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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

sich sieht, der Gutes leisten könnte, der alles Zeug zu einem tüchtigen Maler von der Natur mitbekommen hat – und er geht hin und setzt unmögliche Bilder in die Welt und führt den Geschmack des Volkes, auf den es jetzt ja allein ankommt, in die Irre!“

„So, so!“ unterbrach Waldemar ihn trocken, „also die gebildeten Klassen zählen einfach gar nicht mehr mit!“

„Nein! Thun sie auch nicht! Oder doch wenigstens nur bis zu einem gewissen, sehr gering bemessenen Grade. Wir, mein Lieber, wollen von unten auf regenerieren, versteh mich wohl: von unten auf! Das ist das Stichwort aller neueren Dichter, Maler, Bildhauer und Schriftsteller. Wir setzen unsern Stolz und unsere Ehre drein, all’ unser Können, unsere besten Mittel für das Volk, und nur für das Volk, zu entfalten, mit dem alten Kram aufzuräumen und der neuen Zeit ein neues Evangelium zu verkünden!“

„Ich gratuliere dazu!“ Andree legte seine langen Beine übereinander und sah phlegmatisch unter halb zugesunkenen Lidern, nach dem kleinen heftig zappelnden und gestikulierenden Männchen hin – die Sache fing an, ihm Spaß zu machen. „Wenn nur die neue Zeit dies neue Evangelium ebenso gläubig aufnehmen wird, wie Ihr, seine Verkündiger, es predigt! Ich hege die feste Zuversicht, daß der gesunde Geist unseres Volkes – da doch das Volk allein es ist, an das Ihr appelliert! – alle krankhaften und häßlichen Elemente in dieser neuen Richtung solange abstoßen, verleugnen wird, bis sie von selbst verschwinden oder bis aus der widerwärtigen Raupe ein lebensfähiger Schmetterling kriecht. So ist es, gottlob, immer gewesen, so wird es auch diesmal kommen, und ich werde meine Freude daran haben! Wie sagt unser alter Lessing: ‚die Kunst soll –‘“

„Unsinn!“ Hilt schrie so laut, daß Andree, der sehr ruhig gesprochen hatte, nothwendig verstummen mußte. „Was heißt Lessing? Das heißt gar nichts mehr heutzutage. Seinerzeit war er ein bedeutender Mann, das muß man zugeben, aber seine Zeit ist gewesen, und das heutige Geschlecht steht in anderen Schuhen als er. Wer mißt jetzt noch mit dem veralteten Maßstab? Die Kunst soll überhaupt nichts! Sie ist ein Ausfluß aus dem Gehirn des Künstlers, als solcher die natürliche Wirkung der von diesem aufgenommenen Eindrücke aus der realen Welt. Die Kunst soll also weder erheben, noch erfreuen, noch bilden ober warnen oder irgend eine sittliche oder ästhetische Wirkung ausüben!“

„Und wenn sie sich nun untersteht und es dennoch thut? Ist sie dann in Euren Augen keine Kunst mehr? Du hast soeben so deutlich das Recht des Individuums betont: was der Künstler in seinem Innern schaut, gleichviel, welche Wirkung er sich davon verspricht, das ist er berechtigt zu schaffen, falls er die Mittel dazu hat! Nicht wahr, so hieß es doch? Nun gut: sind denn nur die Individuen dazu berechtigt, die der neuen Schule und Richtung angehören? Wer will mir mein Recht als denkendes und produzierendes Individuum streitig machen, wenn ich in mein Inneres schaue und darin nicht nur Scenen aus dem Operationssaal, aus der Verbrecherwelt und Lasterhöhle sehe, sondern andere Bilder, die gleichfalls ihre sehr nahen Beziehungen zur Menschheit, sagen wir zum Volk haben? Wer will mir, wer darf mir wehren, sie zu malen, und wer darf andern verbieten, sie wahr zu finden, nur weil sie nichts Abstoßendes und Scheußliches darstellen?“

Hilt lächelte sarkastisch.

„Mein Guter, Du wirst immer ein großes Publikum und bereitwillige Käufer finden, weil – leider! – die Zahl derer nie aussterben wird, die sich lieber reizende Unwahrheiten als traurige Wahrheiten sagen lassen wollen.“

„Nun – weshalb zum Beispiel mein letztes Bild ‚Tombola in Rom‘ reizende Unwahrheiten enthalten soll, das sehe ich nicht ein. Ein großes Volksgruppengemälde –“

„Hat sich natürlich glänzend verkauft!“ fiel Hilt höhnisch ein.

„Allerdings glänzend! Ach so – das ist wohl auch ein untrügliches Merkzeichen von Euch: alles, was sich gut verkauft, ist veralteter Schwindel und enthält Unwahrheiten. Was übrig bleibt, was keiner will und keiner kauft, das sind die Perlen, welche die Wahrheit enthalten. Leider muß ich bekennen, daß Berlin, ‚das Centrum, der Sitz der Intelligenz‘, meine ‚Tombola‘ angekauft hat.“ Andree erhob sich bei den letzten Worten.

