Seite:Die Gartenlaube (1891) 678.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Aus Laubes poetischer Jugendzeit.

Dichter in ihren jugendfrischen Anfängen zu belauschen, ihren ersten stillen Werdeprozeß zu verfolgen, hat einen ganz besonderen Reiz, denn wie der linde erdfrische Duft des Lenzes, so lassen meist auch diese Anfänge schon Art und Kraft der vollen Blüthezeit ahnen. Auch in Laubes Dichtung zeigt sich ein solch organischer Entwicklungsgang des Talents: was aus seinem Schaffen die meiste Anwartschaft auf Dauer hat, was sein dichterisches Wollen in schönster Vollendung zeigt, seine Dramen „Die Karlsschüler“ und „Essex“, seine Erzählungen aus dem Dreißigjährigen Krieg, die den Gesammttitel „Der deutsche Krieg“ führen, sowie andererseits seine Verdienste als Dramaturg, die ihm in Wien den Ehrentitel des deutschen „Theatergenerals“ eintrugen – all das weist zurück auf die ersten Regungen seines Talents und auf die Idylle seiner Knabenzeit, welche die schlesische Landstadt Sprottau am still hinfließenden Boberflüßchen zum Schauplatz hatte.

Eine Idylle: in einer seiner Reisenovellen hat sie uns Laube selbst später geschildert. Sandige Heidestrecken, Kiefern- und Birkenwäldchen umgrenzten das fruchtbare Acker- und Wiesenland, das die Handwerker und Krämer des Städtchens noch selber bebauten, und große Bauerngehöfte umgaben die Eingänge zu seinen Straßen und Gäßchen. Auf den grünen, mit Weiden bestandenen Uferwiesen des Bobers hat der Knabe in frühester Jugend bei den Schafen gelegen, Pfeifen geschnitzt, nach den Wolken gesehen und geträumt, „kleine unschuldige Träume“ von der Tochter des Bäckers, welche ihn dereinst beglücken würde auf Sonntagsspaziergängen und später als Gattin im eigenen Hausstand. Die patriarchalische Ruhe des Feierabends, „wo man des Abends in Hemdärmeln vor der Thür sitzt, Ohlauer vaterländischen Knaster in die reine Luft bläst, friedliches Faßbier trinkt und von den Franzosen redet, die 1806 nichts als Wein getrunken“, die gleichmäßige Einförmigkeit der von der großen Poststraße abliegenden kleinen sauberen Stadt, die nur zweimal im Jahr von großen Festlichkeiten für die Honoratioren unterbrochen wird, dem Weihnachtsball und dem Pfingstschießen – sie bildeten den Gegensatz zu seinen lärmenden Knabenspielen, die überall auf der Straße die gleichen sind, sie erschwerten ihm später die heimlichen Zusammenkünfte im Birkengehölz neben dem alten Schießhaus vorm Thor, dem verschwiegenen Paradies seines ersten Liebesglückes.

Aber von diesem stillen Hintergrund seiner Heimathserinnernugen heben sich bereits in einer anderen Reisenovelle vom Jahre 1836, die uns von der Heimkehr des jetzt wegen litterarischer Sünden verfolgten Schriftstellers in die Vaterstadt erzählt, geräuschvollere Begebenheiten ab, welche mit einem ganz anderen, bewegteren Leben in diese ländlichen Gassen flutheten, Begebenheiten, die sich tief in die Seele des Knaben einprägten und seine Geistesrichtung bestimmten. Das waren vor allem die Durchzüge von französischen und rheinbündischen Truppen und dann der halbwilden Kosaken auf ihren kleinen Pferden im Jahre 1812 und 1813, war die rauhe, rohe Franzosenzeit, da Feind und Freund in den Straßen und Häusern der Stadt sich blutig um Hab und Gut der armen Sprottauer raufte. Hierher gehört weiter das große Reformationsfest vom Jahr 1817, das mit seinen Festschriften und Bilderbogen dem Knaben die höchsten Begriffe von Glaubensfreiheit und Kampf dafür in die Seele legte, und schließlich der wiederholte längere Aufenthalt einer Schauspielertruppe im Orte, deren Kunst die Begeisterung für das Theater in dem jetzt nur noch in den Ferien anwesenden Glogauer Gymnasiasten in solchem Grade weckte, daß er mitten im kalten Winter des Jahres 1823 „dem Heldendarsteller Herrn Matthausch und der Liebhaberin Fräulein Ennicke“ zu Liebe eine Fußwanderung nach Berlin antrat, die nicht ohne Abenteuer verlief.

Kriegsereignisse, ein Fest zur Feier des protestantischen Bewußtseins und romantische Theatereindrücke waren für Laube die bedeutendsten Erlebnisse der Kinderzeit; ein Theaterstück von kriegerischem und protestantischem Charakter, das einen Helden des Protestantismus feierte und in Kriegsscenen seine Treffer hatte, war dann das erste größere Werk, in welchem Laube als Student seine dichterische Begabung erprobte. Und dies Drama, das Trauerspiel „Gustav Adolf“, war bühnengerecht genug, um bald nach seiner Entstehung eine Aufführung im Breslauer Stadttheater mit Erfolg aushalten zu können. Dennoch hat es Laube im Bewußtsein der Schwächen dieses ersten Versuchs nie drucken lassen. Seit jenen Aufführungen im Jahre 1829 ist es nie wieder zum Vorschein gekommen. Das Manuskript aber hat sich erhalten und des verstorbenen Dichters Pflegesohn, der Reichstagsabgeordnete Professor Hänel, hat es dem Schreiber dieser Erinnerungen zur Verfügung gestellt, damit es in dessen Geschichte des „Jungen Deutschland“ seine Verwerthung finde.

