

„Hamburger Hof!“

Ein paar barhäuptige Kellner stürzten, trotz des Regens, im vollen Lauf heraus und wurden noch höflicher, als sie den großen Herrn mit dem zerstreuten Lächeln und dem nachdenklichen Blick gewahrten.

„Befehlen Aufzug?“ „Befehlen Zimmer im zweiten, dritten Stock?“ „Erster Stock alles besetzt!“

„Gut also! Im zweiten!“

„Adolf, das Gepäck!“ „Belieben hierher!“

Andree ließ sich von dem Aufzug gemächlich in die Höhe befördern und von „Adolf“ zwei nebeneinanderliegende Zimmer zeigen. „Nummer sechzehn und siebzehn, zwei schöne Räume – Blick auf die Binnen-Alster – belieben table d'hôte? Um fünf Uhr!“

„Ja, bis dahin werde ich schlafen. Schicken Sie mir eine halbe Flasche Sherry her und lassen Sie mich ein Viertel vor fünf Uhr wecken!“

„Sehr wohl! Belieben sonst noch?“

„Nein, danke!“

Der Maler leerte in kleinen Zügen sein Glas Sherry und sah gedankenvoll zum Fenster hinaus. Der gerühmte Blick auf die Binnen-Alster mußte bei gutem Wetter wunderhübsch sein.

Andree fühlte sich abgespannt und hatte doch zugleich die Ueberzeugung, daß er nicht werde schlafen können. Er hatte in Berlin einige Tage Rast gemacht, mithin nur wenige Reisestunden hinter sich, aber die lange Strecke von Rom aufwärts mochte ihm noch in den Gliedern stecken. Er war der Eisenbahnfahrten fast gänzlich entwöhnt, seitdem er seinen Wohnsitz in Rom aufgeschlagen. Von dort aus hatte er nur kurze Sommerausflüge unternommen, die ewige Stadt bot ihm alles, was er bedurfte. Vollends seitdem er Werner Troost dort kennengelernt hatte!

Er seufzte und wandte sich vom Fenster ab. Der Salon, in dem er sich befand, war hübsch und geschmackvoll ausgestattet, ebenso das anstoßende Schlafzimmer. Langsam begann er seine Sachen auszupacken und einzuräumen, dabei fiel ihm etwas ein, er drückte heftig auf den Knopf der eletrischen Leitung.

„Befehlen?“

„Ist eine Kiste von der Bahn für mich da? Maler Andree aus Rom! Ich ließ sie hierher adressieren! Erkundigen Sie sich!“

„Sofort nachsehen!“

Nach einer kleinen Weile kamen bedächtige Schritte den Flur entlang. Zwei Leute trugen vorsichtig die kleine, aber schwere Kiste in Andrees Salon und hoben geschickt mit einem Stemmeisen den Deckel ab.

Der Maler nahm, als er wieder allein war, behutsam die Marmorbüste aus ihren vielen Hüllen heraus und stellte sie an die Stelle einer schweren Bronzelampe auf einen hohen Sockel.

Selbst hier, in der trüben Beleuchtung des grauen Hamburger Regentages, kam die unvergleichliche Schönheit des Köpfchens zur vollen Geltung. Andree, der das Kunstwerk lange Zeit hatte entbehren müssen, versenkte sich mit durstigen Blicken in das Vermächtniß seines toten Freundes, und wieder belebte er den klaren Marmor mit Farben, wieder hob und senkte sich seine Brust in stürmischem Athmen, und das Bild, das er im ersten Umriß in Troosts Atelier geschaut, das sich ihm inzwischen immer wieder

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_618.jpg&oldid=- (Version vom 26.9.2023)