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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

tiefsten Innern wußte der Senator gewaltig viel, was für den ehemaligen Freund und Compagnon sprach, er hatte seine gewichtigen Gründe, ihm nichts übelzunehmen und sich mancherlei von ihm bieten zu lassen … nur schade, daß er diese Gründe seiner Gattin unmöglich zur Begutachtung unterbreiten konnte!

So wiegte er denn nur mißbilligend sein wohlfrisiertes Haupt – man hatte ihn einmal mit einem Sperber verglichen, der sein Gefieder sträubt! – und sagte nach einigem Räuspern:

„Ihr Frauen seid doch alle gleich! Weil Grimm Euch nicht genügend den Hof macht und manchmal etwas sorglos auftritt, muß er gleich spöttisch und verletzend und was sonst noch alles sein. Ein Mädchen wie unsere Stella, um das sich fürstliche Häupter bewerben (dies Wort des stolzen Vaters ging sehr ins große und galt eigentlich nur dem Prinzen Riantzew) braucht doch wahrlich nicht Grimms Anerkennung und Huldigung abzuwarten, sondern macht ihren Weg auch so. Das mit dem Götzenbild ist gewiß nicht wahr, ich werde Grimm einmal danach fragen. Und Gerda? Nun, das ist eine Grille, wie sie ältere unverheirathete Leute zuweilen haben – lassen wir ihn doch gewähren! Ich meinerseits wünsche sehr, das gute Einvernehmen mit Grimm aufrecht zu erhalten, wenigstens nach außen hin – hm! – damit – hm! – die Leute, die so leicht geneigt sind, falsche Deutungen unterzuschieben, nicht – hm! – mutmaßen können – –“

Hier hatte sich der Senator rettungslos „auf einer Sandbank festgesetzt“, auf welcher er unfehlbar gestrandet wäre, wenn sich nicht Hilfe gefunden hätte. Der Bediente hatte die Flügelthüren zurückgeschlagen, und Stella war erschienen.

Konnte man es den Eltern mit ihrem kleinen Horizont, mit ihrer rein äußerlichen Lebensauffassung verdenken, wenn sie dies herrliche junge Menschenbild vergötterten, wenn sie kühne Pläne bauten auf dies strahlende Wesen? Strahlend! Das war der passendste Ausdruck für Stella Brühl! Von ihrem Haar, von den Augen, dem Kolorit ihres Gesichtes, dem schimmernden Kleide, dem Lächeln ihrer Lippen ging jenes wunderbare Licht aus, das ihr im Alterthum unfehlbar den Beinamen „die Leuchtende“ eingetragen hätte. Sie trat heiter und fröhlich ein und nickte den Eltern einen lächelnden Gruß zu.

„Alles in schönster Ordnung?“ fragte sie mit ihrer klingenden Stimme. „Laß Dich ansehen, Mama! Gut, sehr gut – ich bin zufrieden. An Papa ist so wie so nichts auszusetzen, Herren haben es immer leicht mit der Toilette. Ah, wie das schön ist, wie ich das liebe – soviel Licht!“

Sie hob ein wenig die Arme und warf den Kopf zurück, als wolle sie den tausendfältigen Glanz, den die Gaskronen, Wandkandelaber und Kerzen ausstrahlten und den die bis zur Decke reichenden Riesenspiegel in funkelnden Garben zurückwarfen, an sich ziehen, in sich trinken.

„Brühl, wenn wir sie so malen ließen, sieh doch, sieh!“ raunte Frau Molly ihrem Gatten zu und hob das Lorgnon hastig vor die bewundernden Augen. „Hilt hat mir soviel von seinem Freunde Andree vorgeschwärmt, der ja heute auch gebeten ist – Hilt ist freilich nicht im mindesten mit dessen ganzer Kunstrichtung einverstanden, giebt aber zu, daß dieser Andree ein hervorragender Porträtmaler ist – was meinst Du, mein Herzblatt?“

„Malen? Mich? Ach Gott, Mama, meinetwegen! Ich hab’s zwar schon ein paarmal durchgekostet, allein warum nicht noch einmal? Sehen wir uns vor allen Dingen heute abend unsern Mann, den Maler Andree, darauf hin an; aber zurückhaltend, meine Lieben, wenn ich bitten darf! Ist er ein langweiliger Gesell, der mich bei den Sitzungen einschlafen ließe, dann wird nichts daraus, und wenn er den Pinsel eines Tizian führen würde!“

„Natürlich! Dann wird nichts daraus!“ stimmte die Mama bei, und der Papa, der Zahlende, gänzlich mit Stillschweigen Uebergangene, dessen Zustimmung als selbstverständlich galt, nickte mit dem Sperberhaupt und murmelte etwas Unverständliches.

Die Frau Senator drückte auf den Knopf der elektrischen Leitung.

„Fräulein Gerda und der junge Herr sollen kommen, uns gute Nacht zu sagen, ehe die Gäste erscheinen!“ befahl sie dem Diener.

