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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Die Jasminblüthen werden nicht in den ‚Potpourri‘ gezupft, das sage ich Dir; das Sträußchen kommt an das Mieder und die Perlenschnur von Deiner Pathe wird über das Haar geschlungen!“ Sie hatte alle Bedenken gegen diese Liebe vergessen. Irgendwo sucht sich die Romantik, die in jedem Frauenkopf haust, einen Ausweg. Nun ging sie an die eigene Toilette.

„Was für fremde Blüthen steckst Du da an?“ fragte Lida, noch immer ganz athemlos.

Lotte zwinkerte geheimnißvoll. „Ehrhardt wird Augen machen.“ Und sie befestigte auf ihrem Toupet ein Sträußchen zarter weißer lila umränderter Blumen, und mit einem ebensolchen schloß sie das fein gefältelte Busentuch.

„Erdtoffelblüthen,“ rief sie lachend; „ich habe sie von dem Gartenfleck gestohlen, den er mit der amerikanischen Frucht bestellt hat. Er hat sich nun einmal das Gewächs in seinen viereckigen Kopf gesetzt.“

„Seid Ihr fertig?“ scholl die Stimme der Frau Amtmännin von unten herauf.

„Gleich!“ rief Lotte. „Da sind die Filethandschuhe. Ach, wie Deine armen Fingerchen zittern!“

Indessen hatte sich das Rondell schon mit Gästen gefüllt. In einem Bogengang saßen die Herrn Pastoren der ganzen Umgegend mit großen dreieckigen Hüten, gravitätisch aus weißen Thonpfeifen rauchend, und spielten eine Partie L’Hombre oder Piquet. Der Arzt gesellte sich hinzu, der bei allerhand Versuchen an Retorte und Destillierkolben eine gute Tinktur gegen Kröpfe entdeckt hatte und dadurch ein wohlhabender Mann wurde. Auch der Herr Kandidat fand sich ein, der zugleich Lehrer an der neu errichteten höheren Schulklasse war und am Sonntag Nachmittag in dem langen schmalen, gleich einem Schweif hinter ihm drein flatternden Mäntelchen predigte. Er hielt sich zu den Gattinnen der Honoratioren; hatte er doch bei jeder einen „Tisch“ zur Aufbesserung seiner dürftigen Einnahme. Der Förster war von seinem Waldberg herabgefahren im grün umsteckten Wägelchen, drei lustige Jägerburschen und zwei kernfrische Töchter hinter sich, den knurrigen Teckel zwischen den Füßen.

Viele Blicke gingen hinüber nach dem jungen Fremden, der im eifrigen Gespräch mit dem Inspektor am Eingang stand. „Ein Edelmann!“ sagte bedeutungsvoll eine Frau Pastorin. „Ein Offizier!“ Die Frau Doktorin zuckte die Achseln. „Ein Windbeutel!“ verhallte es zwischen den Buchenwänden, wo der Sekretarius eben einen Tisch für das Amtspersonal aufstellen ließ.

„Da kommen sie!“ hieß es.

Die vornehmsten Personen der ganzen Landschaft erschienen, der Herr Justizamtmann nebst seiner Familie.

Alles erhob sich. Von den Spieltischen schallten laute Grüße. Die Herren schüttelten sich die Hände, die Frauen erkundigten sich nach dem gegenseitigen werthen Befinden. Jetzt nahte auch der Offizier. Die Frau Justizamtmännin bekam mit dem Instinkt aller Mütter einen Schrecken; aber als er ihr die Hand küßte, fühlte sich die Tochter eines Superintendenten doch geschmeichelt.

Der Amtmann dankte ihm würdevoll gelassen auf seinen ehrerbietigen Gruß. Dann, bevor er sich zu seiner Partie setzte, sagte er leise zu seiner Gattin: „Hab’ ein Auge auf die Lida, daß ihr der adelige Fant nichts in den Kopf setzt!“

Die Amtmännin ängstigte sich, damit sie doch etwas that; ein anderes Hilfsmittel fiel ihr nicht ein.