„So! Na, da werd’ ich’s ja sehen! – Du willst wirklich gehen, in allem Ernst?“

„Ja, in allem Ernst!“

„Und Du willst keinen Likör haben, keinen Cognac?“

„Danke, nein! Ich – ich wollte Dich nur noch etwas fragen.“

„Frag’ immerzu, Schönheitsapostel!“

„Du hast doch hier in Hamburg auch gewiß Verkehr mit Privatleuten?“

„Ob ich habe! Mehr als mir lieb ist! Soll ich Dich irgendwo einführen?“

„Vielleicht – später einmal – das heißt –“ Andree war es unbehaglich zu Muth, er hätte gern eine Ausflucht gebraucht, fand aber keine. „also man hat mir in Rom von einer Hamburger Familie gesprochen, Senator Brühl –“

„Ah so! Das glaub’ ich!“ Hilt pfiff durch die Nase und sah unglaublich unternehmend und impertinent aus. „Das heißt, der Senator kam wohl nicht weiter in Betracht, das ist ein aufgeblasener Patron und weiter nichts! Aber sein Töchterlein!“ Er küßte seine Fingerspitzen, schloß die Augen und schnalzte mit der Zunge.

„Also da willst Du hin!“ fuhr er nach einer Weile fort, als Andree still blieb. „Die ist es allerdings werth, daß ihr Ruf und Name bis nach Rom dringt! Wer hat Dir denn aber von ihr erzählt?“

„O – gleichviel!“ Waldemar wollte vor Hilt um alles nicht Werner Troosts Namen nennen.

„Ja, siehst Du, hier hat die Natur allerdings etwas geschaffen, was wohl keiner ungeschehen machen möchte. Für einen Schönheitspriester ist das einfach ein Ideal. Für Leute unseres Schlages … hm! … ist sie zum Fürchten schön!“

„Zum Fürchten?“

„Wie willst Du denn, daß man die Empfindung erklärt, die bei ihrem Anblick geweckt wird? Ich kann nur sagen, ich habe Angst vor Stella Brühl, und wenn ich das sage – ich muß morgen dorthin, gebe dem nichtsnutzigen Schlingel von Sohn Zeichenstunde, werde horrend bezahlt – willst Du mit mir kommen?“

„Morgen? Nein, das ist mir zu rasch!“

„Also. gut, dann melde ich Dich für einen der nächsten Tage an: Freund aus Rom, hier fremd, Anhänger Rafaels, vielgesuchter und vielgekaufter Maler – daraufhin kannst Du ruhig Deinen Besuch machen. Gastfrei sind die Leute, es gehen bei ihnen allerlei Menschen ein und aus, sehr viel Kunst dabei – der Alte spielt sich gern auf den Mäcen – na, lassen wir ihn! Da ging vor Jahr und Tag auch ein Bildhauer um, schöner Kerl, hieß Troost, wollte auch nach Rom – hast Du ihn da irgendwo zu Gesicht bekommen?“

„Was war’s denn mit ihm?“ fragte Andree statt der Antwort.

„Nun, den hatten sie alle ungeheuer gern, war Liebling im ganzen Haus, aber die schöne Stella, o – ja, werde einmal einer aus der klug! Der Satan weiß, was in ihr steckt!“

Hilt lachte wieder sein schneidendes, kaltes Lachen, an dem der Humor keinen Antheil hatte.

„Adieu!“ sagte Andree kühl und ließ die kleine feuchtkalte Hand Hilts rasch fallen. „Du wirst mich besuchen?“

„Natürlich! Der ‚Hamburger Hof‘ ist mir in reizender Erinnerung, ich hab’ da mal früher schöne Stunden verlebt. Uebrigens, Brühls wohnen ganz in Deiner Nähe, Alsterdamm, haben eine Villa für den Sommer in Uhlenhorst, alles großer Zuschnitt! Denn man kann seine Perle nicht in Talmigold fassen, sagt der alte Senator, und ’s ist noch nicht sein dümmster Ausspruch! Also adieu, Andree! ’s ist doch was Fremdes in Deinem Gesicht, was kann es sein? War dieser länglich zugespitzte kleine Backenbart schon immer da? Trugst Du nicht in München nur den Schnurrbart? Richtig! Fabelhaftes Gedächtniß von mir, was?“

Andree nickte schweigend und stand fünf Minuten später auf der Straße. Das Wiedersehen mit Hilt hatte ihn weder erfreut noch angeregt, der Gedanke, oft mit ihm zusammenzutreffen, war ihm unangenehm. Wenn das hier sein vertrautester Umgang werden sollte! –

Er blieb mitten auf der dunkeln Straße stehen und sah zum Himmel hinauf. Durch eilig ziehende Wolken schimmerte dann und wann mit mattem Goldlicht ein einzelner Stern, der weiche feuchte Frühlingswind war schwül und strich wie mit heimlichem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_634.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2023)