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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Papa spiegelte seine Eigenliebe noch einmal nach rechts und links, dann folgte er dem kleinen Neger, der ihm den Wagenschlag öffnete, um dann mit unveränderter trübseliger Miene in seinen schwebenden Hühnerkorb zu steigen.

Vater Brühl setzte sich mit selbstgefälligem Lächeln im Wagen seiner schönen Tochter zurecht und ließ seinen Triumph in Hamburg spazierenfahren.

Andree mußte an Werner Troosts Aeußerung denken, daß dem Senator für dieses Kind ein Fürst gerade gut genug wäre. Ob der junge Bildhauer, wäre er am Leben geblieben, jemals dazu gekommen sein würde, dies Wunder sein eigen zu nennen? Wer weiß, welcher grausamen Enttäuschung er aus dem Wege gegangen war! Der Maler seufzte tief auf und machte Kehrt. Vor ihm her, in immer weiterer Ferne, flatterte es wie ein goldbrauner Schmetterling – flatterte – verschwand – tauchte wieder auf und hielt seinen Blick gefesselt, bis das Gewühl der Straße das Bild verschlang. –

Gegen Abend desselben Tages saß Andree im Wohnzimmer seines Gasthofs, in Lessings „Laokoon“ vertieft, den er freilich halb auswendig wußte, als er vor seiner Thür einen lebhaften Wortwechsel hörte; eine der Stimmen kam ihm bekannt vor, er sprang auf, öffnete und sah im Flur seinen „Freund“ Hilt stehen, mit seinem riesengroßen grauen Filzhut auf dem Kopf, in dem er beinahe ertrank – neben ihm den Zimmerkellner Adolf, sichtlich erfreut und geschmeichelt lächelnd.

„Tag, Andree!“ nickte Hilt. „Eben hab’ ich hier einen alten Bekannten entdeckt aus der goldenen Berliner Zeit, damals im ‚Hörselberg‘! Wonniges Lokal, kommt auch bloß in der Reichshauptstadt vor, nicht wahr, Adolf? Sie haben sich eigentlich nicht besonders verändert, noch immer die nüchterne Geschäftsmiene, hinter der kein Mensch sonst etwas ahnt! O, wenn Adolf seine Erinnerungen schreiben wollte, ich wette, er fände Verleger, auch Publikum. Na, na“ – Adolf hatte eine bittende Gebärde gemacht – „ich schweige schon in allen Sprachen. Hier sind Sie einfach bloß Kellner, nicht wahr?“

„Jawohl, Herr Hilt! Kellner – nichts weiter!“

„Schade, Ihre schönen Anlagen berechtigen Sie entschieden zu vielseitigerem Wirken im Dienst der Menschheit!“

„Willst Du nicht hereinkommen, Hilt?“ unterbrach ihn Andree, dem dies Gespräch unangenehm war. „Adolf, bringen Sie ein paar Dutzend Austern und eine Flasche Yqúem herauf!“

„Schön!“ sagte Hilt und schnalzte mit der Zunge. „Das läßt sich hören. Nun sage, Du Riese Goliath“ – er zog die Thür hinter sich zu und warf sich aufs Sofa – „was treibst Du? Mit der alten Wiedekamp bist Du im Reinen, sie hat mir’s erzählt, und ein hübsches Preischen hat sie Dir gemacht! Nun, Du hast es ja dazu! Malst Du etwas?“

„Malen? Hier im Gasthof? Wie sollte ich wohl?“

„Na, ich meine nur so! Welches ist denn Dein neuestes Sujet?“

„Ich bin noch nicht so ganz klar – oder doch! Aber ich rede noch nicht darüber – eine Art Allegorie!“

„Mensch, ums Himmelswillen! Eine Art Allegorie! Heißt das Vernunft? Und liest den Lessing! Den alten ‚Laokoon‘! Sehr brav gemeint ohne Zweifel, allein die Zeiten sind gewesen!“

„Meinst Du nicht, daß es Regeln und Begriffe giebt, die für alle Zeiten gelten?“

„Bewahre, Du großes Kind! ‚Vorwärts, vorwärts!‘ heißt der Wahlspruch. Weg mit allem alten Plunder! Komm’ nur nächstens zu mir und sieh Dir mein neuestes Bild an, ich thue nicht so geheimnißvoll damit wie gewisse Leute, da wirst Du ein Stück lebendiger Wirklichkeit sehen, nichts von einer Art Allegorie!“

„Du malst keine Stillleben mehr, Hilt?“

„Daß sich Gott erbarme! Stillleben! Was soll unsereins, der in jedem Bilde doch eine deutlich redende That hinstellen will, denn wohl durch Kohlstrünke, abgewelkte Salatstauden und rothe Rüben ausdrücken? Nein, ich mache Studien aus dem Volk und für das Volk – das ist mein Wahlspruch!“

„Und weiß das Volk Deine Werke zu würdigen?“

„Ich sagte Dir ja schon neulich, daß wir noch lange nicht durch sind, daß dreiviertel von den Leuten sich immer noch lieber hübsch gemalte Lügen vorflunkern läßt und kaum der vierte Theil die herbe Wahrheit verträgt. Aber da kommt Adolf mit seinen Schätzen! Ersäufen wir einstweilen den alten Schlendrian und den neuen Feuergeist in diesem lieblichen Tropfen und schlucken wir unsere gegensätzlichen Empfindungen mit Austern hinab!“

Während Andree die Gläser vollschenkte, machte Adolf dem kleinen Maler ein Zeichen mit den Augen, das dieser mit einem raschen Kopfnicken erwiderte. Die beiden verstanden einander noch vortrefflich vom „Hörselberge“ her.

