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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Sie ist gesund. Sie ist wie immer!“ sagte er kurz.

In die wiederum eintretende Stille hinein tickte die Standuhr auf dem Kaminsims mit aufdringlicher Deutlichkeit.

„Nun, so erklär’ Dich doch!“ meinte der Fürst endlich und lehnte sich mit der Miene eines Mannes, der sich auf alles Mögliche gefaßt machen will, in seinen Lehnsessel zurück. „Wieviel hast Du denn verloren?“

Prinz Sascha suchte sich das Aussehen eines Menschen zu geben, dem eine Sache vollständig gleichgültig ist, aber so ganz gelang ihm das doch nicht. Er griff in seine Brusttasche und holte ein ganzes Packet zerknitterter Zettelchen daraus hervor, die er vor seinen Bruder auf den Tisch legte. Dieser nahm eins nach dem andern und legte es, nachdem er es genau betrachtet hatte, mit unzufriedenem Kopfschütteln wieder hin.

„Was habt Ihr denn gespielt?“

„Trente et quarante!“

„Ich hatte Dich doch gebeten, Du solltest das Hazardspielen lassen, Sascha!“

Hierzu schwieg der Prinz still. Es war richtig, Emmerik hatte ihn darum gebeten, und er hatte es doch nicht lassen können.

Der ältere Bruder nahm ein Notizbuch und schrieb mit einem silbernen Stift von jedem Zettel die Zahl auf, immer eine unter die andere. Dann zog er einen kleinen Strich und zählte zusammen – es war eine hohe Summe!

„Hiervon,“ sagte er bedächtig und schichtete die kleinen Papierblätter säuberlich zu einem Häuflein zusammen, „hiervon könnten mehrere Bürgerfamilien jahrelang sorgenfrei leben, und Du gehst hin und verspielst es in wenigen Stunden. Wir haben auch unsere Pflichten, wir Hochgestellten, Pflichten gegen uns selbst, gegen den Staat, gegen das Volk. Jawohl! Wir leben nicht, wie wir sollten, wir geben kein gutes Beispiel für die, die unter uns stehen und ihre Augen auf uns richten, wir liefern selbst den Stoff zu all den Auslassungen, die uns so roh und widerlich erscheinen, die sich gegen den Adel, gegen die Kapitalisten, mit einem Wort gegen die oberen Zehntausend richten. In unserer Zeit hat jeder die Aufgabe, in erster Linie ein tüchtiger Bürger zu sein, einen wahrhaft hoben Sinn zu zeigen und damit dem Volk zu beweisen, daß es Vorurtheile nährt, wenn es dem Adel, dem Titel, dem Kapital von vornherein Mißtrauen entgegenbringt! Wir denken nicht nach, wir verschließen unseren Blick geflissentlich den Schäden unserer Zeit und gehen hin und genießen! Das ist ein großes Unrecht!“

Prinz Alexander hörte mit unbewegter Miene zu, in seinem Innern war er jedoch wenig erbaut von der Weisheit seines Bruders. „Wozu er mir das alles sagt!“ dachte er bei sich, „was soll ich damit?“ Unwillkürlich sah er nach der Zeitung hin, die umgekehrt auf dem Tisch lag. „Ob darin ein solcher Vortrag enthalten ist, ob er er ihn eben gelesen hat? Das Ganze klingt verzweifelt nach einem Leitartikel oder nach der Rede eines funkelnagelneuen Reichtagsabgeordneten, der mit dem Liberalismus liebäugelt und sogenannte Ideale im Busen trägt. So etwas steckt immer an! Der gute Emmerik vergißt ganz, daß er zwölf Jahre älter ist als ich und an meiner Stelle schwerlich anders handeln würde!“

In der That kümmerte sich der jüngere Abkömmling der Riantzews herzlich wenig um Volkswohl, gutes Beispiel, um die Forderungen der Zeit. Das alles lag ihm himmelfern, und er wünschte wirklich nur, „hinzugehen und zu genießen,“ wie sein Bruder strafend bemerkt hatte.

„Mein lieber Emmerik,“ sagte er nach einer kleinen Weile, „es mag viel Wahres in dem sein, was Du anführst, das aber macht die Thatsache nicht ungeschehen, daß ich dieses Geld verloren habe und bezahlen möchte. Willst Du das für mich thun?“

Der Fürst, vor diese nackte Thatsache gestellt, runzelte unmuthig die Stirn; er fand, er habe gut gesprochen, und hatte geglaubt, Eindruck mit seinen Grundsätzen zu machen; mit beiden Händen strich er jetzt an seinem mächtigen braunen Vollbart hinab.

„Ich habe Deine Spielschulden schon sehr oft bezahlt –“

„Sehr oft!“ schob Sascha bestätigend dazwischen.

