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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Eigenschaft als Tyrannin des ganzen Hauses aufspielte. Stella regierte, das war Thatsache, aber Premierminister, stellvertretender Regent und oberster Berather war Frau Willmers, sie kannte die Prinzessin, wie kein anderer Mensch sie kannte, sie verstand jeden Augenwink, jede Handbewegung, jedes Zucken des schönen Mundes. Sie hätte für ihre junge Herrin jede Minute sterben können – wohlverstanden, nur für diese! Denn die anderen Mitglieder der Familie waren ihr theils gleichgültig, theils unangenehm. Gleichgültig war der alternden Frau mit dem finstern runzligen Gesicht der Vater Brühl, der ihr gerade gut genug war, das Geld zu verdienen, das ihrem Juwel dies üppige Dasein sicherte, gleichgültig auch die Mutter, die vor ihrer schönen Tochter auf den Knieen lag und keinen eigenen Willen kannte; unangenehm dagegen waren ihr die zwei jüngeren Kinder, Gerda und Wolfgang, namentlich das Mädchen, das sich gegen ihre Herrschaft hundertmal auflehnte, hundertmal dafür bestraft wurde, aber mit immer neu erwachendem Trotz und Muthwillen einen wahren „Guerillakrieg“ entfesselte und ihren um fünfzehn Monate jüngeren Bruder als ihren Generalfeldmarschall dazu heranzog. –

Tiefe feierliche Stille herrschte im zweiten Stockwerk rechter Hand – dort lagen die Gemächer der „Prinzessin“. Aus dem Badezimmer drang die laue parfümierte Luft trotz der geschlossenen Thür in den Raum nebenan, in welchem eine matte Dämmerung hergestellt war. Hier herrschte orientalischer Luxus, und Papa Brühl schmunzelte selbstgefällig, wenn man das Toilettenzimmer seiner Tochter pries; die ganze Einrichtung, wie sie dastand, stammte aus Konstantinopel und war die Nachahmung eines Gemaches der obersten rechtmäßigen Gemahlin des Sultans.

Auf der prachtvollen, in Gold und Purpursammet gewirkten Ottomane dehnte sich der Körper der schönen Stella Brühl in wohligem Schlummer. Das Köpfchen war ein wenig hintübergesunken, und das duftende Haar, das Frau Willmers nach dem Bade mit weichen erwärmten Tüchern sorgfältig trocken gerieben hatte, lief wie strömendes Gold um den weißen Nacken und die ruhig athmende Brust. Ein loses Gewand, das nur aus Stickereien und gelblichen Spitzen bestand, schmiegte sich leicht an die Glieder, die linke Hand hing schlaff herab, und die Lippen waren halb geöffnet, wie dieser weiche Kindermund es auch im Wachen oft zu sein pflegte. – Frau Willmers saß da, ohne sich zu regen, ihr Athem kam und ging unhörbar. Gottlob, nervös war ihr „Goldkind“ nicht, dafür hatte sie gesorgt in ihrer unausgesetzten Achtsamkeit, die ein förmliches Studium aus der Pflege dieser jungen Menschenblüthe machte. Aber „der Engel“ hatte einen sehr leisen Schlaf, hatte ihn immer gehabt, schon als kleines Kind, daher mußte dies kostbare Gut behutsam bewahrt werden, das machte Frau Willmers sich zur Aufgabe. Sie strickte deshalb jetzt auch nicht – die haarfeinen Seidenstrümpfe für ihren Pflegling fertigte sie immer eigenhändig an – das Klappern der Nadeln konnte die Schläferin wecken; sie las auch nicht, die Blätter konnten beim Umwenden knistern, es war ja auch nicht hell genug im Zimmer, da die schweren türkischen Vorhänge vor den Fensterscheiben zugezogen waren. Steif und würdevoll aufgerichtet wie eine ägyptische Statue, die Hände auf die Kniee gelegt, saß die dunkle Gestalt da, mit den scharfen, kleinen Augen gerade vor sich hinblickend, wo auf einem Gestell die Toilette für den heutigen Abend hing.

Da unterbrach ein Ton die tiefe Kirchenstille, ein lauter greller Ton, ein herzhaftes Niesen. Eben noch hatte Frau Willmers ihre Taschenuhr – ein Geschenk Stellas – zu Rath gezogen und festgestellt, daß der Schlummer noch gut fünfunddreißig Minuten währen durfte, und nun dies laute rücksichtslose Niesen auf dem Flur, und noch dazu dicht am Schlüsselloch!

Die alte Frau richtete sich höher empor und warf einen empörten Blick nach der Gegend, aus welcher das freche Geräusch gekommen war, sie wußte nur zu gut, wer allein eine solche Schandthat ausüben konnte.

Richtig! Die langen dunkeln Seidenwimpern auf den Wangen der Schlummernden fingen an, zu zucken, das Mündchen regte sich leise, dann hob sich das Haupt ein wenig empor und eine schlaftrunkene Stimme fragte: „Ist’s denn schon Zeit?“

„Nein, Herzenskind, nein!“ entgegnete Frau Willmers in vorsichtig gedämpftem Ton, als hoffe sie, dadurch den verscheuchten Schlummer wieder zurückzuzwingen. „Sie haben noch fünfunddreißig Minuten – wenn Sie noch einmal einschlafen könnten!“

„Du weißt, das kann ich nie mehr, wenn ich erst einmal wach bin!“ kam es unwillig zurück, und das schöne Geschöpf richtete sich halb auf.