Den Krieg in seiner schaurigen Schrecklichkeit, aber auch in seiner poetischen Lebensfülle, wie ihn Laube später in seinen besten Romanen – „Die Krieger“, „Gräfin Chateaubriand“, „Der deutsche Krieg“ – so realistisch wie niemand vorher zu schildern verstanden, hatte er damals ebenfalls in all seiner Realität erlebt. Namentlich die Ereignisse des Jahres 1813, in welchem es in Sprottau zu einer förmlichen Schlacht zwischen französischen Chasseurs und russischen Reitern kam, blieben seinem Gedächtniß unzerstörbar eingeprägt bis an sein Lebensende. Noch als Siebziger hat er in seinen „Erinnerungen“ viele Einzelheiten mit greifbarer Deutlichkeit schildern können. Wie er mit dem Vater des öfteren im Leiterwagen aus dem sechs Meilen entfernten Grüneberg Fässer voll Wein für die französische Einquartierung holte, wie er bei der ersten Ankunft der französischen Chasseurs auf der Boberbrücke war und bei dem entstehenden Gedränge fast zu Tode gequetscht wurde, während eine russische Batterie über die Brücke hinweg gegen die Franzosen zu spielen begann, wie dann auf dem Markt gellende Trompetenstöße das Signal zur Plünderung gaben; was er alles mit der Mutter ausstand, die während der Plünderung im Keller sich versteckt hielt, was die marodierenden Chasseurs alles raubten, selbst des Vaters Ersparnisse aus dem Kaminschornstein … und dann wieder die Zeit, wo der Landesfeind in ängstlicher Flucht durch die Straßen flog und das ganze Land aufathmete – alles das ist lebendig in seiner Seele geblieben.

Den ersten starken litterarischen Eindruck brachte jenes Reformationsfest vom Jahre 1817. Laube war damals elf Jahre alt. Vor dreihundert Jahren hatte Luther seine 95 Sätze an die Kirche von Wittenberg angeschlagen – dieses Ereigniß, der Anfang der Reformation, wurde gefeiert. Volksthümliche Darstellungen der geschichtlichen Vorgänge, die der muthigen That Luthers vorausgingen und folgten, Festschriften mit den Bildnissen von Luther und Melanchthon kamen damals in jedes Haus. Als eine Bewegung von außerordentlicher Ausdehnung und Macht, geradezu als eine volle Wiedergeburt der Reformationszeit erschien dem Dichter diese Feier noch im Alter.

Auch sein Interesse für das Theater wurde durch ein längeres Gastspiel der Butenopschen Truppe bereits in Sprottau zur Entfaltung gebracht. Von Wichtigkeit für seine spätere Entwicklung war es, daß er das Bühnenwesen gleich in seiner wirklichen Gestalt kennenlernte und nicht auf dem Weg durch Bücher und gelehrte Abhandlungen, wie so viele andere Epigonen der Schillerschen Muse. Und er hatte dies gerade dem Umstande zu danken, daß er in einer Stadt ohne Theaterleben aufgewachsen war, und dem Zufall, daß sich schon bei der ersten Berührung mit dem Theater auch die Welt hinter den Coulissen seinen neugierig forschenden Blicken öffnete. So hat er nie den Kampf mit romantischen Einbildungen zu bestehen gehabt, an welchem so viele dramatische Schriftsteller mit ihrem besten Streben zu Grunde gegangen sind. Die Reitbahn der Sprottauer war damals zum Tempel Thalias geworden. Diese Reitbahn hatte ein luftiges Dach; Sturm und Wind hatten daraus so manche Schindel entführt, und da die Hinterwand des Gebäudes an den Garten von Laubes Großvater stieß, so wußte der Enkel als entdeckungslüsterner Kletterer längst um diese Lücken Bescheid. Die Aeste eines Apfelbaumes im Garten erstreckten sich bis auf das Dach, und auf einem derselben fand nun der Knabe einen erhöhten Sperrsitz gerade über der Bühne, von dem aus er die Vorgänge sowohl auf als hinter der Scene überblicken konnte. Wer hätte damals geahnt, daß ihn von diesem luftigen Sitz eines „Zaungasts“ aus der Vogelschau der Weg zur Intendantenloge der ersten deutschen Bühne führen würde?! Von da oben aus gelangte der Knabe auch hinunter, sowohl hinter die Coulissen als in den Zuschauerraum; er lernte kennen, „wie es gemacht wird“, daß von der Bühne herab die wunderbaren Wirkungen auf die Zuschauerwelt ausströmen, und begann so jener Kenner der Bühnentechnik zu werden, der er als Dramatiker

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1891, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_678.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)