„Und ich habe Pflichten gegen meine Kinder. Ich weiß nicht, ob ich Dir noch oft werde helfen können. Die Art, wie Du Deine Zeit hinbringst –“

„Wie soll ich sie anders verwerten? Du kannst Dich in den Schoß Deiner Familie flüchten, ich habe keine! Du interessierst Dich für Politik, für Nationalökonomie, für landwirthschaftliche Dinge; ich – Du wirst mich entschuldigen, wenn ich ganz aufrichtig bin! – interessiere mich nicht dafür! Als ich einen ernsthaften Anlauf nahm, hier in Hamburg solid zu werden und Anschluß an eine geachtete Familie zu suchen, da hast Du mir dies in den stärksten Ausdrücken verboten und hast gesagt: ‚Thu, was Du willst, aber laß mich von dieser leidigen Geschichte nichts weiter hören!‘“

Das waren im der That des Fürsten eigene Worte, – und der Prinz hatte nun gethan, was er wollte, er hatte hoch gespielt!

„Hast Du die – hm! die geachtete Familie, deren Du soeben erwähntest, seit jener Mahnung, die ich Dir zukommen ließ, nicht wieder aufgesucht? Auf Dein Wort und Deine Ehre nicht?“

„Auf mein Wort und meine Ehre nicht!“

Der Prinz richtete seinen etwas zusammengesunkenen Oberkörper stramm auf und sah seinem Bruder fest in die Augen. Es stimmte ja auch! Er hatte das Haus des Senator Brühl seit der bewußten Unterredung wirklich nicht betreten. Daß er eine Einladung zu einem morgen dort stattfindenden Souper in der Tasche trug und entschlossen war, ihr zu folgen, sagte er nicht. Warum bewegte sich Emmeriks feierliche Frage in der Vergangenheit? Hätte er die Gegenwart betont – der Prinz würde alles gestanden haben. So blieb seine gefährliche Absicht in der Tiefe seines Busens ruhen.

Der Fürst stand auf und schloß eine Kassette auf, deren kunstvoll gearbeiteten Schlüssel er stets bei sich trug. Er nahm einen Stoß Banknoten aus dem Behältniß hervor und reichte ihn dem Prinzen. „Nimm Dir!“ fügte er dazu.

Alexander „nahm sich“ und murmelte ein paar Dankesworte. Er war beinahe gerührt, er bereute beinahe, was er gethan hatte, und er war beinahe auf dem Punkt, seinem Bruder zu gestehen, daß er habe zu Brühls gehen wollen und es nun aufgebe.

Aber da sah er im Geiste Stella vor sich, Stella, wie er sie neulich in Wirklichkeit gesehen hatte, die schönste Amazone, die man sich träumen konnte, in einem knappen tiefgrünen Reitkleid, eine kleine Jockeymütze mit Silberborten auf dem Tizianhaar, auf ihrer in ganz Hamburg berühmten „Primrose“, einer arabischen Rappenstute, von vier, fünf Herren umgeben – und wie er sie ehrerbietig grüßte, ohne sich ihrem Gefolge anzuschließen, denn damals hatte er sich ’s im Ernst vorgenommen, „ein Ende zu machen“ – da hatte sie ihm zugenickt und ganz wohlgemuth gelächelt, daß all die weißen reizenden Zähnchen blitzten, nicht erzwungen, auch nicht übertrieben freundlich, nur eben ganz so heiter und unbefangen, als stehe ihr ein Prinz Riantzew jeden lieben Tag ihres Lebens zur Verfügung, und dann war sie hingesprengt. Dies sorglose Lächeln, diesen Blick, der sich sofort von ihm ab- und andern zugewandt hatte konnte ihr der verwöhnte Liebling der Frauen nicht verzeihen. Sie sollte ihn bald anders anlächeln, sie mußte, und dann, wenn er es dahin gebracht hatte … ja, dann würde der „kleine Roman“ eben zu Ende sein, und er würde Hamburg verlassen und sich ihr in tadelloser Haltung empfehlen: „Gnädiges Fräulein, ich habe die Ehre –.“

Und Prinz Alexander steckte die Kassenscheine in die Tasche, sagte noch einmal schönen Dank, tauschte einen Händedruck mit seinem Bruder und verließ dessen Zimmer. Der Zurückbleibende sah ihm befriedigt nach und dachte: „So, das wäre abgethan, zu diesen Brühls geht er nicht mehr!“ Der Davongehende sah befriedigt zurück und dachte. „So, das wäre abgethan, morgen also zu diesen Brühls!“

(Fortsetzung folgt.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_654.jpg&oldid=- (Version vom 4.10.2023)