„Prosit!“ Hilt sog den Wein durch die Zähne ein und prüfte ihn auf der Zunge. „Entschieden trinkbar! Wie hast Du es denn bei Brühls gefunden?“

„Ich traf das Ehepaar und die erwachsene Tochter nicht daheim.“

„Pech!“

„Ja – ich ließ meine Karte da! Für einen Augenblick sah ich die beiden jüngeren Kinder.“

„Ach so, die! Die wachsen neben der ‚Prinzessin‘ wie das liebe Unkraut auf! Kein Mensch bekümmert sich um sie! Die Herren Eltern sind daran verzweifelt, daß einer von diesen Sprossen auch bloß eine Spur von der Schönheit ihrer älteren Schwester aufweisen könnte, darum lassen sie die beiden Wildfänge ihren eigenen Weg gehen, wenigstens so lange er sich nicht mit den Pfaden kreuzt, die sie mit dem Krondiamanten der Familie verfolgen.“

„Ja, aber gilt denn bei diesen Leuten durchaus nichts anderes als die Schönheit?“

„Du sagst es! Und Dir müßte diese Thatsache doch ungeheuer begreiflich sein, da Du selbst knietief im Schönheitskultus steckst!“

„Da irrst Du Dich! Ich lasse die Häßlichkeit auch in der Kunst gelten, dafern sie irgendwie charakeristisch ist und einen bestimmten Zweck hat. Denke nicht, daß ich nur schöne Menschen auf meinen Bildern habe; allerdings sehe und male ich sie lieber als die garstigen, erlebe auch, daß sie mehr Wirkung erzielen, selbst im Volk, und verlege mich nicht darauf, Häßlichkeiten auszuklügeln, bloß weil sie häßlich sind und nichts weiter. Doch beiseit’ damit! Möchtest Du mir etwas Näheres über die Brühlsche Familie sagen – falls Du nämlich etwas weißt?“

Hilt zuckte nur geringschätzig die Achseln. Wissen! Ich! Aber naturlich! Und aus guter Quelle! Da ist so ’n kurioses Geschichtchen dabei, vielleicht macht Dir das Spaß! Also vor ungefähr zwanzig Jahren lebten hier in Hamburg drei Kaufleute, die sich zu einer Firma zusammengethan hatten. Offiziell lautete sie: Brühl und Compagnie. Die Compagnie bestand aus einem gewissen Grimm, einem richtigen Original – leidenschaftlicher Blumenfreund und Katzenliebhaber, dabei ein schneidiger Geschäftsmann, eine Autorität in Oel und Getreide. Der dritte war ein flotter Kunde, Gerhard Winzer mit Namen, lustig, leichtlebig – der vertrat das Geschäft nach außen hin, ging an die Börse, saß in den Lokalen herum und sah zu, wo es etwas zu verdienen gab. Ich glaube, der Gute hat dabei mehr auf sein eigenes Vergnügen geachtet, was ich ihm weiter nicht übelnehmen will; kurz, die Karre ging eine Zeitlang bedenklich schief. Brühl, der sich als ganz junger Mensch mit einer blutarmen Schönheit verlobte, hatte sich inzwischen mit dieser, trotzdem sie rasch verblüht war, verheirathet, Grimm hatte eine solche Dummheit nicht begangen; er hatte nur für seine Blumen- und Katzengesellschaft zu sorgen und ist bis heute Junggeselle geblieben. Winzer hatte Liebschaften an allen Ecken und Enden. Das Triumvirat stand also schlecht, schon fing der Kredit an, verfänglich zu wackeln, die Wechsel auf Brühl und Compagnie wurden mit langen Gesichtern begrüßt, und man prophezeite allgemein einen greulichen Krach. Aber siehe da, die Sache machte sich auf ganz unerwartete Weise! Winzer wurde von den beiden solideren Herren, wohl nicht mit Unrecht, als Stein des Anstoßes betrachtet; sie fanden, er sei kein Geschäftsmann, sie fanden, er treibe sich umher, er führe ein unsolides Leben, schade dem Ruf der Firma, sie fanden endlich, er habe sich zu drücken – und der brave Kerl war damit einverstanden. Geld hatte er lange keins mehr im Geschäft stehen, unbehaglich war ihm zumuthe, und Amerika war ihm immer als eine nette Gegend erschienen, wo für Leute seines Schlages noch etwas zu machen sei. Von seinen bisherigen Freunden Grimm und Brühl ließ er sich die Reisekosten und noch etwas darüber für den Anfang gehen – ‚auf Abschlag‘, wie er sagte. ‚Denn, Kinder, wenn ich dort zu etwas komme, geb’ ich es Euch wieder, wenn nicht, seid schön bedankt!‘ – und weg war er! Na, er muß wohl

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_650.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2023)