Ach ja, die Willmers wußte! Wer im ganzen Hause kannte wohl Stella Brühls Gewohnheiten und Stimmungen so bis ins kleinste wie sie? Zornschnaubend erhob sie sich und ging zur Thür, die auf den Gang mündete.

Die Attentäterin hatte sich nicht nur damit begnügt, zu niesen, sie wollte sich auch noch überzeugen, ob es „gewirkt“ habe, daher stand sie jetzt an der Biegung der Treppe, den Kopf halb zurückgewendet, und lauschte. Sowie sie die Thür sich öffnen hörte, wollte sie blitzschnell davonhuschen, prallte aber gegen Wolfgang an, der sich herbeigeschlichen hatte, um ebenfalls seinen Spaß an der Geschichte zu haben. Gerda hielt nun Stand, mühte sich, möglichst unbefangen auszusehen, und ließ das „Hauskreuz“ herankommen. Die Willmers maß sie mit einem wuthfunkelnden Blick.

„Eine schöne Schwester, die der andern nicht einmal das Stündchen Schlaf gönnt!“

Gerda warf den Kopf zurück. „Eine schöne Schwester, die der andern nicht einmal ein Stündchen Tanzvergnügen gönnt!“

„Ah so! Also darum, weil Stella Deinen Eltern gesagt hat, Du seiest noch ein Kind und sollest heute nicht mittanzen!“

„Kein Mensch kann dafür, wenn er niesen muß! Der April begünstigt den Schnupfen, der Schnupfen begünstigt das Niesen.“

„Ja, besonders dicht am Schlüsselloch!“

Gerda blickte in das böse erregte Gesicht und sagte ruhig: „Auch das!“ Sie wußte ja, daß sie von dem heutigen Fest nichts haben durfte, weil ihre ältere Schwester, die bei jeder Gelegenheit ihr Stück durchsetzte, das so wünschte – warum sollte sie sich das einzige Vergnügen versagen, welches sie kannte: jeden, der sie hier im Hause ärgerte und quälte, wieder zu ärgern und zu quälen, so gut sie es vermochte?

Frau Willmers zog die Schultern empor. „Ich möchte wissen, warum Du so beleidigt bist, daß Du den Ball nicht mitmachen darfst? Ein fünfzehnjähriges Kind –“

„Stella hat in meinem Alter alles genossen, was ihr nur einfiel!“

„Ja – Stella!“ Ein geringschätziger Blick ging über das lang aufgeschossene, bleiche Mädchen hin, so sprechend, daß dieses jäh erröthete. Gerda hätte am liebsten geweint und mit dem Fuß aufgestampft, allein damit hätte sie dem „Drachen“ einen Triumph bereitet, und darum war es ihr nicht zu thun.

„Dich wird heute abend kein Mensch vermissen!“ fuhr die harte Stimme fort.

Das Kind senkte rasch die Wimpern, weil es fühlte, daß die Thränen nun doch kamen, sie hatte ein weiches und zugleich leidenschaftliches Gemüth, aber die Weichheit versteckte sie sorgfältig und zeigte nur die Leidenschaft. Im Hause hielt man sie allgemein für ein böses, trotziges und eigensinniges Mädchen.

„Onkel Grimm wird mich vermissen!“ sagte sie jetzt. Es sollte triumphierend klingen, allein die Stimme zitterte doch ein wenig.

„Ach, der!“ Die Willmers wollte spöttisch aussehen, aber auch das gelang nicht recht. Wider ihren Willen schien ihr „Onkel Grimm“ zu imponieren. „Wenn ich wüßte, was Der an Dir findet!“ Wieder dieser mitleidig messende Blick.

Gerda wurde der Antwort überhoben, denn ein scharfer Glockenzug ertönte und rief Frau Willmers zu ihrem Dienst. Sie warf noch in scharfem Tone hin: „Bleibt nicht auf der Treppe stehen, macht, daß Ihr fortkommt!“ und verschwand eiligst.

Wolfgang streckte hinter der Davongehenden die Zunge heraus und riß an Gerdas Zopf, sein gewöhnliches Mittel, wenn er ihre Aufmerksamkeit zu erregen wünschte.

„Du! Hör’ doch! Ist der Prinz heute auch gebeten?“

„Au! Laß los! Ja, der kommt! Ich kann ihn nicht leiden! So sieht er aus, paß auf!“

Sie ahmte die melancholische Leidensmiene und den Schmachtblick des Prinzen so täuschend nach, daß Wolfgang in ein lautes Gelächter ausbrach. Durch diesen Beifall ermuthigt, zeigte Gerda noch, wie „Riantzew“, so nannte sie ihn wegwerfend ohne Titel, sich verneigte – vornehm – nachlässig, und wie er Stella ansah, wenn er ihr gegenüber saß.

„Famos! Aber famos!“ jubelte der Junge. „Wenn ich das bloß machen könnte! Was Du für ’n Talent hast! Du

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1891, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_670.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)