Längst hatten sich die Augen des Offiziers und Lidas gefunden und waren nicht wieder von einander gewichen. Jetzt stand er vor ihr. „Da bin ich schon wieder,“ begann er heiter. „Werden Sie mich fortschicken? Bin ich zu aufdringlich?“

„Ich wußte, daß Sie wiederkommen würden,“ antwortete sie einfach.

„Wirklich? Wußten Sie es?“ flüsterte er beglückt und sah ihr tief in die schwärmerischen Augen.

„Ich bin auch da,“ weckte Lotte das Pärchen aus seiner Versunkenheit. Sie hatte bemerkt, daß man die beiden beobachtete, und stand gleich einer Gluckhenne bereit, sie unter ihre Fittiche zu nehmen. „Nun, Ehrhardt, mache den Herrn Lieutenant mit den Herren bekannt, den Frauenzimmern will ich ihn präsentieren.“

In Ansehung des Schmuckes aus Erdtoffelblüthen würde der Inspektor den Teufel vorgestellt haben, wenn Lotte es verlangt hätte, wie viel lieber den hübschen jungen Kavalier. Der machte ihm seine Aufgabe nicht schwer. Wie es das feine neue Komplimentierbuch vorschrieb, sprach er mit jedem von denjenigen Dingen, für welche dieser muthmaßlich Theilnahme hegen mußte. Die Frauen klärte er darüber auf, wie die neuen Schminkpflästerchen von den Damen des Hofes verwendet wurden, um die Röthe der Wangen zu heben, einem unregelmäßigen Gesicht etwas Pikantes zu geben – wenn er auch lächelnd die Achseln dazu zuckte. Die Landwirthe – und das waren sämmtliche Pfarrherren und Angesessene der Gegend – benachrichtigte er, daß die Kammer des Landgrafen große Tuchankäufe gemacht habe zur Ausrüstung von neu ausgehobenen Regimentern, daß die Wollpreise dadurch sehr gestiegen seien und man wohlthue, sofort loszuschlagen. Und Ehrhardt vollends war ganz Ohr, als er über die Verschönerung des Gartens, die der Bräutigam seiner Lotte zulieb plante, allerhand Rathschläge zu ertheilen vermochte: wie man aus einem versumpften Tümpel, aus zerbröckelnden Tuffsteinen und einem grasüberwachsenen bärtigen Steinbild eine Grotte des Neptun herstellen könne. Der Landgraf lasse nach dem Muster von Versailles herrliche Wasserkünste anlegen und habe auf die höchste Spitze eines Hügels eine mächtige Wasserleitung befohlen.

„Ja,“ sagte ein Handlungsreisender, der am Morgen mit Scheren, Nadeln, Messern den Frauen aufgewartet hatte, „die Bauern drüben haben schweren Frohndienst, um die Wasserleitung von den Bergen nach dem Garten hinüber zu bringen.“

„Und doch soll das Geld ausgegangen sein,“ brummte der Förster.

„Aus dem armen Volk läßt sich wohl Blut und Schweiß, lassen sich Thränen pressen, aber kein Gold,“ schloß der stets zur Opposition neigende Doktor.

Ein trauriger Ausdruck flog über das Gesicht des jungen Offiziers; er erinnerte sich an die Auftritte, die er bei der Aushebung erlebt hatte. Aber das alles verschwand, als jetzt Lotte, Hand in Hand mit Ehrhardt an ihm vorübergehend, ihm zurief: „Wollen Sie eine Tänzerin zur Menuett, so tummeln Sie sich, gleich geht’s los!“ Altendorn eilte zu Lida hin und forderte sie mit tiefer Verbeugung auf. Ringsum sah man einen Augenblick

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 645. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_645.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2023)