Stella ging langsam von einem Raum zum andern, legte hier eine Falte um, rückte dort eine Vase, ein Dekorationsstück anders, jedesmal zum Vortheil des Gesammteindrucks, und kam endlich vom Wintergarten, den ein hohes, ganz mit Epheu und lebenden Blumen durchflochtenes Gitterwerk gegen die Zimmerreihe hin abschloß, zu ihren Eltern zurück. Sie fand dort nur Wolfgang vor, der, seine langen Glieder unbehilflich hin und her wendend, mitten im Zimmer vor seiner Mutter stand und auf dem spiegelnden Parkettboden gegenüber einem der mächtigen Spiegel, umgeben von soviel Glanz und Luxus, eine ziemlich unglückliche Figur abgab.

„Nun, Junge?“ Stella nahm ihn scherzhaft beim Ohrläppchen. „Und Gerda?“

Der Knabe entzog sich der sanften Berührung des rosigen Händchens seiner schönen Schwester mit auffallend unwilligem Gesicht und finsterer Gebärde. Seine offenblickenden Blauaugen sahen ganz ungerührt die feenhafte Erscheinung in der fürstlichen Toilette an.

„So antworte doch, Du Bär, wenn Deine Schwester Dich etwas fragt!“ rief der Senator aufgebracht. „Wenn Du uns, Deinen Eltern, Gerdas ungezogene Antwort bestellen konntest, dann darf Stella sie auch hören!“

„Gerda sagte, sie wisse ganz genau, wie unsere Gesellschaftszimmer bei Beleuchtung aussehen, und wenn sie nicht zum Fest erscheinen soll, dann will sie überhaupt nicht erscheinen!“ sagte der Junge mürrisch und duckte den Kopf, als wolle er ruhig alle Scheltreden über sich ergehen lassen.

Die blieben denn auch nicht aus. „Dies trotzige, unartige Mädchen – es ist empörend!“

„Sag’ ihr, Wolfgang, sie bekomme kein Konfekt und keinen Crême morgen, zur Strafe!“

„Ihren Eltern eine so unartige Bestellung machen zu lassen!“

„Und der Junge giebt sich auch dazu her, er hat keine Spur von Manieren!“

„Wenn ich nur wüßte, woher Gerda dies unausstehliche Wesen hat! Wenn man bedenkt, wie Stella in ihrem Alter war – ein fabelhafter Unterschied!“

„Ich bitte Dich, Brühl, Du wirst doch nicht etwa im Ernst die beiden miteinander vergleichen!“

Stella stand während dieses elterlichen Duetts stumm da und lächelte vor sich hin. Ihre jüngeren Geschwister in Schutz zu nehmen, fiel ihr nicht ein. Papas Entrüstung über die Schwester und sein Ausruf, wie anders sie selbst in Gerdas Alter gewesen sei, belustigte sie sehr. Der gute beschränkte Mann! Ja, wie konnte er denn die Erziehung und Behandlung seiner vergötterten Aeltesten mit dem Lose dieses vernachlässigten Kindes in einem Athem nennen! – Wolfgang trat von einem Fuß auf den andern, riß an seinen Fingern, daß die Gelenke knackten, und sah verlegen vor sich hin. Gerda hatte es ihm eingeschärft: „Daß Du ja wörtlich bestellst!“ und er hielt getreulich zu ihr und hatte sein Versprechen erfüllt.

„Und wie der Junge aussieht!“ Frau Molly, deren Augen schon seit einer Weile eine stumme, aber sehr beredte Kritik an Wolfgangs Erscheinung geübt hatten, lieh ihrem Aerger jetzt Worte. „So gewöhnlich wie der Sohn eines Tagelöhners! Woher er nur diese Nase hat, überhaupt sein ganzes Exterieur! Kein Mensch kann darauf kommen, daß eine solche Erscheinung zur guten Gesellschaft gehört. Ist das der Anzug, der für Dich bei Papas Schneider gemacht worden ist?“

Wolfgang sah schuldbewußt aus und mußte zugeben, daß es allerdings dieser Anzug war.

„Siehst Du!“ wandte sich die Dame strafend an ihren Gemahl. „Was sagte ich Dir? Ich rieth Dir gleich, Dir die Kosten zu sparen, denn an solchen Gliedmaßen, an einem solchen Knochenbau wird auch der tüchtigste Schneider verzweifeln müssen. Nein, mit dem Jungen ist nichts anzufangen, ebensowenig wie mit Gerda –“

„Warum denn nicht, meine Gnädigste?“ fragte eine etwas spöttisch klingende Männerstimme plötzlich dicht neben der Frau Senator. Der Herr hatte dem Diener, der ihn melden wollte, abgewinkt, mit einer Gebärde, die sagen zu wollen schien: „Lassen Sie nur, guter Freund, ich bin hier zu Hause!“, und stand nun wie aus der Erde gewachsen dicht neben der Gruppe.

Ein mittelgroßer schlanker Herr war’s, ein gut konservierter Fünfziger, den seine sehr frische Gesichtsfarbe und sein fast völlig weißes, leicht gewelltes Haupthaar wie ein hübsches Rokokobild erscheinen ließen. Er hatte ein kleines, beinah kokettes dunkles Schnurrbärtchen, kluge dunkle Augen, feine Züge – und die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_675.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)